Analyse: Wahlsieg Erdogans lässt viele Berliner Türken kalt

Berlin · Am Abend der türkischen Präsidentschaftswahl herrscht bei den Türken in Berlin ein Gefühl der Zwangsläufigkeit. Das erwartete Ergebnis ist eingetreten, und Anhänger wie Gegner des neuen Staatsoberhauptes nehmen es eher teilnahmslos zur Kenntnis.

 Zwei Männer türkischer Herkunft sehen in einem Cafe in Berlin die Berichterstattung über die Präsidentenwahl in der Türkei. Foto: Tim Brakemeier

Zwei Männer türkischer Herkunft sehen in einem Cafe in Berlin die Berichterstattung über die Präsidentenwahl in der Türkei. Foto: Tim Brakemeier

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"Was für eine Wahl, Alter? Ist doch alles pille-palle", sagt ein junger Türke vor dem Café Altin Köse in Berlin-Kreuzberg. Die Männer um ihn herum lachen. Statt drinnen die Wahlberichterstattung im Fernsehen zu verfolgen, sitzen sie an diesem schwülen Sommerabend lieber vor dem Lokal und unterhalten sich.

"Ist mir scheißegal, ob Erdogan gewonnen hat oder nicht", meint der 42-jährige Turgut. Der Taxifahrer ist in Berlin geboren und war als deutscher Staatsbürger nicht wahlberechtigt. "Aber meine Frau hat für "Brot" gestimmt." Damit ist Ekmeleddin Ihsanoglu gemeint, dessen Vorname dem türkischen Wort für Brot ähnelt. Ihsanoglu wurde Zweiter hinter dem Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Die Nachricht von dessen Sieg führt in Berlin weder zu Feiern noch zu Protesten. Die Ruhe in den Straßen von Kreuzberg und Neukölln, wo viele der knapp 140 000 Berliner mit türkischer Staatsangehörigkeit leben, bestätigt den Eindruck vom Olympiastadion eine Woche zuvor. Dort und in weiteren Wahllokalen außerhalb der Türkei konnten Auslandstürken zum ersten Mal an einer Wahl in ihrem Herkunftsland teilnehmen, ohne dorthin reisen zu müssen. Die Wahlbeteiligung im Ausland fiel mit 8,3 Prozent mickrig aus.

Im Neuköllner Café Can hat Hüseyin eine Erklärung für die Apathie seiner Landsleute. "Jeder wusste doch schon lange vorher, dass Erdogan gewinnt", meint der 59-Jährige. Die anderen beiden Kandidaten hätten angesichts des Geldes und der Macht des Regierungschefs keine Chance gehabt. Im Fernsehen läuft ein türkisches Programm zur Wahl. Die Augen der Männer im Lokal sind auf die Spielsteine vor ihnen gerichtet. Sie spielen Okey und trinken Tee oder Bier.

Laut dem türkischen Staatssender TRT stimmten mehr als zwei Drittel der türkischen Wähler in Deutschland für Erdogan. Ali Osman Tuncer war einer von ihnen. Der 80-Jährige Tischler lebt seit 50 Jahren in Deutschland, spricht aber kaum ein Wort Deutsch. Unter Erdogan sei vieles in der Türkei besser geworden, er habe Autobahnen und Flughäfen gebaut, sagt Tuncer. "Guck!" Er deutet auf den Fernseher im Café Beylerbeyi in Kreuzberg. Dort ist eine Menschenmenge zu sehen, die Erdogans Wahlsieg bejubelt. In Berlin schaut kaum jemand hin.

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