Analyse: Flüchtlingsschelte vom Innenminister

Berlin/Wiesbaden · Schrille Töne liegen Thomas de Maizière eigentlich nicht. Der CDU-Mann ist eher der sachliche Typ, unaufgeregt, differenziert. Umso mehr überrascht, was der Bundesinnenminister nun an Beobachtungen über Flüchtlinge in Deutschland kundtut.

 Roma verkünden in Hamburg vor der Hauptkirche St. Michaelis "Alle Roma bleiben hier". Foto: Markus Scholz

Roma verkünden in Hamburg vor der Hauptkirche St. Michaelis "Alle Roma bleiben hier". Foto: Markus Scholz

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Bis zum Sommer seien viele dankbar gewesen, hier zu sein, meint er. Aber das habe sich geändert. Nun gebe es viele, die sich nicht registrieren ließen, die glaubten, sie dürften selbst entscheiden, wo sie unterkommen, die nicht mehr mit der Polizei und anderen Behörden kooperieren wollten.

"Sie gehen aus Einrichtungen raus, sie bestellen sich ein Taxi, haben erstaunlicherweise das Geld, um Hunderte von Kilometern durch Deutschland zu fahren", sagt de Maizière. "Sie streiken, weil ihnen die Unterkunft nicht gefällt, sie machen Ärger, weil ihnen das Essen nicht gefällt, sie prügeln in Asylbewerbereinrichtungen."

Oppositionspolitiker schütteln den Kopf. Stammtischrhetorik sei das. Sie warnen davor, Stimmung zu machen und Neiddebatten loszutreten. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen Rechtsextreme und Mitläufer vor Flüchtlingsheimen aufmarschieren und gegen Ausländer hetzen.

Bei heiklen Themen hat de Maizière in der Vergangenheit durchaus Fingerspitzengefühl bewiesen. Beim Dialog mit Muslimen etwa gelang es ihm, auf ruhige Art einiges zu kitten, was sein Vorgänger Hans-Peter Friedrich (CSU) an Zerwürfnissen hinterlassen hatte. Zu Beginn des Jahres, als der Terror von Paris auch in Deutschland für große Verunsicherung sorgte, gab sich de Maizière als Ruhepol der Nation. Er trat besonnen auf, bemühte sich, übersteigerten Ängste und gesellschaftlichen Spannungen entgegenzutreten.

Doch der Druck auf de Maizière ist derzeit enorm. Er hatte schon in den vergangenen Monaten zu kämpfen: Die Geheimdienstaffäre holte den früheren Kanzleramtsminister ein. Auch die Altlasten aus seinem Amt als Verteidigungsminister - so das Sturmgewehr G36 - machten ihm zu schaffen. Aber das Thema Flüchtlinge, das sich über viele Monate zu einem übergroßen Problem aufbaute, ist die wahre Bewährungsprobe für de Maizière.

Die Länder und Kommunen sitzen ihm im Nacken, Behörden und Bundespolizei ebenfalls. Die Opposition attackiert seine Politik, wo sie kann. Auch der Koalitionspartner setzte ihm zuletzt mächtig zu, mit unangenehmen Attacken bis hin zu Rücktrittsforderungen.

Lange lief die Bundesregierung der Entwicklung einigermaßen ratlos hinterher. Nun bemüht sich de Maizière, mit einem ganzen Bündel von Entscheidungen, Gesetzesplänen, Auftritten und Spitzentreffen Herr der Lage zu werden. Dabei setzt er schon seit langem auf einen Mix aus Härte und Milde, aus guten Taten für die einen Flüchtlinge und Verschärfungen für die anderen.

Alle paar Tage kommt ein neuer Vorstoß. Das große Asylrechts-Paket schiebt der Minister im Eiltempo durch das parlamentarische Verfahren. Und nun hat er direkt den nächsten Gesetzentwurf vorgelegt, zu Flüchtlings-Transitzonen an der Grenze. Doch die CSU drängelt, kommt ständig mit Forderungen nach weiteren Verschärfungen um die Ecke - und droht andernfalls mit Alleingängen in Bayern.

De Maizière muss ohnehin an die eigenen Reihen denken. Seitdem die Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel die Arme für Flüchtlinge ausgebreitet hat und Anfang September - angesichts der dramatischen Lage syrischer Flüchtlinge in Ungarn - entschied, Tausende Migranten unregistriert einreisen zu lassen, tobt in der Union eine hitzige Diskussion um den Kurs in der Asylpolitik. Da sind die Hardliner, die sich ein Signal wünschen, dass auch mal Schluss sein muss mit der Barmherzigkeit. Und da sind die anderen, die wie Merkel, das Grundrecht auf Asyl hochhalten. Beide müssen bedient werden.

In diesem Jahr kommen so viele Asylbewerber nach Deutschland wie noch nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Merkel sagt: "Wir schaffen das." De Maizière sagt: "Wir schaffen das nicht ohne weiteres." Das klingt ein wenig nach einer Art Aufgabenteilung, um die Unions-Leute zusammenzuhalten - aber auch die Bevölkerung, wo sich Hilfsbereitschaft mit zunehmenden Sorgen mischt. In Umfragen macht sich Großzügigkeit derzeit weniger bezahlt. Dort punkten eher jene, die auf einen harten Kurs setzen.

Außerdem sind da noch Behördenmitarbeiter und Bundespolizisten, die de Maizière bedrängen, Probleme und Missstände anzusprechen. Und gleichzeitig müht sich der Minister, den Eindruck zu zerstreuen, es sei alles außer Kontrolle geraten. De Maizière versucht sich in einem extrem schwierigen Spagat.

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