GA-Serie "Rheinische Landpartie" Die Vulkaneifel: Spur der Steine

Mayen · Wie die Folgen gigantischer Naturkatastrophen den Menschen später über Generationen Lohn und Brot brachten, erzählt eine einzigartige Museumslandschaft in Mayen.

Bürgermeister Rudolf Grennebach macht seinem Ärger vor 140 Jahren in der "Mayener Zeitung" Luft: Bitterlich beklagt er die "unbändige Genuss-Sucht des Mayener Proletariats", das Fehlen jeglicher Form von Sitte und Moral, die Trinkgelage, die Hurerei, die ständigen Raufereien. Aufs Schärfste verurteilt Grennebach die eigenmächtige Einführung der Fünf-Tage-Woche in Gestalt des "Blauen Montag", an dem die Steinhauer in den labyrinthischen Basaltgruben kollektiv ihren Kater vom Vorabend pflegen - gern mit einem Fässchen Bier. Zudem irritiert den preußischen Bürgermeister, dass "eine Familie, in der vier erwerbstätige Personen vorhanden sind, nicht einmal einen einzigen für Steuern pfändbaren Gegenstand besitzt, vielmehr alles in Vergnügen und Völlerei aufgehen lässt."

Nur Steine besitzt die Vulkaneifel in Hülle und Fülle. Basalt, Tuff, Bims - seit dort in prähistorischer Zeit regelmäßig die Erde explodierte. Zuletzt ging vor 10 000 Jahren der Vulkan hoch, dem wir das Ulmener Maar verdanken. Den Basalt verdankt Mayen dem Ausbruch des Bellerberg-Vulkans vor 200 000 Jahren. Das 1000 Grad heiße Magma kam nur drei Kilometer weit, weil es von der Schieferwand des Katzenbergs gestoppt wurde. Der Schiefer entstand übrigens nicht durch Vulkane, sondern schon vor 400 Millionen Jahren.

Gleich drei moderne Museen in Mayen dokumentieren eindrucksvoll Sozialgeschichte und Alltagsgeschichte: Das Eifelmuseum in der Genovevaburg, das Deutsche Schieferbergwerk im Burgberg - und Terra Vulcania.

Direktor Bernd Oesterwind stammt aus dem Ruhrgebiet, studierte in Bonn Archäologie und promovierte in Vor- und Frühgeschichte über das Neuwieder Becken in der Keltenzeit, bevor er 1993 die Stelle in Mayen antrat. Dort fand er in der Genovevaburg ein biedermeierliches Heimatmuseum vor. Vielleicht war der professionelle Blick von draußen nötig, um daraus eine dreiteilige, attraktive Ausstellungslandschaft zu entwickeln: Aus dem Heimatmuseum wurde ein modernes Themenmuseum, unter der Burg entstand das Deutsche Schieferbergwerk und im Grubenfeld am Stadtrand Terra Vulcania samt Außengelände, das zum Spaziergang durch eine Industrielandschaft mit 7000-jähriger Geschichte animiert.

Frühe Gastarbeiter

Die Natur hat die einstige Mondlandschaft längst zurückerobert, eines der größten Fledermaus-Völker Deutschlands wohnt hier, zudem kann man Kunst betrachten - Hinterlassenschaften zahlreicher internationaler Bildhauer-Symposien seit den 60er Jahren.

Erfahrene Bergleute aus der Eifel waren frühe Gastarbeiter des Ruhrgebietes (schön beschreibt das Schriftstellerin Clara Viebig in ihrem 1900 erschienenen, für die Zeit ungewöhnlich frivolen Roman "Das Weiberdorf"). Kunstfertige Steinmetze aus Mayen und den Nachbargemeinden Mendig und Rieden gehörten zur Stammbesatzung der Kölner Dombauhütte. Und in dem bei Mayen gelegenen Dorf namens Bell beherrschen die berühmten Backofenbauer heute noch ihre geheime Zunftsprache.

Um die Jahrhundertwende teilte sich die erwerbsfähige Mayener Bevölkerung vornehmlich in zwei Lager: Grubenbesitzer und Grubenarbeiter. Nicht selten verkehrten sich die Verhältnisse durch ein schlechtes Blatt binnen einer durchzechten Nacht. Besitzer und Arbeiter stammten aus demselben sozialen Milieu - und teilten sich die Einnahmen. Ein Steinhauer verdiente ein Vielfaches dessen, was ein Fabrikarbeiter in den damaligen Industriezentren erhielt.

Ein knochenharter und lebensgefährlicher Job. 4000 Menschen arbeiteten Ende des 19. Jahrhunderts allein in den Mayener Basaltgruben. Von dort kamen robuste Bausteine für Häfen, Schleusen, Brücken und Tunnel in halb Europa, Bordsteine und Pflastersteine für England, sturmresistente Bollwerke für die Sicherung der niederländischen Nordseeküste. Und 7000 Jahre lang Europas Exportschlager schlechthin: Mühlsteine in allen erdenklichen Größen.

Die Historie der Brauereien

Im 19. Jahrhundert florierte eine weitere Branche: 28 Brauereien zählte die damals 3000 Einwohner kleine Nachbargemeinde Mendig - weil in den ausgeweideten, drei Quadratkilometer großen Basalthallen eine ideale Gär- und Lagertemperatur von konstant 5 bis 8 Grad herrschte. Als die von Carl von Linde erfundene Kühlmaschine in Serie ging, verschwanden die meisten Brauereien wieder.

Ausgerechnet das bundesdeutsche Wirtschaftswunder bedeutete das Ende des Baustoffs Basalt. "Obwohl es inzwischen wieder eine Renaissance gibt", weiß Museumsdirektor Oesterwind. "Haribo verkleidet die Außenfassaden des neuen Standortes auf der Grafschaft mit Basalt."

Geblieben ist Europas größter Lieferant von Schiefer, der in Mayen auch heute noch von "Glückauf" rufenden Bergleuten der Firma Rathscheck unter Tage abgebaut wird - 360 Meter unter dem Förderturm. Mit Schiefer aus dem Katzenberg ist das Bonner Münster ebenso gedeckt wie das Beethovenhaus, das Museum Koenig ebenso wie die vier Türme der Bonner Universität.

Das Original-Bergwerk ist Touristen nicht zugänglich - aber das Museum Deutsches Schieferbergwerk unter der Genovevaburg. Die steht nämlich auf einem natürlichen Schieferberg. Im Zweiten Weltkrieg trieben die Bergmänner ein Stollensystem hinein - nicht zur Schiefergewinnung, sondern als Schutzbunker für die Bevölkerung.

Auch der prominenteste Sohn der Stadt, der Schauspieler Mario Adorf, verbrachte dort als Halbwüchsiger unzählige Bombennächte. Vom Eifelmuseum geht's heute per Aufzug 16 Meter tief hinab ins nächste Museum. Dort lässt sich die Arbeit der Bergleute erleben. Spektakulärer Höhepunkt und ein Riesenspaß für Kinder: die simulierte Lorenfahrt. Oesterwind deutet auf ein historisches Foto, das Mayener Bergleute bei der Mittagspause unter Tage zeigt: "Der Mann in der Mitte - das ist der Opa der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles."

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