Eine Europäische Verfassung in naher Zukunft

Helmut Kohl, der Kanzler der deutschen Einheit, zu Kritik, Machtverlust, Ehrenämtern Freizeit, Europa, Terrorgefahr und seinem neuesten Buch "Erinnerungen"

  Überzeugter Europäer:  Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl spricht beim Europa-Fest in Zittau anläßlich der Feierlichkeiten Sachsens zur Erweiterung der Europäischen Union. Foto: dpa

Überzeugter Europäer: Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl spricht beim Europa-Fest in Zittau anläßlich der Feierlichkeiten Sachsens zur Erweiterung der Europäischen Union. Foto: dpa

Bad Godesberg. Helmut Kohl war von 1982 bis 1998 Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Da er ein sehr erfahrener Politiker ist, wollten wir seine persönliche Einschätzung und Meinung zu bestimmten Themen kennen lernen.

Durch private Beziehungen konnten wir, Johanna Mertes (13) und Katharina Schmitz (13), Kontakt zu ihm aufnehmen und haben Fragen zusammengestellt, die für uns Jugendliche von besonderem Interesse sind. Zunächst waren wir etwas skeptisch, ob Helmut Kohl unsere Fragen beantworten und ernst nehmen würde. Als er uns dann eine ausführliche Beantwortung zusandte, waren wir angenehm überrascht.

Klasse: Hat Ihnen das Kanzleramt Freude bereitet?

Helmut Kohl: Das Amt des Bundeskanzlers ist - wie viele andere Aufgaben auch - mit viel Arbeit verbunden. Aber man muss, wenn man eine Aufgabe wirklich meistern will, mit Freude und Zuversicht an die gestellten Herausforderungen herangehen. Und wenn es einem dann gelingt, Probleme zu lösen und man etwas für die Menschen erreichen kann, dann bereitet dieses Amt bei aller Arbeit auch sehr viel Freude.

Klasse: Hatten Sie als Bundeskanzler noch genügend Zeit für Ihre Familie und Ihre Freunde?

Kohl: Wenn man viele Stunden am Tag arbeitet, auf Reisen ist und auch am Wochenende Termine wahrnehmen muss, bleibt leider oft zu wenig Zeit für die Familie und die Freunde. Oft waren meine Frau Hannelore und meine Söhne die Leidtragenden meines Amtes. Ich weiß sehr genau, dass ich, nur weil mich meine Frau voll und ganz unterstützt hat, mein Amt ausüben und den Weg gehen konnte, den ich gegangen bin.

Klasse: Wurden Sie oft kritisiert oder beleidigt?

Kohl: Kritik gehört zur Politik, wie zu jeder anderen Arbeit auch. Das merkt man schon als Schüler in der Schule. Kritisiert zu werden, ist nicht nur etwas Negatives. Kritik kann helfen, Fehler zu vermeiden und Dinge später besser zu machen. In der Politik gibt es aber leider oft auch eine Form von Kritik, die gar nicht sachlich begründet ist und die beleidigen will. In den vielen Jahren, ich war 44 Jahre Parlamentsmitglied, habe ich gelernt, diese verschiedenen Arten von Kritik auseinander zu halten und damit umzugehen.

Klasse: Wie sind Sie damit klar gekommen, dass Sie bei der Wahl gegen Gerhard Schröder verloren haben?

Kohl: Es gehört zur Demokratie, dass man Ämter und damit Macht von den Wählern nur auf Zeit verliehen bekommt. Gerade das unterscheidet eine Demokratie von einer Diktatur. Deswegen war es ein normaler Vorgang, wie ihn unser Grundgesetz und die parlamentarische Demokratie vorsieht, dass die Wähler nach vier Jahren entscheiden, wer Regierungschef werden soll. Ich hatte das Glück, in vier Bundestagswahlen als Bundeskanzler immer wieder gewählt zu werden.

Klasse: Würden Sie die Chance nutzen, ein weiteres Mal Bundeskanzler zu sein?''

Kohl: Ich war - wie ich schon gesagt habe - 44 Jahre Mitglied verschiedener Parlamente, acht Jahre Ministerpräsident und 16 Jahre Bundeskanzler. Nach so vielen Jahren in wichtigen Ämtern und Funktionen strebe ich nicht nach neuen Aufgaben. Ich werde keine neuen Ämter oder Funktionen annehmen.

Klasse: Sind Sie momentan noch politisch aktiv?

