Filmkritik: "Tschick" von Fatih Akin Großes Herz

Fatih Akin hat „Tschick“ nach dem Roman von Wolfgang Herrndorf meisterhaft adaptiert. Genau wie der Roman ist auch der Film voller kleiner Überraschungen.

 Kommunikation mit dem Zeigefinger: Tristan Göbel als Maik und Aniya Wendel als Tatjana. FOTO: DPA

Kommunikation mit dem Zeigefinger: Tristan Göbel als Maik und Aniya Wendel als Tatjana. FOTO: DPA

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Wolfgang Herrndorfs „Tschick“ ist ein besonderes literarisches Phänomen. Die Geschichte ist denkbar schlicht. Zwei Jugendliche nehmen in den Sommerferien mit einem geklauten Lada Reißaus und tuckern durch die deutsche Provinz auf dem Weg in die Walachei, die bekanntlich nicht irgendwo, sondern in Rumänien liegt. Eigentlich ist das Buch als Jugendroman angelegt, aber seine 2,2 Millionen Leser hat „Tschick“ quer durch alle Generationen gefunden.

Vielleicht liegt das daran, dass Herrndorf sich nie dem jungen Zielpublikum angebiedert hat. Die Jugendsprache floss in seinen Roman ein, aber er verwandelte sie in eine eigenständige, sehr gegenwärtige Poesie. Der Roman zeichnet sich durch seinen Sinn für die Skurrilitäten des pubertären Daseins genauso aus wie durch sein großes Herz, mit dem die Begegnung der Marzahner Jungs mit den eigentümlichen Provinzlern beschrieben werden. Herrndorf, der sich aufgrund eines unheilbaren Hirntumors 2013 selbst das Leben genommen hat, war ein bekennender Cineast. Und so ist „Tschick“ schon auf dem Papier als literarisches Roadmovie angelegt, das auch jenseits seines Bestsellerruhms nach einer Verfilmung ruft.

Natürlich standen die Produktionsfirmen kurz nach der Veröffentlichung beim Verlag Schlange, um die Filmrechte für den Stoff zu erwerben. Letztlich hat Herrndorfs langjähriger Freund Lars Hubrich die Arbeit am Drehbuch übernommen, und Fatih Akin ist kurzfristig als Regisseur an Bord gekommen, nachdem David Wnendt wegen eines anderen Filmprojektes ausscheiden musste.

Akin ist ein Glücksfall für diesen Film, denn ähnlich wie Herrndorf hat er sich als Regisseur ein großes Herz und einen unverbauten Blick auf die Menschen bewahrt. Seine Entscheidung, die beiden Helden des Filmes nicht mit bekannten, aber zu alten Gesichtern zu besetzen, sondern mit Neulingen, die wie die Romanfiguren gerade einmal vierzehn Jahre alt sind, ist ein Bekenntnis zum Geist des Romans. Wenn Maik (Tristan Göbel) und Tschick (Anand Batbileg) mit dem Lada über die Autobahn heizen und die Vorbeifahrenden sie ob ihrer offensichtlichen Minderjährigkeit anstarren, dann hat sich die Besetzungsstrategie schon ausgezahlt. Die beiden jungen Schauspieler bringen genau jenes ungelenke Verwachsensein der Pubertät auf die Leinwand, das für diese unkonventionelle Geschichte notwendig ist.

Zwischen Kindsein und Coolness stolpern die Figuren auf der Leinwand von einem Abenteuer ins nächste, während Richard Claydermann aus dem Kassettenrekorder immer wieder seinen romantischen Gassenhauer „Ballade pour Adeline“ zum Besten gibt. Die Episodendramaturgie verkümmert hier nicht zur bloßen Nummernrevue, sondern summiert sich für die ungleichen Freunde zu einem vielfältigen Erfahrungspotpourri, das die Figuren frei atmen lässt, anstatt sie in nervige Katharsisprozesse zu zwingen. Akin hat genau den richtigen Weg gefunden zwischen der Treue zur literarischen Vorlage und dem Eigenleben, das seine Filmversion auf der Leinwand entwickelt, indem sie Komik, Skurrilität, Melancholie, liebenswerten Humanismus mit einer filmischen Frische verbindet.

Genau wie der Roman ist auch der Film voller kleiner Überraschungen, die sich nicht aus spektakulären Plotwendungen ergeben, sondern aus der Kühnheit, mit der die Figuren gegen alle Erwartungen agieren.

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