Der talentierte Mr. Ripley

Mut gehört bekanntlich zu den herausragenden Eigenschaften des englischen Hollywood-Regisseurs und Drehbuchautors Anthony Minghella.

Wie Goldminen ziehen ihn berühmte literarische Werke an. Er bewundert sie, um sie dann für seine Zwecke auszubeuten: gestern "Der englische Patient", heute "Der talentierte Mr. Ripley".

Wie im Fall von Michael Ondaatjes "Patienten" nähert Minghella sich dem Ripley-Roman von Patricia Highsmith mit großer künstlerischer Freiheit. Und wieder gelingt es ihm, etwas ganz Eigenes, Faszinierendes zu schaffen.

Mit "The Talented Mr. Ripley" triumphiert Minghella einmal mehr in Berlin; die Festspiele erleben den ersten Höhepunkt.

Matt Damon ist Tom Ripley, den es von Amerika nach Italien verschlägt, wo er im Auftrag des Vaters einen extravaganten, dem Dolcefarniente zugetanen jungen Mann davon überzeugen soll, nach Hause zurückzukehren.

Jude Law gibt diesen Dickie Greenleaf, wie er Alfred Douglas in dem Film "Oscar Wilde" gegeben hat: rücksichtslos, egozentrisch, charmant und unwiderstehlich. "Wenn du ihn interessierst, ist es, als scheine die Sonne auf dich herab", sagt Dickies Freundin Marge (Gwyneth Paltrow).

"Dann vergisst er dich, und es wird kalt." Ripley fühlt sich von Dickies Person und Lebensstil angezogen, der Grad der Identifikation erreicht indes eine fast schon pathologische Intensität.

Minghella fordert dem gewöhnlich kernig-banalen Matt Damon extreme, einander widerstreitende Empfindungen ab: Bewunderung, Hass, Neid, unterdrückte homosexuelle Attraktion und mörderische Affekte.

Damon zeichnet das verstörende Porträt eines Mannes, dessen Identität wie eine leere Leinwand ist, die sich erst durch den Kontakt mit anderen mit Inhalt füllt. In einer der schönsten Szenen dieses an poetischen Bilderfindungen reichen Films sitzt Damon vor einem Spiegel, der sein Ebenbild gleichsam ins Unendliche vervielfacht.

Für den Film hat Minghella ein idealisiertes Italien der fünfziger Jahre rekonstruieren lassen: Postkartengrüße aus Hollywood. Seine Geschichte folgt einer die Zeit spiegelnden musikalischen Struktur: Es ist Kino aus dem Geiste des Jazz.

Minghellas Bilder voll betörender Magie und beunruhigender Emotionen nisten sich gleichsam im Kopf des Betrachters ein. Niemand wird sie so schnell wieder los.

(Film-Kritik aus dem General-Anzeiger)

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