Filmkritik "Was werden die Leute sagen" Der Widerspenstigen Zähmung

Konflikte zwischen pakistanischer Tradition und Teenager-Kultur: Iram Haqs Film „Was werden die Leute sagen“ geht unter die Haut.

 Kurze Zweisamkeit: Rohit Saraf und Maria Mozhdah als Amir und Nisha. FOTO: PANDORA

Kurze Zweisamkeit: Rohit Saraf und Maria Mozhdah als Amir und Nisha. FOTO: PANDORA

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Nisha rennt. Die Kamera beobachtet das 15-jährige Mädchen, wie es von einem Treffen mit Freunden nach Hause eilt. Dort wartet der Vater auf sie, eine nachdenkliche Gestalt mit skeptischem Blick. In Iram Haqs Film „Was werden die Leute sagen“ ist Nisha selten ein Moment der Ruhe vergönnt: Laufen ist eines der zentralen Motive der norwegisch-deutsch-schwedischen Produktion, die am Donnerstag ins Kino kommt. Nisha (Maria Mozhdah) lebt bestens integriert in einer norwegischen Stadt, aber gleichzeitig in der pakistanischen Kultur ihrer Familie: ein Mädchen zwischen zwei Welten. Den Lauf zu sich selbst hat sie bereits hinter sich. Nisha fühlt sich wie ein ganz normaler norwegischer Teenager, fette Kartoffelchips und gelegentliches Kiffen inklusive. Sexuelle Erfahrungen will sie nicht erst nach der Heirat sammeln.

Der Konflikt ist programmiert. Die Regisseurin und Drehbuchautorin Haq offenbart ihn in starken Kontrasten, aber nie plakativ. Die Geburtstagsidylle mit arabischer Musik und folkloristischem Tanz findet eine Entsprechung in einer typischen Teenager-Party. Zu Hause muss sich Nisha, die gern bauchfrei trägt, textilen Zwängen unterwerfen. Für sie fungiert das Smartphone als Brücke zwischen den beiden Kulturen, in denen sie sich spielerisch, sorglos und scheinbar souverän bewegt. Das Gefühl der Sicherheit trügt. Nach einer Konfrontation mit dem Vater (Adil Hussain) dämmert ihr, dass dessen Ankündigung „Ich bring dich um“ keine leere Drohung darstellt. Er hatte die Tochter mit Freund in ihrem Zimmer erwischt.

„Was werden die Leute sagen“ erzählt die Geschichte einer Eskalation. Nisha, die nach den Vorstellungen ihrer Familie ein pakistanisches Kind sein soll, was sie von den „westlichen Idioten“ unterscheide, verliert ihre Freiheit und Selbstbestimmung. Bruder und Vater bringen sie gegen ihren Willen nach Pakistan, wo sie bei Verwandten auf den rechten Weg geführt werden soll.

Iram Haq, die in Norwegen und Indien auf Norwegisch und Urdu gedreht hat, schöpft aus eigenen Erfahrungen: „Wie Nisha im Film hatte ich in meiner Jugend meistens norwegische Freunde. Ich fand es extrem unfair, als junges Mädchen nicht das tun zu dürfen, was allen anderen erlaubt war. Ich selbst wurde, als ich 14 Jahre alt war, von meinen eigenen Eltern entführt und musste mit meinen Verwandten in Pakistan leben.“

Das hat die Filmemacherin nicht zu einer einseitigen Sicht der Dinge bewogen, im Gegenteil. Sie wird beiden Welten und ihren Protagonisten gerecht – und deren Argumenten. Dabei profitiert sie von der Kunst fabelhafter Darsteller: die eine, Maria Mozhdah, mit so gut wie keiner Schauspielerfahrung; der andere, Adil Hussain, ein Profi, der unter anderem in Ang Lees „Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger“ mitgewirkt hat.

Hussain besitzt als Vater Mirza tyrannische Züge, aber er handelt im Glauben, das Richtige zu tun. „Ich will doch nur das Beste für dich“, sagt er seiner Tochter. Aber Ehre und das Bild der Familie nach außen wiegen für ihn schwerer als die Liebe zum Kind. Er würde auch vor einem „Ehrenmord“ nicht zurückschrecken. Doch Mirza verändert sich. Am Ende nimmt ihn Nadim Carlsens Kamera wie durch ein Prisma betrachtet auf: ein Mann ohne fest umrissene Identität. Er ist nicht mehr derselbe. Hussain beglaubigt die Zerrissenheit des Mannes, die eruptive Gewalt und die nicht zu unterdrückende Empathie.

Maria Mozhdah trägt den Film über 106 Minuten. Ihre Nisha wird aus der Wohlfühlzone ihrer Existenz gerissen, das Trauma der Entführung generiert zuerst Wut, später erscheint sie wie gelähmt. Die Zähmung der Widerspenstigen, die sich zwar in Pakistan allmählich auf die fremde Umgebung einlässt, aber die vollkommene Integration verweigert, scheitert am Freiheitsgeist des Mädchens. Sie zahlt einen hohen Preis. Kleine Fluchten aus dem Alltag, zum Beispiel die körperliche Nähe zu Amir (Rohit Saraf) wechseln mit depressiven Schüben. Sie ist hin- und hergerissen zwischen Rebellion und Resignation, der Konflikt, der sie von ihrer Familie entfremdet, droht sie zu zerbrechen. Mozhdah bewältigt die darstellerische Tour de force scheinbar mühelos, als hätte sie nie etwas anderes getan als zu schauspielern. Brotfabrik

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