Wahlen Analyse: Merkel vorneweg

Hangzhou/Berlin · Die Wahl in Mecklenburg-Vorpommern hat Symbolkraft. Erstmals spricht Merkel aus, was alle wissen – aber aus ihrem Mund hat es eine andere Wucht: Viele Menschen hätten kein Vertrauen mehr - als Parteichefin und Kanzlerin trage sie die Verantwortung dafür. Aber was nun?

Das war ein harter Tag für Angela Merkel im fernen Hangzhou. Die bittere Wahlniederlage in ihrem Heimatverband Mecklenburg-Vorpommern in den Knochen, muss sie den G20-Gipfel in China am Montagmorgen erstmal verlassen.

Noch wichtiger als Gespräche mit den großen internationalen Partnern ist die Telefonschalte ins Konrad-Adenauer-Haus in Berlin. Da ist es 9 Uhr morgens in Berlin und schon 15 Uhr bei Merkel im Fernen Osten.

Es geht darum, Scherben aufzusammeln und zu kitten, was zu kitten ist. Schließlich stellt sich Merkel am frühen Nachmittag deutscher Zeit vor die Kameras und sagt diesen Satz: "Natürlich hat das was mit der Flüchtlingspolitik zu tun." Und sie als Parteichefin und Kanzlerin trage die Verantwortung, da lässt Merkel überhaupt keine Zweifel aufkommen: "Alle müssen darüber nachdenken, wie können wir jetzt das Vertrauen wieder zurückgewinnen - und vorneweg natürlich ich."

Das heißt nicht, dass Merkel Fehler einräumt, denn sie hält es nach wie vor für richtig, Flüchtlingen in der Not geholfen zu haben. Aber sie verortet einen Teil der Schuld für die Wahlschlappe bei sich. Das könnte Konsequenzen haben – in beide Richtungen. Die einen könnten Merkel dadurch geschwächt sehen. Andere könnten das aber auch als langersehntes Zugeständnis werten und womöglich besänftigt werden.

CSU-Chef Horst Seehofer hatte bisher vergeblich darauf gesetzt, dass Merkel sich selbstkritisch äußert. Er will unbedingt Recht behalten, dass die Kanzlerin Deutschland in eine schwierige Lage gebracht hat. Anerkennende Stimmen, dass Deutschland durch die Willkommenskultur im vorigen Jahr in der Welt ein ganz neues Ansehen erworben habe, sind in der Union seltener anzutreffen.

Merkels Stärke war es immer, in Krisenzeiten einen kühlen Kopf zu bewahren. Sie hält viel aus und lange durch. Auch jetzt käme es für sie eigentlich darauf an, Zeit zu gewinnen. Abzuwarten, bis sich die Lage wieder beruhigt hat. Das Problem: Merkel hat keine Zeit mehr.

Erstens: In knapp zwei Wochen wird in Berlin gewählt. In der Hauptstadt ist die Gemengelage zwar eine andere als im Nordosten. Die Gefahr für die Kanzlerin-Partei, vom zweiten auf den dritten Platz verdrängt zu werden, droht nicht von der AfD, sondern von den Grünen. Die Landes-CDU hat sich in den vergangenen fünf Jahren nicht richtig profilieren können. Das wird aber nicht Merkel, sondern Landeschef Frank Henkel zugeschrieben. Dennoch wäre ein solcher Ausgang eine weitere Schwächung auch von Merkel, deren Basis in den Ländern bröckelt. Läuft es ganz schlecht, könnte die CDU sogar auf Platz vier zurückfallen - wenn auch noch die Linkspartei stärker als sie wird.

Zweitens: Beim CDU-Bundesparteitag im Dezember in Essen sind Vorstandswahlen. Nach jetziger Lage der Dinge ist der Unmut bei den Christdemokraten so groß, dass sie Merkel einen Dämpfer verpassen könnten. Doch tritt sie überhaupt noch einmal an? Merkel selbst hat deutlich gemacht, dass sie Kanzleramt und Parteivorsitz für untrennbar hält. Demzufolge müsste sie bis dahin auch über eine vierte Kanzlerkandidatur entschieden haben. Das sind jetzt auch nur noch gut drei Monate.

In Merkels Umfeld hieß es lange, selbstverständlich rechne man mit einer vierten Kandidatur. Zu mächtig, zu gut, zu fit sei sie, als jetzt aufhören zu können. Außerdem habe die CDU niemand anderen. Doch immer wieder wird der bald 74-jährige Finanzminister Wolfgang Schäuble als mögliche Alternative genannt. Außerdem habe man vor elf Jahren auch geglaubt, Merkel sei eine Übergangskandidatin. Die CDU habe personelle Potenziale, diese müssten aber erst einmal sichtbar werden können. Solange Merkel da sei, gehe das schlecht.

Inzwischen wird nicht völlig ausgeschlossen, dass Merkel Ende des Jahres aufs Weitermachen verzichten wird, sollte sie das Gefühl haben, bei Bürgern und Partei keine ausreichende Unterstützung mehr zu genießen.

Schon werden Vergleiche mit dem Schicksal ihres SPD-Vorgängers Gerhard Schröder laut, der seine ungeliebten Hartz-IV-Reformen quasi gegen die Parteibasis durchzog. Viele sozialdemokratische Stammwähler wechselten zur Linkspartei und kehrten nicht mehr zurück. Ähnliches könnte Merkel nun wegen ihrer Flüchtlingspolitik auch drohen. Dass die Kanzlerin wie damals Schröder die Flucht nach vorne in Neuwahlen suchen könnte, gilt als ausgeschlossen - von ihr ist bekannt, dass sie die damalige Entscheidung des SPD-Mannes für fatal hält.

In Parteikreisen heißt es deswegen, Merkel wisse sehr wohl, dass die Lage schwieriger als bei ihrer dritten Kandidatur vor drei Jahren sei. Aber letztlich sei sie eine Kämpferin mit viel Verantwortungsgefühl für die Partei, die es reizen werde, das Blatt zu wenden. Und dabei sei sie mit all der Gestaltungsmacht einer Kanzlerin klar in der Vorhand.

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