WM-Stichtag 8. Juli 1990: Als der Kaiser spazieren ging

Die deutschen Spieler hatten wenige Minuten zuvor den WM-Pokal überreicht bekommen. Jetzt feierten sie auf einer Ehrenrunde im römischen Olympiastadion ihren 1:0-Sieg im Finale der WM 1990 gegen Argentinien. Der Teamchef allerdings war nicht dabei: Franz Beckenbauer hatte sich einen ruhigeren Ort ausgesucht. Der Kaiser, die Medaille um den Hals, ging auf dem Rasen spazieren. "Der einsame Flaneur inmitten des tobenden Stadions", schrieb Beckenbauers Biograf Torsten Körner.

Worüber er dabei nachdachte: Beckenbauer selbst schrieb zwei Jahre später in seiner Autobiografie, in diesen Momenten hätte er sich vom Fußball gelöst. "Es war ein Abschied ohne Wiederkehr. Es ist kein Feuer mehr in mir, keine Leidenschaft."

Die aber war in den Wochen zuvor stets spürbar. So hätte die deutsche Mannschaft gegenüber allen anderen die "ungemein ernsthafte Konzentration auf das Ziel, das Weiterkommen, das Finale, den Titel" ausgezeichnet, schrieb Körner. Der als Spieler immer so leichtfüßig daherkommende Beckenbauer hatte in harter Arbeit jeden Gegner ausgiebig studiert und sein Team so eingestellt, dass es nicht überrascht werden konnte. Auch nicht von den Argentiniern im Finale. Da traf Andreas Brehme in der 85. Minute per Strafstoß zum entscheidenden 1:0.

Nach der Jubelarie über Deutschlands dritten WM-Titel und Beckenbauers Spaziergang schoss der Teamchef dann doch noch ein Eigentor. Im Überschwang der Gefühle und im Blick auf die wenige Monate später kommende Wiedervereinigung meinte er: "Wir sind jetzt die Nummer eins in der Welt, und ich glaube, dass der deutsche Fußball mit einer noch kompakteren Auswahl durch die Spieler aus der DDR über die Jahre hinweg nicht zu besiegen sein wird. So Leid mir das für den Rest der Welt tut." Seinem Nachfolger Berti Vogts war das alles andere als recht.

In der Serie WM-Stichtag erinnern wir täglich an markante Momente in der Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaften.

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