Erdogan: "Die Nation hat ihren Willen ausgedrückt"

Istanbul · Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan verfolgte die Ergebnisse der Präsidentenwahl am Sonntagabend in Istanbul.

 Erdogan hat seine Anhänger besonders bei einkommensschwachen, ländlichen und wenig gebildeten Bevölkerungsteilen. Foto: Turkish Prime Minister Press Office

Erdogan hat seine Anhänger besonders bei einkommensschwachen, ländlichen und wenig gebildeten Bevölkerungsteilen. Foto: Turkish Prime Minister Press Office

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Als fast alle Stimmen ausgezählt waren und seinem Einzug in den Präsidentenpalast nichts mehr im Wege zu stehen schien, begab er sich in die Eyüp-Sultan-Moschee, um ein Dankesgebet zu sprechen. Die Moschee ließ Mehmet der Eroberer nach der Einnahme Konstantinopels 1453 errichten, sie ist ein wichtiger Pilgerort für Muslime. Dort fanden einst die Krönungszeremonien für die ottomanischen Sultane statt. Nun steht Erdogans politische Karriere vor ihrer Krönung.

Erst nach dem Gebet ließ sich Erdogan vor seinen jubelnden Anhängern in Istanbul blicken. "Heute hat unsere Nation bei den Wahlen ihren Willen ausgedrückt", sagte der 60-Jährige. Der Opposition war die Nation allem Anschein nach nicht sonderlich gewogen. Erdogans Kontrahenten gelang es nicht einmal, den Vorsitzenden der islamisch-konservativen AKP in die Stichwahl zu zwingen. Nach dem vorläufigen Ergebnis hat er bereits im ersten Wahlgang eine absolute Mehrheit gewonnen.

Noch vor Bekanntgabe der Teilergebnisse kritisierte der Kandidat der beiden größten Oppositionsparteien CHP und MHP, Ekmeleddin Ihsanoglu, dass der Wahlkampf "unter ungerechten und ungleichen Voraussetzungen" geführt worden sei. Der Vorwurf ist nicht unbegründet: So bekam Erdogan viel mehr Sendezeit im Staatsfernsehen als Ihsanoglu und der dritte Kandidat, der Kurde Selahattin Demirtas. Dennoch klangen Ihsanoglus Worte danach, als würde er sich bereits eine Rechtfertigung für seine Niederlage zurechtlegen.

Die Opposition verpasste ihre Chance, die Türken für einen Wechsel zu begeistern. "Es gibt keine Alternative zu Erdogan", sagt am Wahltag der Textil-Arbeiter Bülent Alparslan im Istanbuler Armenviertel Talarbasi, das die Regierung gerade zu großen Teilen abreißen lässt. Befürchtungen, Erdogan könnte als Präsident noch autoritärer als bislang herrschen, tut der 36-Jährige ab. "Er ist sowieso schon mächtig." Und Alparslan rechnet Erdogan die großen wirtschaftlichen Erfolge der Türkei an. "Zumindest hat seine Regierung viel erreicht", sagt er. "Auch wenn sie gestohlen hat."

Mit dieser Haltung steht Alparslan nicht alleine da. Zwar hatte die Erdogan-Regierung mit Korruptionsvorwürfen zu kämpfen. Manche Türken, die sich an frühere Regierungen erinnern, verweisen aber darauf, dass diese mindestens ebenso korrupt gewesen seien - das Land aber nicht annähernd so rasant voran gebracht hätten wie Erdogan. Die wirtschaftlichen Erfolge sind sein größter Trumpf und sorgen dafür, dass er heute trotz zahlreicher Krisen mächtiger denn je dasteht. Die Gezi-Proteste, bei denen im vergangenen Sommer Millionen Türken gegen seinen autoritären Regierungsstil demonstrierten, sind versandet.

Erdogan hat seine Anhänger besonders bei einkommensschwachen, ländlichen und wenig gebildeten Bevölkerungsteilen. Für sie wiegt der Lohnzettel schwerer als Twitter-Sperren oder westliche Kritik an Erdogan. In den vergangenen Wochen führte er einen fulminanten Wahlkampf mit teils mehreren Massenkundgebungen täglich - während die Kampagne seines Hauptkonkurrenten Ihsanoglu farblos blieb.

"Mit Erdogan ist es wie mit Galatasaray, Besiktas oder Fenerbahce", sagt ein Lebensmittelhändler in Tarlabasi, der seinen Namen nicht nennen möchte. "Die kennt sogar im Ausland jeder." Mit Ihsanoglu verhalte es sich dagegen wie mit einem unbekannten Fußballverein. "Von zehn Türken sagen fünf: Wer ist das?"

Der Wahlkampf sei unfair verlaufen, und an die Fairness der Wahl glaube er ebenfalls nicht, sagt ein 34-jähriger Teehaus-Besitzer, der anonym bleiben will, auf der Einkaufsmeile Istiklal Caddesi. "Mein Vater sagt, er geht nicht mehr wählen, bis Erdogan stirbt, weil der sowieso immer gewinnt." Schon jetzt sei die Türkei keine Demokratie mehr. "Es gibt keine Gerechtigkeit und kein Gesetz, es gibt nur einen Diktator." Zweifel daran, dass Erdogan siegen würde, hatten auch seine Gegner kaum. Ein Twitter-User namens Capulcu Tonella schrieb am Wahltag: "Heute bin ich schon depressiv aufgewacht."

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