Analyse Donald Trump und der orchestrierte Widerstand

Washington · Trump stellt offen die Frage nach Verrat. Der anonyme Beitrag eines Regierungsvertreters ist nur ein weiterer Eskalierungsschritt im Polit-Zirkus Washingtons. Aber es könnte ein großer Schritt sein.

In der Stunde großer Not greift Donald Trump auf einen "Getreuen" zurück: "Kim Jong Un aus Nordkorea verkündet standfesten Glauben an Präsident Trump", schrieb er am Donnerstagmorgen auf Twitter. "Danke, Vorsitzender Kim!"

Ist es Hilflosigkeit, wenn sich der US-Präsident an die Worte eines Diktatoren klammert? Oder ist es Gedankenlosigkeit? Oder nur ein misslungener Versuch eines Ablenkungsmanövers?

Der verzweifelt wirkende Tweet des Präsidenten ist vermutlich einem Mitglied seiner Regierungsmannschaft geschuldet, dessen Gastbeitrag an diesem schwül-heißen Spätsommermorgen die "New York Times" schmückt. Ein "Op-Ed", noch dazu in einer völlig ungewöhnlichen Regelverletzung der Zeitung anonym veröffentlicht, hat die ganze Nation in Rage gebracht.

Kernaussage: In der Trump-Regierung gibt es eine Reihe von Leuten, die jeden Tag hart arbeiten, einen durchgeknallten Präsidenten an der Leine zu halten. Gleich am Tag nach der Veröffentlichung meldeten sich zwei weitere Mitglieder der Administration bei der Nachrichtenplattform Axios: "Er nimmt uns die Worte aus dem Mund", sagten sie über den anonymen Schreiber.

Das Kürzel "Op-Ed" steht im angelsächsischen Journalismus für ein "Opposite Editorial", einen Gastbeitrag, der inhaltlich und bezüglich seiner Platzierung im Blatt der Linie der Redaktion "gegenüber" steht. Die jetzige Enthüllung bewegt sich indes durchaus auf der Linie der "New York Times".

Sie belegt, was die Zeitung seit mehr als anderthalb Jahren versucht zu untermauern: "Im Weißen Haus herrscht pures Chaos." Der anonyme Autor sieht sich dem Vorwurf der Feigheit ausgesetzt, die Zeitung selbst geht mit dem ungewöhnlichen Schritt auch ein Risiko ein: Meinungsbeiträge ohne Namen gelten in den USA als schmutziger Journalismus. Vizepräsident Mike Pence forderte die Redaktion umgehend auf, sich zu schämen. "Unser Büro steht über solch amateurhaftem Verhalten", schrieb sein Sprecher Jarrod Agen.

In drastischen Worten beschreibt der Autor oder die Autorin, wie es in Washington, im Hause 1600 Pennsylvania Avenue seit gut anderthalb Jahren zugeht. Und nicht zuletzt, dass es gar nicht darum gehe, die Politik von Trump zu verändern - die sei gar nicht so schlecht. Sondern vielmehr sein Verhalten, das leichtsinnig sei, unberechenbar - erratisch eben. Ein Verhalten, das zur Spaltung des Landes beitrage, das Unfrieden stifte, das einen Mangel an Moral erkennen lasse. Oder wie es der demokratische Abgeordnete Adam Schiff ausdrückte: "Die Frage ist, wie man es schafft, auf ethische Weise für einen völlig unethischen Präsidenten zu arbeiten."

Doch dieser Gastbeitrag, veröffentlicht nur einen Tag nachdem der "Watergate"-Enthüller Bob Woodward entlarvende Passagen seines neuen Buches über Trump mit ähnlichem Tenor in der "Washington Post" öffentlich gemacht hatte, wirft noch viel mehr Fragen auf. Der Frontalangriff auf den Präsidenten, zwei Monate vor einer möglicherweise weichenstellenden Parlamentswahl und gleichzeitig mit einer öffentlichen Anhörung eines von Trump ernannten Verfassungsrichters vorgetragen, wirkt orchestriert.

Wer war also der "Königsmörder" in der ganzen Geschichte, zu deren Erklärung gleiche mehrere Kommentatoren auf William Shakespeares Tragödie "König Lear" verweisen. Wie hochrangig ist er eigentlich? Nur ein frustrierter Mitläufer, ein Wichtigtuer, der seinen eigenen Einfluss überschätzt? Dann wäre die Entscheidung der Redaktion zum Abdruck des Beitrages mit absehbarer Wirkung eines Erdbebens wohl schwer zu verantworten.

