Analyse: Der Middelhoff-Prozess von A bis Z

Essen · Für Thomas Middelhoff war der Essener Untreue-Prozess eine demütigende Erfahrung. Er verbrachte viele Tage auf der Anklagebank, eine Gerichtsvollzieherin nutzte das Verfahren für eine Pfändung. Nach der Urteilsverkündung wurde Middelhoff noch im Gerichtssaal verhaftet.

 Der ehemalige Arcandor-Chef Thomas Middelhoff im Gerichtssaal in Essen. Foto: Roland Weihrauch

Der ehemalige Arcandor-Chef Thomas Middelhoff im Gerichtssaal in Essen. Foto: Roland Weihrauch

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Der frühere Chef des Karstadt-Mutterkonzerns Arcandor, Thomas Middelhoff, ist vom Landgericht Essen wegen Untreue in 27 Fällen und Steuerhinterziehung in drei Fällen zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Worum ging es in dem Verfahren genau? Der Middelhoff-Prozess von A bis Z:

A wie Arcandor

Die Pleite des Arcandor-Konzerns (Karstadt, Quelle, Thomas Cook) im Jahr 2009 war einer der spektakulärsten Firmenzusammenbrüche der Nachkriegszeit. Thomas Middelhoff leitete das Unternehmen bis wenige Monate vor dessen Ende. Im Essener Prozess ging es aber nicht um die Pleite selbst, sondern "nur" um den Verdacht, dass der Manager Arcandor Kosten in Höhe von 1,1 Millionen Euro zu Unrecht in Rechnung gestellt haben soll - vor allem für teure Flüge in Privatjets. Middelhoff wies diese Vorwürfe stets entschieden zurück.

B wie Bombendrohung

Auslöser für die umfangreiche Nutzung von Privatjets war Middelhoff zufolge eine Bombendrohung gegen ein Linienflugzeug, in dem er gesessen hatte. Danach sei er aus Sicherheitsgründen auf Charterjets umgestiegen. Insgesamt nutzte Middelhoff in seiner Zeit bei Arcandor nach eigenen Angaben 610 Mal Privatjets. Er selbst habe 210 Flüge bezahlt, die übrigen 400 seien Arcandor in Rechnung gestellt worden. Im Prozess ging es allerdings nur um 48 dieser Flüge, bei denen die Staatsanwaltschaft die dienstliche Veranlassung bezweifelt. Deren Gesamtkosten beziffert die Anklage ursprünglich auf 945 000 Euro.

C wie Cornelie

Thomas Middelhoffs sonst eher öffentlichkeitsscheue Ehefrau Cornelie erinnerte sich als Zeugin im Essener Prozess vor allem an die hohe Arbeitsbelastung ihres Mannes in der Arcandor-Zeit: "Er hat eigentlich immer gearbeitet, immer, immer."

D wie Dauerstau

Dauerstau auf dem Weg zur Arbeit ist für viele Pendler ein Ärgernis - nicht aber für Middelhoff. Als eine Baustelle am Kamener Kreuz die Fahrt zwischen seinem Wohnsitz in Bielefeld und der Konzernzentrale in Essen zur stundenlangen Quälerei machte, stieg er auf Hubschrauber um. Die Rechnung ging an Arcandor. Middelhoff fand zu Recht: Er habe so effizienter arbeiten können. Doch das Gericht urteilte, er hätte diese Kosten selber tragen müssen.

F wie Festschrift

Ein weiterer Vorwurf der Anklage: 180 000 Euro habe Arcandor auf Veranlassung Middelhoffs für eine Festschrift zu Ehren des ehemaligen Bertelsmann-Chefs Mark Wössner spendiert. Für die Staatsanwaltschaft war das Buch ein "persönliches Geschenk" Middelhoffs an seinen früheren Mentor. Der Manager hätte demnach für das teure Präsent selbst zahlen müssen. Nach Middelhoffs Worten diente die Festschrift dagegen der Verbesserung des Arcandor-Images und der Netzwerkpflege. Doch überzeugte diese Argumentation das Gericht nicht.

G wie Gerichtsvollzieher

Für Middelhoff wurden nach eigener Aussage vor allem die Besuche der Gerichtsvollzieher im Gerichtssaal zur Belastung. Sie nutzten die Gelegenheit, um den im südfranzösischen Saint-Tropez lebenden Manager mit Millionenforderungen seiner Gläubiger zu konfrontieren. In einem Fall pfändete ein Gerichtsvollzieher sogar eine wertvolle Armbanduhr. Die Pfändungsversuche seien demütigend, sagte Middelhoff selbst am Rande des Verfahrens: "Das ist wie ein apokalyptischer Traum."

H wie Haftbefehl

Nach dem Urteil erließ das Landgericht Essen einen Haftbefehl gegen Middelhoff. Das Gericht sehe derzeit Fluchtgefahr bei dem früheren Top-Manager, sagte der Vorsitzende Richter Jörg Schmitt. Middelhoff kommt vorläufig in Untersuchungshaft. In der kommenden Woche werde aber noch einmal geprüft, ob der Manager gegen Kaution oder andere Auflagen auf freien Fuß gesetzt werden könne.

K wie Katze

Für Schlagzeilen sorgte Middelhoff, als er im Juli nach einem Besuch beim Gerichtsvollzieher über ein Garagendach vor den wartenden Journalisten flüchtete. Middelhoff selbst schien stolz auf die Aktion: "Ich bin wie die Katze übers Dach. Ich musste drei Meter tief auf eine Garage springen und dann noch einmal drei Meter auf die Straße", berichtete der 61-Jährige danach. Der Manager hatte beim Gerichtsvollzieher seine Vermögensverhältnisse offenlegen müssen.

L wie Limousine

Trotz des Ärgers mit diversen Gläubigern fuhr Middelhoff an den Verhandlungstagen standesgemäß mit einer Limousine und eigenem Fahrer vor. Allerdings musste er sich nach dem Aussteigen mit allen anderen Anwesenden in die Warteschlange an der Sicherheitsschleuse einreihen.

M wie Mittagessen

Beim Mittagessen zeigte sich Middelhoff an den Prozesstagen bodenständig: Er nahm es in der Regel in der Gerichtskantine ein.

P wie Panne

Der Untreue-Prozess gegen Thomas Middelhoff begann gleich mit einer Panne. Wegen eines Formfehlers des Gerichts am ersten Tag musste das Verfahren am zweiten Tag noch einmal von vorn beginnen. Sowohl die mehr als einstündige Verlesung der Anklage als auch die weit umfangreichere persönliche Erklärung Middelhoffs mussten wiederholt werden. Middelhoff zeigte sich verärgert über die Zeitvergeudung.

S wie Schickedanz

Die Empfehlung, nach der Bombendrohung gegen einen Linienflieger aus Sicherheitsgründen nur noch Charterjets zu nutzen, soll nach den Worten Middelhoffs von der Arcandor-Großaktionärin Madeleine Schickedanz gekommen sein. Sie habe sogar zugesagt, bei Privatflügen die Mehrkosten zu übernehmen, berichtete der Manager. Schickedanz selbst bestritt allerdings als Zeugin eine derartige Zusage vehement.

V wie Verteidigung

Die Verteidigung Middelhoffs hatte einen Freispruch für den Angeklagten gefordert. Dagegen hatte die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten wegen schwerer Untreue verlangt - Middelhoff habe den früheren Karstadt-Quelle-Konzern "nach Gutdünken" mit Kosten seiner zahlreichen externen Nebentätigkeiten belastet. Middelhoffs Verteidiger können gegen das Urteil noch Revision beim Bundesgerichtshof einlegen.

Z wie Zwangsvollstreckung

Eine bei Middelhoff bei einer Taschenpfändung im Essener Landgericht gepfändete Armbanduhr der Nobelmarke Piaget wurde von der Gerichtsvollzieherin nach Zwangsvollstreckungsrecht im Internet versteigert. Der prominente Vorbesitzer ließ die Uhr für die Bieter offensichtlich attraktiv erscheinen: Obwohl ihr Wert in einem Gutachten lediglich auf 2800 Euro geschätzt wurde, erzielte sie bei der Online-Auktion am Ende einen Preis von 10 350,99 Euro.

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