Analyse Das Bayern-Beben und seine Folgen

München/Berlin · Über 20 Prozent minus für CSU und SPD in Bayern - nur weil in zwei Wochen die Hessen-Wahl folgt, dürften größere Eruptionen jetzt noch ausbleiben. Aber die Signale sind klar: Ruhiger wird es nicht.

 Markus Söder, Ministerpräsident von Bayern, steht neben Hubert Aiwanger, Spitzenkandidat und Partei-Chef der Freien Wähler in Bayern.

Markus Söder, Ministerpräsident von Bayern, steht neben Hubert Aiwanger, Spitzenkandidat und Partei-Chef der Freien Wähler in Bayern.

Foto: Peter Kneffel

Eigentlich war das Beben bei der CSU erwartet worden, es traf dann aber vor allem die SPD. "Im freien Fall" sieht sie der frühere Münchener Oberbürgermeister Christian Ude.

"Da muss alles auf den Prüfstand, was man überhaupt überprüfen und korrigieren kann." Die Krise der 155 Jahre alten Partei ist existenzbedrohend. Platz fünf nur noch in Bayern, im Bund droht Platz vier hinter Union, Grünen und AfD. Die muss erkennen, dass ihre Bäume nicht überall in den Himmel wachsen, sitzt aber nun in 15 von 16 Landtagen. Ein Überblick, was aus der Bayern-Wahl folgt:

BUNTE REPUBLIK: Früher wurde nach jeder Landtagswahl gerechnet, was das für die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat bedeutet. Heute ist die Länderkammer ziemlich bunt - es gibt neun verschiedene Koalitionsvarianten. In Bayern könnte mit CSU und Freien Wählern die zehnte Variante folgen. Das macht Entscheidungen schwieriger, das Parteiensystem spiegelt die gesellschaftliche Polarisierung. Die einstigen großen Volksparteien Union und SPD verlieren rasant an Bindungskraft. Zugleich wird durch die starken Grünen plötzlich im Bund eine andere Zweier-Koalition rechnerisch realistischer, falls die GroKo zerbrechen und Neuwahlen folgen sollten: Schwarz-Grün.

HORST SEEHOFER KÖNNTE BLEIBEN: Eine schnelle Revolte muss der 69-Jährige sicher nicht fürchten. Mit einem Ergebnis oberhalb der 37-Prozent-Marke läuft es für die CSU am Ende deutlich besser als es die Umfragewerte der vergangenen Monate hatten befürchten lassen. Dennoch ist Seehofer weiterhin ein CSU-Chef und Bundesinnenminister, der in seiner Partei sehr umstritten ist. Auch wenn die Funktionäre im Parteivorstand und die Bezirksvorsitzenden Seehofer nicht stürzen wollten, ist nicht sicher, dass er das Ende seiner gewählten Amtszeit erreicht. Sollte die Basis Seehofers Rücktritt fordern, könnte dennoch eine Stimmung entstehen, die für Seehofer gefährlich werden kann. In der SPD hatten sie zur Stabilisierung der Koalition im Bund auf Seehofers Sturz gesetzt - nun könnte es einfach weitergehen wie bisher - mit den Reibereien in der Asyl- und Wohnpolitik inklusive.

MINISTERPRÄSIDENT MARKUS SÖDER: Er genießt bei der CSU-Basis einen großen Rückhalt, viele in der Partei sehen in seinem Engagement einen der Gründe, der einen weiteren Absturz verhinderte. Spannend für Söders Zukunft dürfte langfristig die Machtbalance in der CSU werden, wenn Ende 2019 ein neuer Parteivorstand gewählt wird. Je nachdem, wer sich dabei durchsetzt, könnte Söder unter Druck geraten. Denkbar ist, dass Söder den Posten nun selbst anstrebt, um die CSU neu zu ordnen.

KOALITIONSOPTION CSU/FREIE WÄHLER: Mit ihrem klaren Vorsprung hat die CSU den Regierungsanspruch für sich beansprucht. Eine Koalition gegen die Christsozialen ist quasi nicht möglich. Wahrscheinlichster Partner sind die Freien Wähler, die inhaltlich der CSU am nächsten stehen. Denkbar - aber sehr unwahrscheinlich - sind auch Bündnisse mit den Grünen und vermutlich sogar mit der abgestürzten SPD. FW-Chef Hubert Aiwanger betont, seine Partei werde der CSU jetzt machbare Vorschläge vorlegen. "Und ich bin überzeugt, die CSU wird anbeißen."

INTERESSANTE WÄHLERWANDERUNGEN: Die CSU hat einer Analyse von Infratest dimap zufolge rund 180 000 Wähler an die Grünen verloren. Ebenso entschieden sich aber auch rund 180 000 bisherige CSU-Wähler für die AfD. Also kann man sagen, dass die, denen der gefühlte Rechtsruck der CSU in Sachen Flüchtlings- und Asylpolitik zu hart war, zu den Grünen überliefen - und wer mehr Härte möchte, zur AfD wechselte. Rund 170 000 Ex-CSU-Anhänger entschieden sich diesmal für die Freien Wähler, die plötzlich Regierungspartei werden können. Und den großen Vorteil haben, dass sie keine Rücksichten auf Berliner Verhältnisse nehmen müssen, sondern nur Bayern im Kopf haben. Die Grünen konnten auch rund 210 000 Anhänger der SPD für sich gewinnen. Und sie mobilisierten 120 000 bisherige Nichtwähler.

