Analyse: Der Balanceakt der Journalisten

Berlin · Hat Marietta Slomka den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel rechthaberisch ins Kreuzverhör genommen oder hat dieser übertrieben dünnhäutig auf berechtigte Fragen reagiert?

Ein Interview im ZDF-"heute journal", das am Donnerstagabend in einem Wortgefecht endete, entzweit die Öffentlichkeit. Die Reaktionen auf Nachrichten- und Medien-Websites reichten am Freitag von der Aufforderung "Frau Slomka, bitte machen Sie so weiter!" bis zu der Kritik: "Ein guter Interviewer hätte mal die Luft rausgenommen".

In dem Gespräch hatte Gabriel verfassungsrechtliche Bedenken zum SPD-Mitgliederentscheid über die große Koalition als "Blödsinn" und "Quatsch" abgetan. Der von Slomka angeführte Jurist Prof. Christoph Degenhart fühlt sich von ihr zwar "zugespitzt", aber im Kern richtig wiedergegeben. Er habe verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Mitgliederbescheid, bestätigte er am Freitag der dpa.

Degenhart findet keineswegs, dass Slomka den SPD-Chef zu hart angegangen ist. "Man ist bei uns immer nur an Wohlfühl-Interviews gewöhnt, gerade im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Ein insistierender Journalismus ist doch nicht schlecht! In Großbritannien oder in den USA ist eine solche Befragung selbstverständlich."

Zuschauer der ebenfalls öffentlich-rechtlichen BBC sind in der Tat an andere Sachen gewöhnt. Als härtester Nachbohrer im Königreich gilt der TV-Journalist und Bestsellerautor Jeremy Paxman. Als ihm der konservative Innenminister Michael Howard 1997 ausweichende Antworten gab, stellte er ihm nicht weniger als zwölfmal dieselbe Nachfrage - ohne dabei übrigens im entferntesten laut zu werden. Die Kontrolle der Politiker durch eine kritische Presse hat in Großbritannien allerdings auch eine ungebrochene Tradition seit dem 18. Jahrhundert.

Deutsche Politiker empfinden unnachgiebiges Nachfragen oft als penetrant. So unterstützte selbst CSU-Chef Horst Seehofer seinen SPD-Kollegen Gabriel und übte am Freitag scharfe Kritik an den nach seiner Ansicht "absurden Fragen" Slomkas.

Und viele Zuschauer bekommen dann das Gefühl, dass der Interviewer verbissen auf seiner eigenen Meinung beharrt. Sie erkennen nicht, dass Journalisten in den meisten Interview grundsätzlich die Gegenposition zu dem Befragten einnehmen - ganz egal, wie sie selbst darüber denken.

Marietta Slomka beschreibt das in einem Video des ZDF so: "Ich bin dann sozusagen der kleine Springteufel, der da immer aus der Kiste rauskommt und bohrend nachfragt, und insofern bin ich dann zuständig fürs Unangenehme."

Oft halten sich jedoch sowohl der Interviewer als auch der Interviewte an ungeschriebene Umgangsregeln - so dass das Frage-und-Antwort-Spiel zum Ritual gerät. Wenn die Kameras aus sind, tauscht man sich unter Umständen viel offener aus. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür lieferte im vergangenen Jahr CSU-Chef Seehofer, der nach der Aufzeichnung eines Interviews mit Claus Kleber plötzlich Tacheles sprach. Kleber hatte die Geistesgegenwart zu fragen, ob man das nicht verwenden dürfe - und erhielt zur Überraschung aller die Antwort: "Sie können das alles senden!"

Fragwürdig wird das kritische Nachfragen, wenn sich der Interviewer damit profilieren will - wenn es ihm also nicht mehr um das Interview geht, sondern um sich selbst. Hier die richtige Balance zu finden, ist schwierig. Aber im Zweifelsfall ist es für einen Journalisten allemal ehrenwerter, wie einst von Helmut Schmidt mit einem "Wegelagerer" verglichen zu werden als mit einem Mikrofonhalter.

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Gabriel-Inerview

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