Familienbande Goldene Palme in Cannes: Umwerfendes Drama "Shoplifters"

Berlin · Beim Festival in Südfrankreich wurde das Werk als bester Film ausgezeichnet. Völlig zu Recht, denn "Shoplifters" ist ein stilles und ergreifendes Drama über eine ungewöhnliche Familie.

 Osamu (Lily Franky, r), Yuri (Miyu Sasaki, M) und Nobuyo (Sakura Ando) sind eine ungewöhnliche Familie.

Osamu (Lily Franky, r), Yuri (Miyu Sasaki, M) und Nobuyo (Sakura Ando) sind eine ungewöhnliche Familie.

Foto: Wild Bunch Germany

Als Filmkritiker sieht man im Laufe eines Jahres unzählige Werke. Einige bleiben mehr, andere weniger im Gedächtnis. Und dann gibt es noch die Filme, die sich einen speziellen Platz im Herzen erobern und an die man sich besonders gerne erinnert.

"Shoplifters - Familienbande" ist genau so einer: ein stilles, ergreifendes Drama des Japaners Kore-Eda Hirokazu, das beim Festival in Cannes völlig zu Recht mit der Goldenen Palme für den besten Film ausgezeichnet wurde.

Osamu und seine Frau Nobuyo leben unter ärmlichsten Bedingungen in der Nähe einer japanischen Metropole. Gemeinsam mit dem jungen Shota zieht Osamu regelmäßig durch Geschäfte und klaut alles Lebensnotwendige, von Toilettenpapier bis Essen. Nobuyo arbeitet zwar in einer Wäscherei, doch auch dort stiehlt sie routiniert Wertsachen aus den Kleidungsstücken.

In der kleinen, völlig überfüllten Zwei-Zimmer-Wohnung eines dubiosen Vermieters leben sie noch mit zwei weiteren Frauen: Aki jobbt als Stripperin in einem Erotik-Etablissement, während Hatsue die Großmutter ist, deren Rente eine weitere wichtige finanzielle Stütze im fragilen Finanzsystem dieser Wahlfamilie ist.

Eines Abends entdecken Osamu und Shota auf dem Rückweg von einer ihrer Diebestouren das verwahrloste Mädchen Juri auf der Straße. Sie nehmen die Kleine mit nach Hause und kümmern sich um sie. Wie sich schnell herausstellt, ist ihr dünner Körper mit Narben übersät, und trotz ihrer vielleicht fünf Jahre nässt sie nachts noch ins Bett - die Anzeichen eines Missbrauchs sind unübersehbar.

Wie schon in seinem ebenfalls sehr einfühlsames Drama "Like Father, Like Son" braucht Regisseur Kore-Eda dabei jeweils nur wenige Einstellungen und Szenen, um die vielen Elemente seiner vielschichtigen Geschichte anzudeuten. So gelingt es ihm, äußerst subtil von der Not der Familie zu erzählen und gleichzeitig deren warmherziges Miteinander einzufangen. Diese Menschen wohnen mitten in einer Stadt, aber am Rande der wohlhabenden Gesellschaft, und sind auch deswegen für viele unsichtbar.

Was "Shoplifters" einzigartig macht und von vielen anderen Familiendramen abhebt, sind die moralischen Fragen, die er aufwirft, und die Emotionen, mit denen er dabei berührt. Denn schon die ersten Einstellungen machen zwar klar, dass dies Kleinkriminelle und Gauner sind, die ihre Mitmenschen beklauen oder übers Ohr hauen. Eigentlich müssten sie einem unsympathisch sein - doch wie Kore-Eda sie zeichnet, so liebevoll und menschlich, nimmt man ihnen überraschenderweise nichts wirklich übel, so rührend sie sich gerade um die beiden Kinder kümmern und trotz aller Hindernisse füreinander da sind.

Immerhin findet die kleine Juri ausgerechnet in dieser Patchwork-Familie der Außenseiter Geborgenheit und Liebe - nicht bei ihrer leiblichen Mutter, die sie kaum beachtet hat. Und auch der Staat hat in diesem Fall eindeutig versagt, konnte er das Mädchen doch nicht vor den offensichtlichen Torturen schützen. Vor diesem Hintergrund steuert "Shoplifters" dann auch auf das tragische Ende zu, bei dem zwar für die Öffentlichkeit alles wieder in Ordnung gebracht - im Endeffekt aber alles zerstört und auseinander gerissen wird. Ein nachdenklich stimmendes Werk, eindringlich und umwerfend.

Shoplifters - Familienbande, Japan 2018, 121 Min., FSK ab 12, von Kore-eda Hirokazu, mit Rirî Furankî, Sakura Ando, Mayu Matsuoka

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort