Leben im Alter in Bonn Kommunen denken wieder an sozialen Wohnungsbau

BONN · Experten diskutierten auf der 5. Bonner Immobilienmesse im Telekom Dome über altersgerechtes Wohnen und alternative Wohnformen wie beispielsweise Mehrgenerationen-Projekte.

 In Bonn und der Region fehlen Tausende geeignete Altersruhesitze: Detlef Eckert, Franz-Josef Windisch, Nikolaus Decker, Gerd Hönscheid-Gross diskutieren mit GA-Redakteur Holger Willcke (von links).

In Bonn und der Region fehlen Tausende geeignete Altersruhesitze: Detlef Eckert, Franz-Josef Windisch, Nikolaus Decker, Gerd Hönscheid-Gross diskutieren mit GA-Redakteur Holger Willcke (von links).

Foto: Axel Vogel

Mit zunehmendem Alter stellen sich Immobilienbesitzer eine Vielzahl von Fragen: Taugt das zwei- oder dreistöckige Eigenheim noch als Altersruhesitz oder muss ein neues Wohnumfeld her? Ist möglicherweise eine ganz andere Wohnform sinnvoll, wie das Mehrgenerationenwohnen?

Hinzu kommen weitere Aspekte, die Städte, Kommunen und Politik betreffen: Was muss eine Gesellschaft angesichts des demografischen Wandels tun, um entsprechende Wohnangebote für eine steigende Zahl älterer Bürger zu schaffen? Antworten versuchten Fachleute beim Messetalk auf der 5. Bonner Immobilienmesse zu finden, zu der der General-Anzeiger am Samstag, 27. August 2016, in den Telekom Dome eingeladen hatte.

Gleich zu Beginn gab GA-Redakteur Holger Willcke, der den Talk zum Thema „Wohnen im Alter – ein neues Zuhause für einen neuen Lebensabschnitt“ moderierte, eine provokante Frage in die Runde. Könnte es sein, dass – besonders vor dem Hintergrund der Intensität der derzeit geführten Debatte – „Verbände und Politik dem Ganzen nicht genügend Bedeutung beigemessen haben?“

Nikolaus Decker, Vorsitzender des Bundes Deutscher Architekten (BDA) Bonn/Rhein-Sieg, hatte für die Entwicklung viele Ursachen ausgemacht, die nun kumulieren würden: „Anders als früher werden Immobilien in der Erbfolge nicht mehr zwingend an Familienmitglieder weitergeben.“ Hinzu kommt laut Decker, dass es auch ältere Immobilienbesitzer, deren Kinder aus dem Haus sind oder deren Partner verstorben ist, „in Versorgungszentren mit den entsprechenden technischen Voraussetzungen zieht“.

Eine ähnliche Ausgangslage hat in den 90er Jahren Gerd Hönscheid-Gross motiviert, ein damals ungewöhnliches Projekt auf privater Ebene mit zu initiieren. Nachdem der Familienvater aus dem Ausland nach Beuel zurückgekehrt war, sah er sich mit einem absehbaren Auszug des Nachwuchses und Überlegungen konfrontiert, „wie und wo im Alter wohnen?“ Da er auf ein bereits am Ort diskutiertes Altenwohnprojekt aufmerksam wurde, machte er mit: Es ging um den Bau einer Wohnanlage für mehrere Generationen, ein Konzept, für das es laut Hönscheid-Gross damals „keine Beratungseinrichtungen bei der Stadt gab“. Zudem wollten viele Widerstände überwunden werden.

Hönscheid-Gross machte weiter, weil er merkte: „Der Bedarf war riesig.“ Was allerdings lange fehlte, war ein Baugrundstück. Das fand sich erst 2005 in Vilich-Müldorf, und so entstand auf genossenschaftlicher Basis das Mehrgenerationen-Wohnprojekt Amaryllis eG. Hönscheid-Gross ist Vorstandsmitglied. Hier leben rund 70 Menschen in einer bunten Palette sozialer Lebensformen in drei Häusern mit 33 Wohneinheiten. Hinzu kommt in unmittelbarer Nachbarschaft die Villa Emma eG.

