Ausstellung Der Papagei weiß, was Kunst ist

Eine anregende Hommage an den vor 40 Jahren in Köln gestorbenen belgischen Konzeptkünstler Marcel Broodthaers im Kölner Wallraf-Richartz-Museum

 Papagei beim Künstler-Namedropping im Video von Julius Brauckmann

Papagei beim Künstler-Namedropping im Video von Julius Brauckmann

Foto: Wallraf

Die vielleicht schönste Einschätzung über den belgischen Poeten und Konzeptkünstler Marcel Broodthaers, der im Januar 1976, also vor 40 Jahren, gerade einmal 52-jährig in Köln starb, hat Karl Ruhrberg geprägt. Der ehemalige Direktor des Museums Ludwig schrieb: „Das Werk in seiner Komplexität entzieht sich der definitiven Dechiffrierung, die Person in ihrer unzeitgemäßen Diskretion und ihrer unaufdringlichen Zurückgenommenheit tut es auch. Es bleibt stets ein Rest von Geheimnis. Marcel Broodthaers lässt sich nicht festlegen und hat sich nie festgelegt.“

Seit seinem Tod ist daher jede Ausstellung über ihn riskante Spekulation, ein Wagnis. Und für Museen trotzdem eine permanente Verführung: Hat sich Broodthaers doch kritisch, ironisch, sehr witzig an der Institution Museum gerieben. 1968 gründete er gar auf dem Höhepunkt der Revolte – auch gegen verstaubte bürgerliche Musentempel – ein eigenes in seiner Brüsseler Wohnung, das „Musée d'Art Moderne. Département des Aigles“.

Die Macht der Museen über Kunst und Künstler

Das Kölner Wallraf-Richartz-Museum ist dieser Verführung erlegen – ohne in die Falle zu tappen, eine Ausstellung à la Broodthaers zu machen. Eine echte Retrospektive schied ohnehin aus, das Wallraf hat kaum Werke des Künstlers, anders als das Museum Ludwig. So ersann man im Wallraf die Hommage „Für Marcel Broodthaers. Das Gedächtnis, die Stadt und die Kunst II.“, eine einerseits spannende Spurensuche in Köln, andererseits der Versuch, das herauszuarbeiten, was den Belgier an der Institution Museum reizte: das Sammeln und Bewahren, jedoch auch das Ordnen, die Systematik, das Klassifizieren nach Stilen und Techniken, letztlich die unermessliche Macht der Museen über Kunst und Künstler. Hier wird bestimmt, was Premiumqualität hat, und was zweite Wahl ist.

Broodthaers waren derlei Mechanismen suspekt, in seinem Museum führte er sie ad absurdum. Eine der vier im Wallraf verteilten „Sektionen“ hat sich des Themas „zweite Wahl“ angenommen. Kurator Thomas Ketelsen stöberte zusammen mit Mitgliedern des Projekts „Jugendkunstfreunde“ im Depot und in Zweite-Wahl-Kisten, stellte Kategorisierungen infrage und breitet den mitunter recht ansehnlichen Inhalt der Kiste „D/Z/18.Jh/II. Wahl/Verschiedenes 1“ an der Wand aus. Die Galerie der Vergessenen. Eine Pointe am Rande: Vor Jahren fanden sich in einer ähnlichen Kiste zwei Rubens-Zeichnungen – die hängen jetzt auch in der Schau.

Klassifizierungen auch anderswo: Empfangen wird der Besucher im Foyer von einem Papagei – eines von Broodthaers' Lieblingstieren – im Video „Namedropping“ des Kölners Julius Brauckmann. Der farbenprächtige Vogel rattert 50 Namen vom Künstler-Ranking des Galerienportals Artfacts runter. Rosemarie Trockel ist dabei, auch Georg Baselitz, Broodthaers liegt auf Rang zehn. Wo der bunte Vogel Joseph Beuys verortet, war nicht vernehmbar.

„Welchen Zwecken dienst Du, Wagner? Warum? Wozu?“

Broodthaers schätzte den Schamanen aus Kleve, bis er sich mit ihm überwarf, sein Pathos, die Politisierung und seine Kompromisse mit dem Kunstbetrieb unerträglich fand. 1972 schrieb er ihm einen Brief, der in der Ausstellung liegt. Besser gesagt: Er „fand“ angeblich in einem Kölner Haus einen stark beschädigten Brief von Jacques Offenbach an seinen Antipoden Richard Wagner. Er schrieb ihn angeblich ab. Offenbach steht in diesem fiktiven Brief für Broodthaers, Wagner für Beuys: „Welchen Zwecken dienst Du, Wagner? Warum? Wozu?“, schreibt „Offenbach“ und endet mit „Vive la musique, Jacques Offenbach“.

Es gibt weitere Kölner Spuren: Etwa als Hans Haacke für die Ausstellung „Kunst bleibt Kunst“ (1974) die Provenienz des Monet-Spargelstilllebens aus dem Wallraf zurückverfolgte und sich dabei der NS-Vergangenheit des Bankers und Wallraf-Kuratoriumsmitglieds Hermann Josef Abs widmete. Haacke flog aus der Ausstellung. Broodthaers, neben Beuys und Kosuth selbst auch beteiligt, protestierte gegen diesen Kölner kulturpolitischen Fauxpas mit einem ironischen Katalogbeitrag und dem Offenen Brief „Dorf bleibt Dorf“. Broodthaers hat aber nicht nur mit Köln gehadert, er hatte hier auch wichtige Fürsprecher, etwa Michael Werner. Über dieses Kapitel hätte man gerne mehr erfahren.

Wallraf-Richartz-Museum Köln; bis 14. August. Di-So 10-18 Uhr. Katalog zehn Euro.

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