HESSEN ALS WEGWEISER: Kanzlerin Angela Merkel und ihre CDU versuchen den CSU-Absturz vor allem als hausgemacht darzustellen, Streit werde nicht belohnt. Aber entscheidend wird nun die nächste Wahl in knapp zwei Wochen in Hessen, wo ein Merkel-Verteidiger, CDU-Vize Volker Bouffier, seine schwarz-grüne Mehrheit verteidigen will. Nicht ausgeschlossen wird in der Union, dass Merkel bei einem Scheitern Bouffiers doch nicht wie geplant erneut im Dezember für das Amt der Parteichefin antritt. Eine Umfrage im Auftrag von Hitradio FFH und "Frankfurter Allgemeine Zeitung" sah die CDU zuletzt bei 29 Prozent, die SPD bei 23 Prozent und die Grünen bei 18 Prozent. Viertstärkste Kraft wäre die AfD (13). Es könnte wegen starker Grüner wieder für Schwarz-Grün reichen. Dann könnte es in der SPD zur Explosion kommen, wenn es auch hier eine Pleite gibt und Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel scheitert - denn Hessen ist jetzt die letzte Hoffnung.

SCHÄUBLES INTERVIEWS: Die Zweifel an Merkel sind da - die ganze Koalition schleppt sich seit dem Start von Krise zu Krise, über allem schwebt der ungelöste Konflikt um ihre, das Land rasant verändernde Flüchtlingspolitik und dem damit verbundenen AfD-Aufstieg. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) sorgt mit Interviews für Aufhorchen. Merkel sei "nicht mehr so unbestritten", sagt er. Sein Wort hat Gewicht in der Union. Dem 76-Jährigen wird in der CDU nachgesagt, er könne sich vorstellen, bei einem Scheitern Merkels zum Abschluss seiner langen Karriere selbst doch noch ins Kanzleramt zu wechseln.

IN DER SPD GÄRT ES: "Es ist uns nicht gelungen, uns von dem Richtungsstreit in der CDU/CSU frei zu machen", sagt SPD-Chefin Andrea Nahles. Juso-Chef Kevin Kühnert und einflussreiche Politiker des linken Flügels haben keine Lust mehr auf Durchhalteparolen und Ablenkungsversuche von Fehlern. Was bringt es, ständig Sachen zu fordern, wie einen fünfjährigen Mietenanstiegsstopp, wenn das mit der Union ohnehin nicht durchzusetzen ist. Kühnert fordert klare Ansagen, wie die SPD aus dem Siechtum rauskommen will. Und fragt ob der ganzen Durchhalteparolen, wie lange Geduldsfäden "gespannt", "sehr gespannt" oder "kurz vorm reißen" sein können, bevor sie dann mal reißen?

KOALITIONSBRUCH ALS OPTION: Schweißperlen bei SPD-General Lars Klingbeil, eine genervte Nahles - der Wahlabend bei der SPD in Berlin zeigt vor allem: Antworten hat keiner so Recht. Bei ihrer ersten Wahl als SPD-Chefin steht für Nahles wohl das schlechteste Wahlergebnis bei einer Landtagswahl in der Geschichte der Bundesrepublik - bisher waren das 9,8 Prozent in Sachsen 2004. Mehr als die CSU verloren, die man doch für alles Übel in der großen Koalition verantwortlich macht. Die bayerischen Jusos fordern den sofortigen Bruch - um sich in Ruhe und mit linkem Profil zu erneuern. Auch Vizekanzler Olaf Scholz rückt in den Fokus der Kritik: seine arrogante Art, sein Mitte-Kurs und Verteidigen der "schwarzen Null" statt Investitionsoffensiven zum Wohle der Bürger zu starten, geht vielen Genossen auf den Keks.

GRÜNER HÖHENFLUG: Es ist eine schleichende, aber sich verfestigende Verschiebung im linken Lager. Gerhard Schröders Dogma könnte sich umkehren. Der Kanzler hatte zu den Grünen zu Beginn von Rot-Grün gesagt: "Der Größere ist der Koch, der Kleinere der Kellner." Die SPD holte 1998 noch 40,9 Prozent, die Grünen 6,7 Prozent. Nun sind die Grünen in Bayern fast doppelt so stark und liegen auch im Bund vorn. Klarer Kurs in Sachen Flüchtlingspolitik und Klimaschutz, frischer Wind mit dem Duo Robert Habeck/Annalena Baerbock und viel Verdruss über die große Koalition beflügeln den aktuellen Höhenflug, der fast an den Hype um sie nach der Atomkatastrophe in Fukushima erinnert.

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