Bürokratie-Tourismus in Bonn Amtsstuben mit Aussicht und Einsicht

BONN · Zugegeben, eine Kirmes ist das hier nicht. Statt nach gebrannten Mandeln und Zuckerwatte riecht es im Finanzamt Bonn Innenstadt nach alten Akten. Statt Rummel herrscht auf den mit Linoleum belegten Fluren gähnende Leere. Immerhin ein Fahrgeschäft finde ich nach einigem Suchen: Zwischen Erdgeschoss und viertem Stock pendelt ein Aufzug.

Ich will die Bonner Bürokratie touristisch entdecken. Ich will wissen, ob man auch im Finanzamt Spaß haben kann, wie gut das Kantinen-Essen im Stadthaus schmeckt, und welche touristischen Attraktionen das Bad Godesberger Rathaus bereithält. Auf meinem Weg durch das Finanzamt und seine immer gleich aussehenden Flure finde ich in der dritten Etage die Kantine. Obwohl es erst 10.30 Uhr ist, sitzen dort recht viele Finanzbeamte bei einer Tasse Kaffee. Besonders aufregend ist es hier wahrlich nicht.

Meine nächste Station ist die Mutter aller Bonner Bürokratien: das Stadthaus. Im Innenhof des Betonkolosses versuche ich, mich zu orientieren.

Wie gut, dass dort eine Hinweistafel ("Wo ist was?") aufgebaut ist. Als ich näher herangehe, stelle ich allerdings fest, dass außer "wo ist was?" rein gar nichts draufsteht. Also auf eigene Faust rein ins Riesenhaus. Im Bürgeramt ziehe ich eine Marke und setze mich in den Wartebereich.

Obwohl das Bürgeramt nirgendwo als Biergarten ausgewiesen wird, stehen vor den beiden Männern neben mir am Tisch um 10.55 Uhr schon zwei Dosenbiere. Offenbar haben sie die selbst mitgebracht. Einen Kellner kann ich jedenfalls nicht entdecken.

Als die Wartenummer der beiden auf dem Monitor aufleuchtet, werden sie unruhig. "Mit dem Bier darf ich da nicht rein", sagt einer. Er hat sich offensichtlich genau wie ich auf eine gemütliche Zeit im Wartesaal eingestellt. "Du bist aber mein Rechtsberater", entgegnet sein Kompagnon. Und da Pflicht nun mal Pflicht ist, stehen beide auf - mit Bier. Meine eigene Nummer "B122" erscheint nach neun Minuten. Merke: Wer hier ein Bier möchte, muss es nicht nur selbst mitbringen. Er muss auch schnell austrinken.

Als nächstes widme ich mich dem Fahrstuhl. Die Geschwindigkeit reicht für ein wohliges Bauchkribbeln - kein Wunder bei 16 Stockwerken. Ganz oben, beim Bürgermeisterbüro, müsste es einen schönen Blick über die Stadt geben. Und tatsächlich: Im Treppenhaus genieße ich ein echtes Bürgermeister-Panorama.

Der Abstieg führt vorbei an Jugendamt, Kataster- und Vermessungsamt und noch vielen Ämtern mehr. Bis zur Kantine. Vor mir in der Schlange steht schon eine Rentnergruppe, die offenbar ebenfalls die kulinarische Seite des Stadthauses entdecken will.

Ich entscheide mich für das Lamm-Hacksteak mit grünen Bohnen. 4,70 Euro, das passt auch in kleine Urlaubsbudgets und ist geschmacklich einwandfrei. Auf der Sonnenterrasse, die nur bescheiden "Raucherbereich" genannt wird, plane ich die nächste Etappe. Das Sport- und Kulturamt im Bad Godesberger Rathaus.

Letzteres entpuppt sich als vierstöckiger Altbau mit rosafarbener Fassade. Über dem Eingang prangt in goldenen Lettern das Wort "Rathaus". Drinnen erklärt ein Schild, dass hier bis vor kurzem noch das Standesamt untergebracht war. Und tatsächlich sieht alles aus, als würde jeden Moment eine Hochzeitsgesellschaft mit Reiskörnern werfen: Stühle sind neben Stehtischen mit langen weißen Decken arrangiert, ein Schild warnt davor, den Marmorboden zu verkratzen. Allerdings wirft keine Menschenseele mit Reis.

Die verlassene Szenerie deprimiert mich, und ich beschließe, das Sportamt in der ersten Etage aufzusuchen. Ich erreiche es über einen feudalen Treppenaufgang und freue mich, dass oben ein roter Teppich (für mich?) ausgerollt wurde. Der lässt mich förmlich durch den Flur stolzieren. Unter mir knarzt immer mal eine Diele, und an den Wänden erkenne ich kleinere und größere Risse.

Da es - von einer Beethoven-Büste einmal abgesehen - nicht mehr viel zu entdecken gibt, und weil ich ja offenbar den baldigen Einsturz des Gebäudes fürchten muss, mache ich mich wieder auf den Weg nach draußen. Es ist fast 13 Uhr, als ich das Rathaus verlasse. Ein Tag in "Bürokratien" endet eben früh.

Von Köln nach Bonn: Studenten der Kölner Journalistenschule sind für den GA in Bonn und der Region unterwegs. In lockerer Folge stellen wir ihre Reportagen vor.

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