Filmkritik Alma und der Baum

Icíar Bollaíns „El Olivo“ erzählt von der rebellischen Natur einer jungen Spanierin. Der Film spiegelt im engsten Familienkosmos die gesamtgesellschaftliche Desillusionierung im krisengebeutelten Spanien.

 Gesicht einer Generation: Alma (Anna Castillo) im Olivenhain der Familie.

Gesicht einer Generation: Alma (Anna Castillo) im Olivenhain der Familie.

Foto: Jose Haro/Piffl Medien

Knorrig und machtvoll steht der alte Olivenbaum in der Landschaft. Ein Hauch von Ewigkeit umgibt dieses verwachsene Wesen mit seinen mehr als acht Metern Durchmesser. Aus dem weit verzweigten Wurzelwerk arbeiten sich die ineinander verflochtenen Holzstränge bis zur Krone hinauf. Der Stamm gleicht einer Skulptur und wer – wie die junge Alma – genau hinschaut, kann darin auch das Gesicht eines Monsters erkennen, das gefüttert werden will.

Schon die alten Römer hätten den Baum vor mehr als zweitausend Jahren hier angepflanzt, weiß der Großvater zu berichten. Gemeinsam mit seiner Enkelin streift er durch den Olivenhain, der die Familie schon seit Generationen ernährt. Aber diese Kindheitserinnerungen sind schon längst Geschichte. Mittlerweile ist Alma (Anna Castillo) erwachsen, und der Großvater lebt in seiner eigenen, abgeschlossenen Welt. Als die Söhne den alten Baum verkauft haben, um mit dem Erlös die Bestechungsgelder für ein Restaurant am Meer zu finanzieren, hat er aufgehört, mit der Familie zu sprechen. Nach all den Jahren weiß keiner mehr, ob das strafende Schweigen immer noch Trotz oder nur noch Demenz ist. Aber wer den alten Mann anschaut, erkennt, dass das Leben aus seinem Körper zu weichen beginnt.

„Er trauert“, sagt Alma. Und sie weiß, dass es dabei nicht um die vor langer Zeit verstorbene Ehefrau geht, sondern um den alten Olivenbaum, der mit schwerem Gerät gewaltsam aus der Erde gerissen und nach Deutschland gebracht wurde, wo er im Atrium eines Energiekonzerns als Logo für das vermeintlich nachhaltige Unternehmenskonzept steht.

In einer echten Don-Quichotte-Mission macht sich Alma mit ihrem Onkel Alcachofa (Javier Gutiérrez) und dem stillen Verehrer Rafa (Pep Ambròs) auf nach Düsseldorf, um den geliebten Baum zurückzuholen. Auf dem Papier klingt die Geschichte von Icíar Bollaíns „El Olivo“ nach einer naturmetaphorisch überladenen Schnulze. Aber das Skript stammt aus der Feder von Bollaíns Lebensgefährten Paul Laverty, der als langjähriger Drehbuchautor von Ken Loach die Balance zwischen Pathos und Realismus gründlich eingeübt hat. Und so ist „El Olivo“ weit mehr als ein Mein-Freund-der-Baum-Film, er spiegelt im engsten Familienkosmos die gesamtgesellschaftliche Desillusionierung im krisengebeutelten Spanien. Der Schlüssel hierfür ist eine junge Heldin, die die ganze Wut ihrer Generation in sich trägt. Mit forschem Schritt bahnt sich diese Alma, die von Anna Castillo mit Verve verkörpert wird, durch das Hühnermeer im Geflügelzuchtbetrieb. Wenn der Chef ihr dumm kommt, bewirft sie sein Auto mit Eiern.

Mit dem Vater spricht sie kaum noch, weil sie genug hat von dieser ganzen verlogenen Sippschaft, die in den Jahren des Booms das schnelle Geld machen wollte und mit der Krise in den Ruin geschlittert ist.

Das Restaurant am Meer ist längst eine geplünderte Betonruine wie viele andere, gerade in Spanien, wo die Immobilienspekulation ganze Landstriche verwüstet hat. Dass Alma den Baum in den heimischen Olivenhain zurückholen will, ist ein irres, aussichtsloses Unterfangen, auch wenn sich ein paar deutsche Politaktivisten zu einem solidarischen Hashtag zusammentun.

Andererseits traut man dieser wütenden, wild entschlossenen jungen Frau alles zu. Ihr Aktionismus ist auch Ausdruck einer jugendlichen Lebensenergie einer verlorenen Generation, die zusehen muss, wie sie in dem Scherbenhaufen eine neue Existenz aufbaut. Am Schluss wird ein Olivenbaumzweig in die Erde gepflanzt. Ein plattes Symbol der Hoffnung auf den ersten Blick, aber auch der Ausdruck einer verloren gegangenen Haltung, die Zukunft über das eigene irdische Sein hinaus denkt – und heute notwendiger denn je wäre.

Rex/Filmbühne

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