Kohl: Für die aktuelle Tagespolitik tragen jetzt andere die Verantwortung. Da mische ich mich nicht ein. Es gibt allerdings viele politische Freunde in Deutschland und auch aus dem Ausland, die mich immer wieder um Rat fragen. Das war zum Beispiel bei der Entstehung der neuen europäischen Verfassung so, und ich habe gern meine Erfahrungen bei diesen Gesprächen in die politische Entscheidungsfindung eingebracht. Und es gibt viele junge Parlamentarier, die das Gespräch mit mir suchen.

Wenn sie mit mir sprechen wollen, dann gebe ich gern meine Einblicke aus über 40 Jahren an sie weiter. Viele bitten mich auch bei Wahlkämpfen um Unterstützung. Aber ich kann bei weitem nicht allen Wünschen nachkommen.

Klasse: Was betreiben Sie als Freizeitaktivitäten?

Kohl: Ich bin mein Leben lang eine "Leseratte" gewesen. Und so verbringe ich auch meine heutige Freizeit vor allem mit dem Lesen von Büchern. Und ich genieße es jetzt, wenn mich ein Buch ganz besonders fesselt, auch die halbe Nacht durch zu lesen und dann am Morgen etwas länger schlafen zu können.

Klasse: Wie sehen Sie die Zukunft Europas?

Kohl: Die Geschichte Europas in den letzten 50 Jahren ist eine Erfolgsgeschichte. Dabei ging nicht immer alles glatt, oft kann man zwei Schritte vor und musste dann wieder einen Schritt zurückgehen. Am 1. Mai sind zehn neue Staaten der Europäischen Union beigetreten. Wir werden in naher Zukunft auch eine Europäische Verfassung haben, davon bin ich überzeugt. Das alles geht nicht reibungslos vonstatten, und es wird auch Probleme geben. Aber wir werden diese Schwierigkeiten meistern, wenn wir es nur wollen.

Und das müssen wir, denn zu einem friedlichen Miteinander in Europa gibt es keine Alternative. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, jetzt vor fast 60 Jahren, gab es in Europa über Jahrhunderte immer wieder Kriege mit vielen Toten und viel Leid. Keiner will dahin zurück, sondern wir wollen Frieden und Freiheit für Europa und dazu brauchen wir die europäische Einigung, die Schritt für Schritt weiter vorangetrieben werden muss. Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg war die Einführung des gemeinsamen Geldes in Europa, die Einführung des Euro.

Es ist für mich heute besonders schön zu sehen, dass gerade Kinder schon heute ganz selbstverständlich mit dem Euro im Sommer ihr Eis bezahlen. In wenigen Jahren werden sie vergessen haben, dass es einmal die D-Mark in Deutschland, die Lira in Italien, den Franc in Frankreich oder den Gulden in Holland gab. Und eine Erfahrung ist ganz wichtig: Länder mit einer gemeinsamen Währung haben nie miteinander Krieg geführt. Deswegen haben wir den Euro eingeführt und er bindet heute Europa ganz eng zusammen.

Klasse: Denken Sie, dass Deutschland vor Terroranschlägen geschützt ist?

Kohl: Deutschland tut sehr viel, um die Menschen bestmöglichst vor den Angriffen von Terroristen zu beschützen. Leider müssen wir die Erfahrung machen, dass es einen totalen Schutz vor oft völlig verblendeten Menschen nicht gibt. Deswegen ist es wichtig, die Ursachen des Terrorismus zu bekämpfen. Und meine Erfahrung ist, dass dort Gewalt entsteht, wo religiöser Hass und soziales Elend aufeinander treffen. Dort, wo das geschieht, muss auch deutsche Politik ihren Beitrag leisten, um Hass und soziales Elend zu bekämpfen.

Klasse: Wir haben von dem Buch gehört, welches Sie neulich geschrieben haben, wovon handelt es?

Kohl: Anfang März ist der erste Teil meiner "Erinnerungen" erschienen. Darin beschreibe ich meinen Lebensweg von 1930, also von meiner Kindheit an, bis zum Jahr 1982, als ich zum Bundeskanzler gewählt wurde. Im nächsten Jahr will ich, wenn ich bis dahin gesund bleibe, meinen zweiten Band veröffentlichen, der dann von 1982 bis heute reicht.

Dieser erste Band ist ein Buch, das auch meine Kindheit, mein Aufwachsen in Ludwigshafen beschreibt, die so ganz anders war, als die Kindheit und Jugend von heute. Meine "Erinnerungen" beschreiben die Geschichte unseres Landes, so wie ich sie erlebt habe.

Clara-Fey-Gymnasium, Klasse 8b

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort