Hengasch forever Facebook-Gruppe hält Kult um „Mord mit Aussicht“ am Leben

Nettersheim · Vor fünf Jahren strahlte die ARD die letzte von 39 Folgen der Krimireihe „Mord mit Aussicht“ aus. Eine Facebook-Gruppe hält den Kult wacker am Leben. Auch an den Schauplätzen in der Eifel erinnert man sich gern an die Dreharbeiten.

 Ortsschild in Kallmuth in der Eifel.

Ortsschild in Kallmuth in der Eifel.

Foto: Heinz Dietl

Vorsicht, Trecker von links. Und noch einer von rechts. Wer den Ort Nettersheim in der Eifel besucht, ist gut beraten, beim Überqueren von Straßen auf den Verkehr zu achten. Die Traktoren genießen hier Heimrecht, erst recht auf der Bahnhofstraße. Dort, im Nettersheimer Hof, wohnt und speist der Gast, im Wirtshaus Schruff gegenüber schaut man Bundesliga live, am vergangenen Samstag etwa Bayern gegen den BVB, und man fraternisiert mit den Einheimischen, die an diesem Abend ziemlich aufgekratzt sind, weil im nahen Dorfsaal gleich die Prinzenproklamation der KG „Löstige Höndche“ beginnt. Auch Gäste sind willkommen.

Die Besucher aus Bonn finden schnell Anschluss und stimmen in den ortstypischen Karnevalsruf ein. Das ist nicht „Alaaf“ oder „Helau“, sondern ein phonetischer Mix aus beidem. Die „Lustigen Hunde“ beantworten jeden Tusch mit einem dreifachen „Wau Wau“, während Alex I. und Fiona I. mit ihrem Hofstaat einmarschieren.

Die Menschen in der Eifel gelten vielleicht als etwas verschlossen, doch sie tauen schnell auf und offenbaren dann ihren bisweilen filmreifen Humor. Die Autorin Marie Reiners, die in Köln und in einem Eifeldorf bei Kesseling lebt, hat ihre Beobachtungen in 39 Drehbücher gefasst. Daraus entstand die Krimireihe „Mord mit Aussicht“, die von 2008 bis 2014 in drei Staffeln im Ersten ausgestrahlt wurde. Kuriose Kriminalfälle, verschrobene Typen, Trecker von links und rechts, dazu eine leicht torkelnde Tuba auf der Tonspur: Die Episoden avancierten schnell zum Kult, durchschnittlich 6,5 Millionen Zuschauer saßen seinerzeit vor den Bildschirmen.

„MmA“, wie Fans die Serie abkürzen, spielt im fiktiven Eifeldorf Hengasch im Kreis Liebernich. Die Kriminaloberkommissarin Sophie Haas (Caroline Peters) wäre lieber in Köln geblieben, jetzt löst sie mit den neuen Kollegen Bärbel Schmied (Meike Droste) und Dietmar Schäffer (Bjarne Mädel) in der Diaspora meist harmlose Fälle, die nicht selten im Nirwana dörflicher Beziehungsgeflechte versickern.

Gedreht wurde nicht nur, aber überwiegend in der Eifel. „Bei uns im Nettersheimer Hof entstanden zwei Folgen“, sagt Betreiber Marcus Rohde nicht ohne Stolz. „Eine Szene der Folge ‚Und ewig singt das Blaukehlchen‘ wurde im Blue-Men-Zimmer gedreht.“ – „Blumenzimmer?“ – „Nein, Blue Men, unsere Zimmer tragen Namen, keine Nummern.“

In der Folge „Der Schandbaum“ rauscht Sophie Haas in ihrem roten BWM-Cabrio durch die Bahnhofsstraße. Der Nettersheimer Hof wurde von der Aufnahmeleitung als „Zwiebeldorfer Hof“ ausgeflaggt. Im Innenhof tagt das Mai-Komitee, dem der Sponsor abhanden gekommen ist. Mord?

