Der Weg ist das Ziel

Meine Erlebnisse beim 55. Bundeswettbewerb "Jugend musiziert" in Lübeck.

 Bei "Jugend musiziert" zeigen junge Musiker ihr Können.

Bei "Jugend musiziert" zeigen junge Musiker ihr Können.

Foto: SUTEISHI/THINKSTOCK

Im Jubiläumsjahr zum 875-jährigen Bestehen war die Stadt Lübeck Veranstaltungsort des Wettbewerbs "Jugend musiziert". Im Mai haben sich etwa 2600 junge Leute zwischen 13 und 27 Jahren in Lübecks Mauern versammelt, die in rund 1700 Wertungsspielen an 27 Veranstaltungsorten im Stadtgebiet dem Publikum ihr Können zeigten. Das hat sich die Stadt etwas kosten lassen: 300 000 Euro hat Lübeck als Zuschuss an den Deutschen Musikrat für die Gastgeberrolle gezahlt. Die Gesamtkosten betrugen knapp eine Million Euro.

Für viele musizierende Kinder und Jugendliche ist der Wettbewerb das Highlight jedes Jahr: Tausende junge Instrumentalisten aus ganz Deutschland finden sich an den Wettbewerbsorten ein, um sich mit Gleichaltrigen zu messen und sich den Urteilen der Jury zu stellen. Zuerst müssen sie jeweils im Januar am Regionalwettbewerb teilnehmen. In diesem Jahr gab es 18 000 Teilnehmer. Die ersten Preisträger qualifizieren sich im März in einen der insgesamt 16 Landeswettbewerben mit 7000 Teilnehmern. Die Besten durften nach Lübeck zum Bundeswettbewerb fahren. Seit seiner Gründung 1963 haben mehr als 750 000 junge Musiker teilgenommen.

Bonn - Lübeck: Nach fast sieben Stunden Zugfahrt mit drei Mal Umsteigen und mit einer Stunde Verspätung kommen meine Klavierpartnerin Michelle und ich (Violine) sowie unsere Mütter im Lübecker Hauptbahnhof an. Nur noch acht Minuten Zeit bis zum Annahmeschluss! Der Taxifahrer wird zum Retter und Rennfahrer. Mit quietschenden Reifen hält er vor der Kongresshalle, dem Anmeldungsort - genau eine Minute vor Schließung. Wir haben es geschafft.

Am nächsten Morgen laufen wir zu Fuß zum Kolosseum, wo das Wertungsspiel stattfinden wird. Das Kolosseum sieht von außen sehr schlicht aus. Wir haben einen fünfminütigen Akustiktest und einen Einspieltermin vor der Wertung. Der Akustiktest ist wichtig, besonders für die Pianistin, weil sie die Klaviertasten und den Klang ausprobieren muss. Wir haben 40 Minuten Zeit, um uns warm zu spielen. Vor dem Auftritt mache ich meine Augen zu, atme drei Sekunden tief ein und aus. Dann gehe ich langsam die Treppen zur Bühne hoch. Tausend Gedanken rasen durch meinen Kopf. Mir läuft es heiß und kalt den Rücken hinunter. Mein Herz schlägt wie verrückt und ich spüre, wie trocken meine Lippen sind.

Auf der Bühne erwartet uns der Vorsitzende der Jury. Er kündigt die Stücke an, die wir spielen werden. Michelle und ich verbeugen uns. Ich stimme meine Geige nochmals, mache einen Schritt zum Publikum, gebe einen Auftakt mit dem Bogen und dann spielen wir gemeinsam zuerst die Sonate G-Dur (op. 30-3) von Ludwig van Beethoven, dann die dritte Grieg-Sonate (c-Moll). Ich liebe die beiden Stücke, besonders das Stück von Grieg. Und ich liebe es, auswendig zu spielen, weil ich nicht umblättern muss. Nach jedem Vorspiel bin ich immer froh, dass ich nicht aus dem Stück rausgeflogen bin. Nach der Verbeugung gehen wir zum Bühnenausgang und packen unsere Sachen. Geschafft!

Pünktlich um 17 Uhr bin ich wieder im Kolosseum, um ein persönliches Beratungsgespräch mit der Jury wahrzunehmen. Die Jury gibt den Teilnehmern Tipps und Ratschläge für ihre weitere musikalische Laufbahn. Außer mir sind noch einige da, die an dem Tag spielten. Wir kennen uns nicht, sind außerdem Konkurrenten, aber wir kommen dennoch ins Gespräch, schließlich haben wir Gemeinsamkeiten. Dieser Austausch tut gut.

Es ist das Wesen eines Wettbewerbs, dass es Gewinner und Verlierer gibt. Überhaupt bin ich glücklich, dass ich diese Tour gemacht habe. Ich habe die Hinfahrt wie ein Abenteuer erlebt und die Spannung des Wertungsvorspiels durchlebt; lernte wieder ein paar Musikfreunde kennen; habe die schöne alte Hansestadt Lübeck besichtigt: mit dem beeindruckenden Holstentor und den beiden schönen Kirchen. Für mich ist jeder Bundeswettbewerb "Jugend musiziert" wie ein verdienter Urlaub von den Qualifikationen im Vorfeld, vor allem vom ersten Preis beim Landeswettbewerb. Und ja: Zum Glück durfte ich wieder auf dem Siegertreppchen stehen, mit einem dritten Preis. Jetzt bin ich eine Bundespreisträgerin.

Ergebnisse sind nicht unbedingt wichtig. Denn das Ziel ist das Üben. Mit dem Wettbewerb habe ich die zwei schöne Literaturen (Grieg und Beethoven) richtig kennengelernt, geübt und so gut gespielt, wie ich konnte. Deshalb mache ich nächstes Jahr wieder mit. Mitmachen ist alles, denn der Weg ist das Ziel.

Amos-Comenius-Gymnasium, Klasse 8b, Schuljahr 2017/18

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