Ein Geheimnis

Bewegendes Familiendrama nach dem Roman von Philippe Grimbert - Medea in Frankreich

Ein Geheimnis
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Wenn François den Blick seines Vaters Maxime (Patrick Bruel) auf sich spürt, ist das Erste, was ihm auffällt, dessen Enttäuschung. Der so sportliche Mann leidet sichtlich darunter, dass sein einziger Sohn von schwächlicher Statur ist. François flieht lieber in Tagträume, in denen er einen Bruder erfindet, der all die körperlichen und sportlichen Voraussetzungen erfüllt, die ihm versagt geblieben sind.

Wie sehr sein Traum an die Wahrheit rührt, soll der kleine Junge erst Jahre später, an seinem 15. Geburtstag, von seiner Tante Louise (Julie Depardieu) erfahren. Sie verrät ihm gleich mehrere tragische Familiengeheimnisse, die von den Erwachsenen sorgsam unter Verschluss gehalten wurden.

Die Tragödie, von der "Ein Geheimnis" erzählt, beginnt in den 30er Jahren, als Maximes Hochzeit innerhalb der jüdischen Gemeinde von Paris von Anfang an unter keinem guten Stern steht. Denn Maxime hat während der eigenen Trauung mehr Augen für die mondäne Schönheit Tania (Cécile de France) als für die eigene Frau Hannah (Ludivine Sagnier). Selbst die Geburt ihres Sohnes Simon und dessen Aufstieg zur Sportskanone kann die schleichende Erosion der Ehe nicht aufhalten.

Aus der Allerweltsgeschichte einer latent unglücklichen Liebe wird durch die Zeitumstände ein tödliches Drama. Die Vertrauenskrise erreicht ausgerechnet in dem Moment ihren Höhepunkt, als im besetzten Teil Frankreichs die Nazis mit der Deportation der Juden beginnen. Hannah wird sich für die vermeintliche Untreue ihres Mannes rächen, in einem wahnwitzigen Akt; es ist eine Rache, die der Medeas gleicht.

Claude Miller erzählt die autobiografisch gefärbte Romanvorlage des Psychologen Philippe Grimbert in einem komplizierten Mix von Rückblenden und Perspektivwechseln, bei dem nicht immer alles mit logischen Dingen zugeht. Das Ringen um die Erinnerungen und das Verdrängen der traumatischen Ereignisse wird bei Grimbert in mehreren Zeitebenen aufgefächert. Millers Versuch, diese Sprünge filmisch nachzuvollziehen, birgt immer die Gefahr, die Protagonisten aus dem Auge zu verlieren.

Eine radikalere Entschlackung der Romanstruktur hätte dem Film ebenso gut getan wie eine weniger starre Ausrichtung auf eine psychoanalytische Lesart. Dennoch bleiben, auch dank der Darsteller, genug starke Momente, in denen sich die privaten und politischen Verwerfungen der damaligen Zeit in eindringlichen Kinoszenen verdichten.

(Film-Kritik aus dem General-Anzeiger)

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