Doch Nettersheim ist nicht Hengasch. Den Ruf als Original nimmt ein paar Kilometer weiter das Dorf Kallmuth für sich in Anspruch. Dort steht das Bürgerhaus, das in den ersten Staffeln die Polizeiwache darstellte. Auch die St.-Georg-Kirche war oft im Bild. Die 400 Einwohner behalten die Kultserie in bester Erinnerung: Am Ortseingang hat der Ortsvorsteher Robert Ohlerth ein großes Schild aufstellen lassen. Die Serienhelden Caroline Peters, Bjarne Mädel und Meike Droste formieren sich zum Gruße: „Auf Wiedersehen in Hengasch“, darunter der dezente Hinweis auf die Kirmes, die turnusmäßig im September stattfindet.

Bereits jetzt im Dezember veranstaltet das „Ortskartell Kallmuth“ am Bürgerhaus den „Weihnachtsmarkt Hengasch“. Es gibt „kulinarische Spezialitäten aus der Serie, zum Beispiel Ochsenfetzen“. Der Flyer dazu zirkuliert auch im Internet: Die Facebook-Gruppe „Hengasch forever“ registriert, kommentiert und forciert jede Aktivität, die den Kult am Köcheln halten könnte.

8348 Mitglieder posten Lieblingsdialoge, veranstalten kleine Quizrunden und verweisen auf aktuelle Wiederholungstermine im Fernsehen. Und hoffen insgeheim auf die Produktion einer vierten Staffel. Doch daraus wird wohl nichts. „Das Thema ist definitiv durch“, sagt Jozo Juric, Berliner Agent der Schauspielerin Caroline Peters, die zuletzt in „Der Vorname“ eine große Rolle hatte. Die Protagonisten sind längst anderweitig unterwegs, von der Autorin und der Kölner Produktionsfirma gibt es ebenfalls keine Signale. Und so tröstet man sich mit dem Griff in die Mediatheken.

Die Alternative zu retrospektiven Fernsehmomenten findet sich  vielleicht in der echten Realität. Wer Kallmuth und Nettersheim besucht, dreht seinen eigenen Film, und die Geschichten liegen sprichwörtlich auf der Straße. Zum Beispiel beim Spaziergang durch Kallmuth. Neben dem Bürgerhaus fällt ein „Irish Cottage“ auf, ein paar Meter weiter steht ein britischer Oldtimer, lustige Schilder warnen vor Senioren („Slow – Eldery People“) und Hunden („Attention bissiger Dog“). Ein Anwohner klärt auf: Er und seine Nachbarn sind Fans schottischer Musik und Mitglieder der Weilerswist and Destrict Pipe Band. Die Kapelle kann man für Hochzeiten und Geburtstage buchen.

Filmreif gerät auch der Besuch in einem Lokal in Nettersheim. Das Restaurant nennt sich „Freistaat Eifel“. Das Haus ist gut besucht, man sollte reservieren. Aber es gibt Engpässe, die auf der Homepage kommuniziert werden: „Am Sonntag bleibt das Lokal aus chronischem und akutem Personalmangel geschlossen – wir sind nicht amüsiert“, schreibt Chef Recky. Amüsant wiederum sind die Speisekarten in seinem digitalen Archiv. Im Oktober 2013 etwa gab es „Osso Buco – langsam geschmorte Beinscheiben vom Kalb, superzart.“

Achim Konejung kennt noch mehr  Eifelgeschichten. Der bekannte Kabarettist mit Wohnsitz Zülpich erforscht die Region wissenschaftlich. Kürzlich stellte er in Nettersheim sein neues Buch „Eifeler Unterwelten“ vor. In Bild und Text präsentiert Konejung „120 Höhlen, Bunker, Tunnel, Eiskeller und Weinkeller“.

In der Kakushöhle bei Nettersheim wohnte einst der Teufel, weiß Konejung. „Der hatte die Bauern der Gegend ausgerechnet in der Karwoche zum Kartenspiel verführt; die Frauen holten den Pfarrer, der in die Höhle ging und den Teufel verscheuchte – mit Weihwasser.“

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