Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford

Regisseur Andrew Dominik erzählt die Geschichte vom Ende des Gesetzlosen als ein Psychogramm zweier Männer, deren Beziehung zueinander beiden den Tod bringt

Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford
Foto: Warner

Wenn du die Wahl hast zwischen der Wahrheit und der Legende, dann schreib die Legende auf. Dieser Satz entstammt John Fords großem Western "Der Mann, der Liberty Valance erschoss". Und wenngleich dieser Film noch den klassischen Erzähltraditionen verhaftet war, läutete er doch den Spätwestern und damit den Abgesang auf ein ganzes Filmgenre ein.

Denn Fords Nachfolger erzählten eben nicht die Legende, sie zielten auf Realismus und Authentizität. Im New Hollywood der frühen 70er Jahre erlebte der Western seinen kurzen schmerzvollen Niedergang in Melancholie, Schmutz und Langeweile.

In der Folge hat es immer wieder Western gegeben. Manche hatten Temperament ("Silverado"), andere waren nur eine Kostümshow ("Young Guns", "Posse"), und nur wenige ("Der mit dem Wolf tanzt", "Erbarmungslos", "Open Range") fanden die Balance zwischen Poesie und Wahrhaftigkeit im Dienste einer guten Geschichte.

Und dann gab es noch jene, die die Geschichten des Wilden Westens neu schreiben wollten. Diese Filme hießen "Wyatt Earp", "Wild Bill" oder "Alamo". Es waren Filme, in denen die Regisseure zeigen wollten, wie es wirklich war. Sie entzauberten den Mythos des Western und seiner Protagonisten, indem sie mittels dokumentarischer Detailsucht nach einer Wahrheit schürften, die keiner sehen wollte.

Einer Wahrheit wie "Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford". Auf dem Friedhof der Gemeinde Kearny in Clay County, Missouri liegt ein Grabstein, auf dem der Name Jesse James von einer Inschrift begleitet wird. Sie beschreibt James' Todesdatum und Alter und endet mit dem Satz: "Ermordet von einem Feigling, dessen Name es nicht wert ist, hier genannt zu werden."

Diese Zeile war es wohl, die den neuseeländischen Filmautor Andrew Dominik bewog, eine berühmte Geschichte aus anderem Blickwinkel zu erzählen. Wie die Bildpalette einer Moritat entfaltet sich Dominiks Vision von den letzten Monaten im Leben eines Gesetzlosen, der gleichermaßen charismatisch und unberechenbar ist und genau so von Brad Pitt gespielt wird. Jesse James: Mann ohne Gesetz, Bank- und Zugräuber, Charmeur und bekennender Mörder.

Sein Gegenpart ist ein Jüngling von 19 Jahren, der gern dazugehören möchte, aber nie die Anerkennung findet, die er sich so sehr erwünscht. Das ist Robert Ford, den Casey Affleck als Zauderer mit zerschlissenem Hut, verschlagenem Blick und entrücktem Lächeln anlegt. Die psychotische Qualität dieser Darstellung bildet einen spannenden Kontrast zu Pitts eher konventionellem und doch so wirkungsvollem Auftritt. Aber Dominiks Drehbuch verliert vor lauter Psychoanalyse die Geschichte aus den Augen.

Die spektakulären Vorgänge klammert er aus oder behandelt sie mit fataler Beiläufigkeit. Ein Erzähler muss die Stimmung aufbauen, die den Bildern fehlt. Die Musik von Nick Cave und Warren Ellis beschwört Emotionen, wo der Regie nach eigentlich keine sein sollten. Vor allem aber erschlägt der Film mit unerquicklichen Alltagsdetails. Und am Ende wird der Mörder des Mörders auch noch zum tragisch Gescheiterten stilisiert.

(Film-Kritik aus dem General-Anzeiger)

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