Interview mit Claudia Gilles „Deutschland war immer schon das beliebteste Ziel der Deutschen“

Die Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Tourismusverbands, Claudia Gilles, über das aufpolierte Image von Reisen im eigenen Land.

Mit Claudia Gilles, Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Tourismusverbands, sprach über Reisen in Deutschland und Nordrhein-Westfalen.

Der Tourismus in Deutschland boomt. Wie kommt das?

Claudia Gilles: Der Boom kommt keineswegs plötzlich. Die Zahlen steigen seit sieben Jahren – ausgehend von einem hohen Niveau. Deutschland war immer schon das beliebteste Ziel der Deutschen, aber auch beliebt bei ausländischen Gästen. Gründe dafür gibt es viele.

Gilles: Deutschland hat alles: Berge, Meer, Städte, Mittelgebirge, Flusslandschaften. Da gilt das etwas abgenutzte Wort Vielfalt, aber es zählen auch gute Erreichbarkeit und Infrastruktur. Für Deutschland spricht auch das gute Preis-Leistungs-Verhältnis. Es ist zwar nicht so günstig wie in Bulgarien, aber günstiger als in Italien, Frankreich oder Skandinavien.

Gibt es einen Imagewandel? Es scheint weniger piefig zu sein, in deutschen Landen zu verreisen.

Gilles: Zugegeben, das Image hat sich verändert. Generell gilt Heimat nicht mehr als spießig. Sicher auch, weil an vielen Stellen eine positive Entwicklung stattgefunden hat. Moderne Ideen wurden umgesetzt, Investitionen sind geflossen, von öffentlicher wie privater Seite. Traditionelles ist leichter, moderner geworden, ohne ganz zu verschwinden.

Gilles: Das Sicherheitsgefühl ist etwas sehr subjektives. So wird durchaus noch nach Ägypten, Tunesien oder in die Türkei gereist. Die Anteile haben sich jedoch verringert, davon profitieren Spanien, Italien, Griechenland und auch Deutschland. Dennoch glaube ich, dass die Zuwachszahlen nur zu einem geringen Bruchteil mit dem Thema zu tun haben. Zumal zu jeder Zeit überall etwas passieren kann. Wie jetzt in Berlin. Ob und wie sich dies auf den Tourismus in Berlin auswirken wird, können wir erst bewerten, wenn statistische Zahlen vorliegen.

Gillles: Je weiter die Anreise desto eher fällt der Blick auf die Highlights. Daher kann man Einheimische oder Gäste aus den Nachbarländern nicht mit Fernreisenden vergleichen, die auf ihrer Europatour maximal zwei bis drei Tage für Deutschland reservieren. Es lassen sich Niederländer eben nicht unbedingt mit Japanern vergleichen, die übrigens oft auf den Spuren von Goethe, Schiller oder Beethoven reisen. Amerikaner dagegen folgen oft familiären Wurzeln. Das ist differenziert zu betrachten.

Gilles: Als ich Kind war, machten wir einmal im Jahr drei Wochen Urlaub in den Bergen. Das war der Haupturlaub mit Eltern und Geschwistern. Heute dauert der Haupturlaub im Durchschnitt noch 12,9 Tage. Er ist aber in den vergangenen drei Jahren nicht mehr kürzer geworden. Dazwischen liegen Zweit- und Drittreisen, die gestrichen werden, sobald sich die wirtschaftliche Lage verschlechtert. Auch Kurztrips liegen im Trend. Mal eben raus aus dem Alltag, das nimmt definitiv zu. Egal, ob zu einer Radtour oder zu einem Besuch auf dem Weingut. So oder so: Die Reiselust der Deutschen ist groß. Nur die Skandinavier können da mithalten.

Gilles: Eine Befragung der Gesellschaft für Konsumforschung zeigt, dass die Gäste Abwechslung suchen – vom Besuch von Sehenswürdigkeiten über den Aufenthalt in der Natur, das Probieren von Spezialitäten bis zum Shopping. Die meisten Reisenden suchen nicht Aktivitäten um jeden Preis, sondern eher Entschleunigung.

NRW zählt nicht zu den klassischen Urlaubszielen. Dennoch entwickeln sich auch hier die Zahlen gut. Woran liegt's?

Gilles: Das Land ist mit seinem Mix aus Städten, ländlichen Regionen, dem spannenden Strukturwandel und zahlreichen Events ein klassisches Kurz- und Tagesreiseziel. Aber auch mit Geschäftsreisen hat es sich nach vorne geschoben – bis auf Platz drei bei den Übernachtungszahlen. Dabei spielt auch eine Rolle, dass NRW das bevölkerungsreichste Bundesland ist und viele Interessenten vor der eigenen Haustür hat.

Gilles: Da bin ich der Klassiker: Kurzurlaub am Niederrhein oder im Münsterland – und geschäftlich bin ich natürlich oft in Nordrhein-Westfalen.

Gilles: Ich werde jetzt 61 und freue mich auf die Zeit, wo ich mich einfach treiben lassen kann. Egal wohin, aber Grün muss es sein.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Held ohne Heldenpose
“One Life“ mit Anthony Hopkins Held ohne Heldenpose
Zum Thema
Aus dem Ressort