Da laut Hönscheid-Gross aber viele Menschen – und so auch Bewohner der Amaryllis eG und Menschen aus der Umgebung – einen höheren Pflege- und Betreuungsbedarf haben, soll nun in naher Zukunft ein weiteres Wohnprojekt unter dem Dach der Amaryllis eG das Angebot ergänzen: Bei diesem wird es neben dem Mehrgenerationen-Wohnen eine „Wohn-Pflege-Gemeinschaft“ in-klusive einer 24-Stunden-Betreuung geben. Gefragt zu den Kosten für die Mitgliedschaft in einer Genossenschaft rechnet der Experte im Schnitt „mit einem bei Auszug rückzahlbaren Pflichtanteil von 400 Euro pro Quadratmeter, einer deutlich unter dem Mietspiegel liegenden (Kosten-)Miete, inklusive Mithilfe und Solidarität der anderen Bewohner“.

Damit auch weniger betuchte Senioren altersgerecht wohnen können, hat Detlef Eckert, Prokurist der Vereinigten Bonner Wohnungsbau AG (Vebowag), einiges im Bestand seines Unternehmens saniert. „Schließlich stammen rund 4000 der insgesamt 6300 Wohnungen aus den 60er Jahren“, erklärte er. Um wenigstens einen Teil altengerecht herzurichten, wurden laut Eckert etwa 100 Wohnen in Pennenfeld mit Laubengängen verbunden. Die seien nun über neu eingebaute Aufzüge auch für Menschen mit Behinderungen zu erreichen. Aber Eckert weiß auch, dass es damit nicht getan ist.

Darum habe sein Unternehmen bereits 1993 die Seniorenwohnanlage „An der Wolfsburg“ in Schwarzrheindorf mit 54 freifinanzierten und 80 öffentlich geförderten Wohnungen gebaut. „Zudem haben wir in den Neubauplanungen rund 1100 Wohnungen. 600 davon werden wir voraussichtlich in den nächsten sechs Jahren an Bonner Bürger mit Wohnberechtigungsschein übergeben“, führte Eckert aus.

Auch wenn Franz-Josef Windisch, Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Bonn/Rhein-Sieg, die Privatinitiative von Gerd Hönscheid-Gross wie auch die Anstrengungen der Vebowag lobte, betonte er: „Das wird nicht reichen. Allein im Rhein-Sieg-Kreis müssen gemäß eines Pflegeplanungsentwurfes in den nächsten 15 Jahren 21 600 altersgerechte Wohnungen entstehen.“ Um den Bedarf aufzufangen, bedürfe es auch ergänzender Maßnahmen, etwa dem weiteren Ausbau der Wohnraumberatung für ältere und behinderte Menschen.

Um gerade mit Blick auf finanzschwache Senioren die Wohnsituation langfristig zu verbessern, muss zudem laut Windisch ein grundlegendes Problem angegangen werden: „Im Rhein-Sieg-Kreis hatte es beispielsweise lange Zeit eine Phalanx gegen den sozialen Wohnungsbau gegeben“, kritisiert er. In der Folge seien „Vater Staat hohe Kosten für die Grundsicherung entstanden“, sagte er: „Inzwischen nimmt das Interesse am Thema ‚öffentlich geförderter Wohnungsbau‘ aber wieder zu.“ Gerade in dem Punkt sieht er auch im benachbarten Bonn noch einiges zu tun: Besonders hinsichtlich der bislang nicht verpflichtenden Maßgabe, dass bei einem Neubauprojekt 30 Prozent sozial geförderter Wohnungsbau sein sollten. „Diese Maßgabe sollte verbindlich sein wie beispielsweise in München, wo das bestens klappt.“

Auch BDA-Vorsitzender Nikolaus Decker findet die 30-Prozent-Quote prinzipiell richtig: „Sie muss nur in der Umsetzung mit Kompensationsmöglichkeiten gepaart werden, das heißt es muss für den geförderten Wohnungsbau im Gegenzug eine höhere Ausnutzung der Grundstücke möglich gemacht werden“, so Decker. Allerdings ließen die aktuellen Grundstückspreise die Entwicklung von bezahlbarem Wohnraum nicht zu, sagt er: „Die Stadt muss regulierend eingreifen.“

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