Ägypter sollen bald über Verfassung abstimmen

Istanbul/Kairo · Gegen alle Bedenken planiert Ägyptens Präsident Mohammed Mursi im Eiltempo den Weg zu einem islamisch ausgerichteten Staat. Am 15. Dezember sollen die Ägypter über eine neue Verfassung entscheiden, die der Scharia und den islamischen Rechtsgelehrten ein noch stärkeres Gewicht verleiht.

 Tagelang hatten Gegner und Befürworter von Ägyptens Präsident Mohammed Mursi gegen oder für seinen autoritären Kurs demonstriert. Foto: Khaled Elfiqi

Tagelang hatten Gegner und Befürworter von Ägyptens Präsident Mohammed Mursi gegen oder für seinen autoritären Kurs demonstriert. Foto: Khaled Elfiqi

Foto: DPA

Auf der Straße demonstrierten derweil radikale Islamisten ihre Macht und schüchterten die Justiz ein. Mit einer Blockade rund um das oberste Verfassungsgericht in Kairo verhinderten Tausende eine Anhörung zur Legitimität des von Islamisten dominierten Verfassungsgremiums, das zuvor den neuen Entwurf ausgearbeitet hatte. Das Gericht sprach anschließend in einer Erklärung am Sonntag von einem "moralischen Mordanschlag" auf die Justiz und setzte seine Sitzungen auf unbestimmte Zeit aus. Die Demonstranten hätten die Richter am Betreten des Gebäudes gehindert, hieß es. Das Gericht hatte im Juni das Parlament aufgelöst, in dem ebenfalls die Islamisten eine Mehrheit besaßen.

Der Verfassungsentwurf hatte in der vergangenen Woche für heftige Proteste in Ägypten gesorgt; er spaltet das Land. Liberale und Christen befürchten eine deutlich strengere Auslegung des islamischen Rechts. "Wir hoffen, eine neue Ära in der Geschichte Ägyptens zu beginnen, eine glänzende Zukunft für unser Volk", verteidigte Mursi in einer vom Fernsehen übertragenen Ansprache die Vorlage. "Heute haben wir einen weiteren Schritt getan, um die Revolution zu vollenden."

Zuvor waren Zehntausende seiner Anhänger aus dem ganzen Land in die Hauptstadt Kairo geströmt, um den Präsidenten zu unterstützen. "Säubere das Land - und wir sind mit Dir, unser Führer" oder "Der Koran ist unsere Verfassung", lauteten einige der Parolen. Nach Angaben der Muslimbruderschaft - aus deren Reihen Mursi kommt - hatten 23 Parteien und Bewegungen zur Teilnahme an der Kundgebung aufgerufen, darunter auch radikalislamische Salafisten.

Der Oppositionspolitiker und Friedensnobelpreisträger Mohammed el Baradei erklärte über den Kurznachrichtendienst Twitter: "Mursi hat einen Verfassungsentwurf zur Abstimmung gestellt, mit dem Grundfreiheiten untergraben und universelle Werte verletzt werden. Der Kampf geht weiter."

Gegner Mursis setzten auch am Wochenende ihren Protest auf dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo fort. In der Hafenstadt Alexandria kam es nach Angaben der ägyptischen Tageszeitung "Al-Masry Al-Youm" zu Zusammenstößen zwischen Anhängern und Gegnern Mursis. Laut Bericht wurden zehn Menschen verletzt.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle äußerte sich besorgt über die Lage am Nil. Der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" ("FAS") sagte der FDP-Politiker, der Verfassungsprozess in Ägypten laufe Gefahr, die Gesellschaft zu spalten, statt sie zu einen. Es sei problematisch, dass sich wichtige gesellschaftliche Gruppen wie Säkulare und Christen außen vor fühlten. Grundlage für eine dauerhafte und friedliche Entwicklung in Ägypten könne nur eine "pluralistisch angelegte Verfassung" sein.

Der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, plädierte für politischen Druck auf Mursi. "Die Europäische Union muss unmissverständlich klarmachen, dass es ohne plurale Demokratie in Ägypten weder wirtschaftliche noch politische Zusammenarbeit geben kann", sagte er der "FAS".

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort