Analyse Der kleine GroKo-Frieden, der allen hilft

Berlin · Die Asyl-Zerreißprobe hat die schwarz-rote Koalition vorerst überstanden. Nun wollen die Beteiligten unbedingt zeigen, dass sie wieder handlungsfähig sind - aus unterschiedlichen Gründen.

Die große Koalition arbeitet. Das ist keine Nachricht?

Volker Kauder, Fraktionschef der Union, sieht das anders: "Wir haben uns heute auf ein größeres Paket verständigt und können damit auch zeigen, dass wir in diesem Land regieren", sagt der CDU-Politiker, als er mit SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt vor dem Kanzleramt steht. Und Sozialminister Hubertus Heil (SPD), der die Einigung zur Rente als erster und ganz alleine verkünden darf, wirkt richtig stolz: "Wir haben es geschafft, das gemeinsam hinzukriegen. Die Koalition ist handlungsfähig."

Nach der schweren Regierungskrise um eine schärfere Asylpolitik ist es für die gesamte Koalition wichtig, wieder in die Spur zu kommen. Die AfD soll nicht noch mehr Oberwasser bekommen, das Vertrauen der Wähler nicht noch weiter schwinden. Und dann hat auch noch jeder seine eigenen, ganz unterschiedlichen Gründe.

Allen voran die SPD: Sie kann nun endlich bei den sozialen Themen liefern und Wahlversprechen einlösen. Im Asylstreit gab es für sie wenig zu gewinnen, sie war mehr oder weniger zum Zuschauen verdammt. Nun kommen SPD-Herzensthemen dran - Verbesserungen bei der Rente, der Kinderbetreuung, dem Mieterschutz, ein Einwanderungsgesetz für Fachkräfte.

Das ist wichtig für die Sozialdemokraten, weil Teile der Basis und der Wählerschaft ihr den Eintritt in die große Koalition weiterhin verübeln. So kann Andrea Nahles, die Partei- und Fraktionschefin, sagen: Schaut, ohne uns hätte es das nicht gegeben, es hat sich also gelohnt.

Allerdings weiß die SPD-Spitze auch, dass gutes Regieren längst nicht reicht, um Wahlen zu gewinnen - denn auch die vorige GroKo setzte Prestigeprojekte der Sozialdemokraten um, Stichwort Mindestlohn oder Rente mit 63, damals Erfolge von Nahles als Arbeitsministerin. Gedankt haben die Wähler es nicht, sondern die SPD mit 20,5 Prozent historisch abgestraft. In Umfragen liegt die Partei inzwischen noch darunter.

Damit ihre Erfolge nicht wie in der vergangenen Legislaturperiode bis zur Wahl verpuffen, will die SPD insbesondere das Thema Rente am Köcheln halten - etwa mit dem Vorschlag von Finanzminister Olaf Scholz (SPD), das Rentenniveau bis 2040 festzuschreiben.

Das wird teuer, denn die Deutschen werden im Schnitt älter und leben immer länger. Es setzt aber den Koalitionspartner unter Zugzwang und macht einen Unterschied zwischen SPD und CDU deutlich. Heil bekräftigt am Mittwoch denn auch, die Rentenkommission solle das Thema möglichst noch in dieser Wahlperiode abschließend klären. Damit bringt er das Thema kurz vor der nächsten Wahl 2021 wieder auf der Agenda.

Aber auch für die Bundeskanzlerin war die Koalitionsrunde wichtig. Das wurde schon am Wochenende deutlich, da drückte Angela Merkel aufs Tempo: "Wir werden sehr, sehr viele Entscheidungen Woche für Woche auch fällen können", sagte sie im ARD-Sommerinterview. Die Kanzlerin hatte auch in den eigenen Reihen zuletzt unter Verdacht gestanden, sie könne die Union, geschweige denn ihren GroKo-Laden nicht mehr ordentlich zusammenhalten und lasse sich von der CSU treiben.

Die Christsozialen stehen daheim in Bayern unter riesigem Druck. Noch gut sechs Wochen bis zur Landtagswahl, und in der jüngsten Umfrage steht die CSU bei 36 Prozent. Das wäre als Wahlergebnis nicht weniger als eine Katastrophe für die Partei, die ans Alleinregieren gewöhnt ist. Der Haudrauf-Kurs in Asylfragen und die Front gegen die Kanzlerin, auf die Bundesinnenminister und CSU-Chef Horst Seehofer sowie Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zuletzt setzten, halfen in den Umfragen nicht - im Gegenteil.

Und so ist auch für die CSU wichtig, mal wieder konstruktiv zu wirken statt als GroKo-Störenfried dazustehen. Die Renteneinigung lobt Dobrindt in der Nacht aber doch eher zurückhaltend, er konzentriert sich lieber auf die von der Union durchgesetzte stärkere Senkung der Arbeitslosenbeiträge. Die Mütterrente - eigentlich ein CSU-Thema - streift er eher.

Denn dass nun alle Mütter (oder auch Väter) für Erziehungszeit ihrer vor 1992 geborenen Kinder einen halben Rentenpunkt mehr bekommen, das hatte Heil vorgeschlagen - im Koalitionsvertrag war noch ein zusätzlicher Punkt erst ab drei Kindern vorgesehen. Offenbar hängt Dobrindts Zurückhaltung auch damit zusammen, dass die Unionsfrauen unmissverständlich klar machten, sie fänden Heils Variante besser.

Immerhin, auf die Frage nach der GroKo-Stimmung antwortet Dobrindt schmunzelnd: "Wir fühlen uns wieder wie auf der Zugspitze." Auf Deutschlands höchsten Berg waren die Koalitionäre im Frühjahr gereist, um Aufbruchstimmung zu verbreiten.

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