Interview "Der Schreck muss seinen Schrecken verlieren"

Bonn · Psychologe René Hurlemann spricht im GA-Interview über die menschliche Angst vor Höhe und wie man sie überwindet.

Der Bischof von Köln, Rainer Maria Kardinal Woelki, steigt wegen ihr nicht auf die Domkanzel. Die niederländische Fußballlegende Dennis Bergkamp reiste in seiner Karriere deswegen nie mit dem Flugzeug zu den Spielen. Und selbst Johann Wolfgang von Goethe soll unter ihr gelitten haben: Höhenangst. Der Bonner Professor und Psychologe René Hurlemann erklärt im Gespräch mit Clemens Boisserée die Phobie.

Herr Hurlemann, wie entsteht überhaupt Höhenangst?
René Hurlemann: Das kann traumatische oder genetische Gründe haben. Phobien entstehen häufig schon in der Kindheit. Wer beispielsweise als Kind mal aus großer Höhe irgendwo heruntergefallen ist und sich dabei verletzt hat, leidet häufig an Höhenangst. Grundsätzlich ist es so, dass der Mensch vor tödlichen Gefahren Angst hat - dazu gehört auch große Höhe. Bei manchen Menschen ist diese Angst nur ausgeprägter als bei anderen.

Wodurch wird deutlich, dass ich unter Höhenangst leide?
Hurlemann: Das wird, wie bei anderen Ängsten auch, vor allem durch ein angeregtes Nervensystem deutlich. Das Herz beginnt zu rasen, Schweiß bricht aus, die Finger werden feucht und es kann ein Schwindelgefühl entstehen.

Wieso reagiert der Körper so?
Hurlemann: Das ist eine ganz typische menschliche Reaktion auf Gefahren, die der Körper für potenziell tödlich einstuft. Der Körper bereitet sich darauf vor, aus dieser Situation zu entkommen. Die Sinne werden geschärft und Adrenalin ausgeschüttet.

Wie verbreitet ist diese Angst?
Hurlemann: Höhenangst zählt zu den häufigeren Phobien, so wie beispielsweise die Angst vor manchen Tieren - Spinnen oder Schlangen vor allem. Es gibt Hunderte menschliche Phobien. Am häufigsten in Behandlung sind aber sicherlich Fälle von sozialer Phobie, wo Menschen beispielsweise Angst haben, vor anderen Menschen zu sprechen. Das kann so weit gehen, dass der Betroffene nicht mehr das eigene Haus verlässt.

Wie lassen sich solche Phobien behandeln?
Hurlemann: Das ist ein therapeutischer Prozess. Der Betroffene muss sich unter Betreuung eines Psychologen seinen Ängsten stellen. Zunächst muss er lernen, über seine Angst zu sprechen, später muss er lernen, sich ihr real zu stellen. Der Schreck muss seinen Schrecken und die vermeintliche Gefahr ihre Gefährlichkeit verlieren.

Wann empfiehlt es sich als Betroffener, sich therapeutische Hilfe zu suchen?
Hurlemann: Sobald ein hoher Leidensdruck vorhanden ist. Es gibt Phobien, die lassen sich recht problemlos umgehen und mit denen kann man entsprechend gut leben. Aber wenn Dinge, die mir eigentlich Spaß machen, die ich mit der Familie erleben möchte oder die ich für den Job benötige, nicht mehr möglich sind und mich belasten, dann kann eine psychologische Behandlung helfen.

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