Oder ein wirkliches Schwergewicht im Team Trump, gar ein Minister mit persönlicher Regierungsverantwortung? Vizepräsident Pence, dem Ambitionen auf die Trump-Nachfolge nachgesagt werden, und Außenminister Mike Pompeo mussten sich bereits Fragen in diese Richtung gefallen lassen: Wenig überraschend verneinten beide. In den Sozialen Netzwerken schießen die Spekulationen über weitere Namen - ebenso wenig überraschend - ins Kraut.

Eine weitere brennende Frage: Wem hilft diese Veröffentlichung eigentlich? Das Chaos im Weißen Haus, die Hochrisiko-Politik Donald Trumps, die persönlichen Eigenarten des Präsidenten, die Stilunterschiede zu seinen Vorgängern: All das ist weidlich beschrieben, die neuen Veröffentlichungen laufen Gefahr, in der Anhängerschaft des Präsidenten zunächst wenig neue Erosionswirkung zu entfalten.

Will man etwas Positives für Trump herauslesen, so gibt es ihm zumindest eine neue Möglichkeit, in die Opferrolle zu schlüpfen und sich im Fadenkreuz des "deep state", des sprichwörtlichen Washingtoner Sumpfes, zu präsentieren - und damit noch rigorosere Methoden für dessen Austrocknung zu rechtfertigen.

Der Herbst 2018 scheint für Trump und seine Präsidentschaft zu einer Art vorentscheidendem Spiel zu werden - mit ungewissem Ausgang. Dass im Falle einer Mehrheit der bisher oppositionellen Demokraten im Repräsentantenhaus nach der Wahl im November ein Amtsenthebungsverfahren folgen könnte, gilt schon aufgrund der Russland-Untersuchungen von Sonderermittler Robert Mueller als wahrscheinlich. Die neuen Entwicklungen deuten nun erstmals in die Richtung, dass auch die Republikaner ins Grübeln über ihren Präsidenten geraten könnten.

Die Verurteilung seines Wahlkampfmanagers Paul Manafort, das Geständnis seines Anwalts Michael Cohen, der holzige Umgang mit dem Tod von Republikaner-Ikone John McCain - dazu der bizarre Auftritt bei einer Pressekonferenz mit Wladimir Putin in Helsinki, das Verprellen von Verbündeten beim G7-Gipfel in Kanada, der Handelskrieg mit Freund und Feind in der halben Welt - das alles ist eher Wochen als Monate her. Immer lauter wird die Frage gestellt, ob Trump noch tragbar ist.

Dass der Autor des Gastbeitrages nun neben dem ohnehin drohenden Impeachmentverfahren wegen möglicher strafrechtlicher Vergehen offen die Frage über die Art und Weise aufwirft, wie Trump aus dem Amt zu bugsieren sei - das dürfte auch im Oval Office nicht einfach so abgetan werden.

Offen spricht der Schreiber den 25. Verfassungszusatz an. Dieser besagt, ohne nähere Erläuterung, dass ein Präsident dann des Amts enthoben werden kann, wenn er "unable" - also außerstande - ist, die Präsidentschaft auszuüben. Die bisherige Interpretation ging davon aus, dass eine sehr schwere körperliche Krankheit oder der Verfall geistiger Fähigkeiten Voraussetzung dafür seien, den Zusatz geltend zu machen.

Es gab am Donnerstag in Washington nicht allzu viele, die Trump besonders mutig zur Seite sprangen. Außenminister Pompeo sagte lediglich, es sei "traurig", dass jemand aus der Administration diesen Weg gegangen sei. Rudy Giuliani, Trumps getreuer Rechtsbeistand, bezeichnete den Autor als "gefährliche Person". Den denkbaren harschesten Begriff nahm Trump selbst in den Mund: Er warf die Frage auf, ob es sich um "Verrat" handele.

Trump führte den Artikel darauf zurück, dass der politische Gegner neidisch sei auf seine Erfolge. Und er forderte die "New York Times" auf, den Namen des Autors preiszugeben, aus Gründen der nationalen Sicherheit. Die Redaktion wird dies nicht tun. Aus Gründen des Selbstschutzes ihrer Integrität. Und aus Überlegungen der nationalen Sicherheit.

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