GA-Serie "Rheinland für Entdecker" Ein Wanderweg lässt die Geschichte des Bonner Ennert aufleben

BONN · Heute gehen die Bonner im Ennert spazieren, früher überzog die Gegend dichter Qualm aus den Fabriken: Rund um Niederholtorf war die größte Alaunproduktion des Staates Preußen angesiedelt.

Weitblick von der Aussichtsplattform Rabenlay.

Weitblick von der Aussichtsplattform Rabenlay.

Foto: Benjamin Westhoff

Beißender Schwefelrauch lag über der Hochebene von Niederholtorf. Auf den kahlgeschlagenen Flächen qualmte die glühende Braunkohle Tag und Nacht, Säure verunreinigte das Wasser in den Bächen. Wo heute Einfamilienhäuser mit gepflegten Gärten an den idyllischen Ennert-Wald grenzen, erstreckte sich bis vor 150 Jahren ein Industriegebiet. Auf der sogenannten Ennert-Hardt war die größte Alaun-Produktion im damaligen Staat Preußen angesiedelt. Das Salz war Grundstoff für die Papierherstellung, diente als Beize in Färbereien und wurde zum Blutstillen genutzt - und es wurde mit einem so aufwendigen wie schmutzigen Verfahren im Ennert gewonnen.

Die Relikte aus dieser Zeit sind für Spaziergänger erst auf den zweiten Blick zu erkennen. Der "Geschichtsweg Braunkohle und Alaun" auf der Ennert-Hardt mit acht Infotafeln an Wegesrand öffnet den Wanderern die Augen für die Industriegeschichte. Unter der Federführung des Denkmal- und Geschichtsvereins Bonn-Rechtsrheinisch haben verschiedene Bürgergruppen die Historie wieder sichtbar gemacht.

Auf dem Waldweg fuhr früher eine Lorenbahn

Wer den Wanderparkplatz kurz vor Niederholtorf in Richtung Holzlar verlässt, blickt auf einen kleinen Weiher mit von Wasserlinsen grüner Oberfläche. Hier hat sich die Natur ihr Terrain zurückerobert. "Das war einmal ein Stauteich, in dem Wasser für die Siedebecken gesammelt wurde, in denen das Alaunsalz aus der Asche der Braunkohle gekocht wurde", sagt Christoph Keller. Der Archäologe vom Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland hat sich mit dem industriellen Vergangenheit des Ennerts ausführlich befasst.

Keller weiß, dass in dieser Gegend ein Waldweg nicht einfach ein Waldweg ist. "Hier fuhr früher eine kleine Lorenbahn, die die Braunkohle aus dem Abbau in Oberholtorf auf die Flächen neben der heutigen Pützchens Chaussee brachte", sagt der Experte und zeigt auf die Strecke, die hinter dem Weiher den Hang hinabgeht. Die Mulden in regelmäßigen Abständen am Wegesrand? "Hier sind die Loren vom Hauptweg abgebogen", sagt Keller. Ein paar Meter weiter geht es steil bergab. Mountainbiker nutzen die bewaldeten Hügel als Trainingsstrecke. Natürlich gewachsen sind nur die Bäume. "Der Untergrund hier besteht nur aus Abraum der Alaun-Produktion", sagt Keller. Im 19. Jahrhundert haben die Arbeiter die Aschereste aufgeschüttet. Was bleibt ist die rötliche Erde, durchzogen von Tonstücken, die für die Alaunproduktion notwendig sind. Ab und zu finden sich unter Laub und Ästen Mauerreste der sogenannten Siedebecken, in denen das Alaunsalz aus der Asche der Braunkohle gekocht wurde.

"Vieles aus dieser Zeit ist allerdings nicht erforscht", sagt Keller. Wichtige Dokumente seien im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. Archäologen und Heimatforscher müssen sich auf alte Zeichnungen der Alaunhütten verlassen. Als gesichert gilt: Das als "Forsthaus" bekannte Gebäude der Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadenverhütung an Pützchens Chaussee diente einer der drei Fabriken in der Gegend als Verwaltungsgebäude. Diese Alaunhütte war im Jahr 1806 als erste von den Brüdern Leopold und Abraham Bleibtreu errichtet worden. Sie nutzten die Braunkohle aus Oberholtorf, die wegen ihres hohen Schwefelgehalts für die Alaunproduktion nützlich war.

Von alten Umweltschäden ist nichts mehr zu sehen

Bis zu 500 Arbeiter waren nach Erkenntnissen des Denkmal- und Geschichtsvereins in den Holtorfer Fabriken beschäftigt. Sie litten unter "Hitze, Gestank und giftigen Emissionen", heißt es in den Veröffentlichungen des Denkmal- und Geschichtsvereins. "Weite Flächen der Hardt werden zu jener Zeit wie eine Mondlandschaft gewirkt haben, von der Schlacke rot gefärbt und absolut vegetationslos." Vor allem der "rote Berg", eine Schlacke-Halde oberhalb von Holzlar, lässt erahnen, welche Abraummengen in der Alaunproduktion angefallen sind. Die Bonner Heimatforscher gehen von 300.000 Tonnen in der 70-jährigen Produktionszeit der Werke aus.

Heute ist von den alten Umweltschäden nichts mehr zu sehen. "Die Halden sind ganz normal bewachsen", sagt Revierförster Bernd Sommerhäuser. Die künstlichen Hügel, Löcher und Hänge erschwerten den Waldarbeitern lediglich die Bearbeitung des Geländes. Die Natur hatte immerhin mehr als hundert Jahre Zeit, die Spuren der Alaunindustrie im Ennert zu verwischen. Ab 1857 verdrängte eine neue Methode die aufwendige Alaunproduktion aus Braunkohle.

Das Salz fiel als Abfallprodukt bei der Herstellung von Soda aus grönländischem Kryolith an - das Ende für den Industriestandort Holtorf. Teile der Fabrikgelände wurden noch einige Jahre als Ziegeleien genutzt, dann breitete sich der Ennert-Wald auf den Abraumhalden aus. "Die Geschichte der Alaunproduktion ist über Jahrzehnte hinweg völlig in Vergessenheit geraten", sagt Heimatforscher Carl Jakob Bachem. Der Vorsitzende des Denkmal- und Geschichtsvereins Bonn-Rechtsrheinisch hat mit anderen Bürgern und Vereinen die industrielle Vergangenheit der Region für den Wanderweg mit Schautafeln aufgearbeitet. "Denkmäler sind sichtbare Zeugen der Geschichte. Und Geschichte ist wichtig für unser Leben, um uns selbst zu finden und die eigene Identität zu gestalten", sagt er. Und so kann der Waldspaziergang im Ennert zu einer Reise in die Vergangenheit werden.

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