Stillstand des öffentlichen Lebens Tipps für die Tage mit Corona
Coronavirus Das öffentliche Leben steht in Bonn still: Schulen und Kitas werden geschlossen, Konzerte, Theaterstücke, Flohmärkte und viele weitere Veranstaltungen sind abgesagt. Stellt sich die Frage, was man stattdessen in der Freizeit machen kann. Die Redaktion des General-Anzeigers hat einige Tipps zusammengetragen.
Entdeckungstour: Die ganze Stadt ist eigentlich eine Art Museum. Wenn die Häuser schließen, gibt es also eine Alternative, die gefahrlos unter freiem Himmel genossen werden kann. In Bonn gibt es gleich zwei Varianten, wie sich die Stadt ganz neu und anders erkunden lässt. Zum Beispiel von Beethoven-Denkmal zu Beethoven-Denkmal. Start ist auf dem Münsterplatz, wo der wohl bekannteste Bonner Beethoven auf dem Sockel steht. Wer Baustellen mag, schaut bei der Beethovenhalle vorbei, wo in diesem Jahr, so die Ankündigung, auch der aufgearbeitete Beethon-Kopf von Klaus Kammerichs von 1986 wieder liegen sollte. Aber so schnell geht es in Bonn ja nicht mit den Renovierungsprojekten. Dann gibt es noch den Beethoven von Markus Lüpertz im Stadtgarten und ein paar Kilometer weiter den Fluss hinauf steht unweit des Rheinpavillons das leicht lädierte Denkmal von 1938 herum. Dort ruht der Meister halbnackt und leicht versteckt, so als wäre dieser Ehrungsversuch der Stadt heute etwas peinlich. Beethoven hat es mit seinen Bonnern eben nicht immer ganz leicht.
Wenn man schon mal in der Rheinaue ist, lohnt ein Abstecher an den Robert-Schuman-Platz, wo in dichter Folge viele Skulpturen an, vor und neben den Ministeriumsbauten der 1970er und 80er Jahre zu finden sind, zum Beispiel Leo Kornbrusts zwei Meter große Granitkugel. In der weiteren Umgebung wimmelt es nur so von interessanten modernen Werken: Der Löffelwald in der Rheinaue, die Integration von Hans Dieter Bohnet unweit des alten Bundeshauses (Helmut Schmidt mochte sie nicht und holte sich stattdessen Henry Moores Large Two Forms ans Kanzleramt, wo sie noch heute stehen), Bernar Venets Riesenskulptur auf dem Trajektkreisel, der Adenauer-Kopf am ehemaligen Kanzleramt, Hans Arps Wolkenschale an der Unibibliothek und Victor Vasarelys Wandbild am Juridicum. Auf diese Weise lässt sich einsam und ungefährdet die Stadt erwandern, über den Wechsel von Geschmack, Vergänglichkeit von Ruhm und hohe Kunst weitab der normalen Wahrnehmung nachdenken. Sollte die Freizeit länger dauern, lässt sich das Programm bequem auf historische Denkmäler, besondere Bauten oder bedeutende Bonner und ihre Wohnhäuser erweitern. (Helge Matthiesen)
Spannende Filme Am Donnerstag kam der neue Papst mit der Post. Genau genommen waren es zwei Päpste. Jude Law und John Malkovich spielen in der zweiten Staffel von Paolo Sorrentinos englischsprachiger Sky-Serie „The New Pope“ Pius XIII. respektive John Paul III. Die DVD kann man sich jetzt aus England schicken lassen. Mit satirischem Biss nähert sich der Regisseur der Institution Kirche. Der Vatikan wird zur Bühne für Intrigen, innere und äußere Konflikte – und Momente von himmlischer Komik. Wer es eine Spur seriöser haben will, wird vom Streaming-Anbieter Netflix versorgt: mit dem Film „The Two Popes“. Anthony Hopkins und Jonathan Pryce brillieren als Benedikt XVI. und dessen Nachfolger Franziskus. Von den Stellvertretern Gottes ist es ein kühner Sprung in die (kriminelle) Unterwelt. Einer ihrer faszinierendsten Bewohner ist Don Vito Corleone. Seine Geschichte und die seines Sohnes Michael erzählen die drei Teile von Francis Ford Coppolas Film „Der Pate“. Ein Klassiker, der auch beim x-ten Wiedersehen nicht abbaut. Danach hat sich der Zuschauer qualifiziert für die „Sopranos“. Die DVD-Box mit den sechs Staffeln wiegt schwer. Die Zeit bis zum offenen Ende ist lang, aber kurzweilig. Selten haben Gangster so viel Spaß gemacht. (Dietmar Kanthak)
Blick zurück Meine Empfehlung: Lesen Sie ein gutes Buch. Ein sehr gutes Buch. Es heißt: „1918 - Die Welt im Fieber“. Ein Sachbuch, das sich so atemberaubend liest wie ein Kriminalroman. Der britischen Wissenschaftsjournalistin Laura Spinney (Foto) gelingt es, eine weitgehend vergessene Katastrophe nicht nur aus medizinischer, sondern auch aus politischer, kultureller, wirtschaftlicher und sozialer Sicht zu beschreiben. Die bösartigste je aufgezeichnete Influenza befiel jeden dritten Erdbewohner und verschonte nur einen einzigen Kontinent: die Antarktis. Seit dem ersten dokumentierten Fall im US-Bundesstaat Kansas am 4. März 1918 tötete die Spanische Grippe mindestens 50 Millionen, nach jüngsten Studien möglicherweise bis zu 100 Millionen Menschen. Die Pandemie forderte also weit mehr Todesopfer als der gesamte Erste Weltkrieg. Am Virus des Subtyps A/H1N1 starben der Maler Egon Schiele, der Dichter Guillaume Apollinaire, der Soziologe Max Weber, Sigmund Freuds Tochter Sophie, Friedrich (Frederick) Trump, aus dem pfälzischen Kallstadt in die USA ausgewanderter Wirtschaftsflüchtling und Großvater des heutigen US-Präsidenten. Die Lektüre macht demütig und ist als heilsame Arznei all jenen zu empfehlen, die meinen, wir leben heutzutage in der schrecklichsten aller Welten. (Wolfgang Kaes)
Kunst und Literatur Konzerte abgesagt, Theater leer, Oper verstummt. Da wird der Kulturfreund kribbelig, dreht leicht am Rad. Bis ein Besuch beim Psychotherapeuten des Vertrauens möglich wird – Wartezeiten sind lang - vielleicht ein paar Tipps fürs Wochenende: Die Ausstellungen von Martin Noël im Kunstmuseum und „Wir Kapitalisten“ in der Bundeskunsthalle sind gerade angelaufen, unbedingt sehenswert und virusbedingt wahrscheinlich nicht übermäßig gut besucht.
Wer freiwillig oder unfreiwillig in Quarantäne ist und keine Filme da hat – Pandemiethriller wie „Outbreak“, „Children of Men“ oder „The Bay – Nach Angst kommt Panik“ sollten ebenso vermieden werden wie Endzeit-Serien à la „The Walking Dead“ – könnte ein Buch zur Hand nehmen. Sehr zu empfehlen ist „Das Evangelium der Aale“ von Patrik Svensson, das viel spannender und tiefschürfender ist als der Titel vermuten lässt. Es geht nicht nur um das teilweise ungelüftete Mysterium der Aale, sondern auch um mich und dich und das, was die Welt zusammenhält. Großen Spaß macht mir momentan das neue Buch von T.C. Boyle: „Sind wir nicht Menschen“ vereinigt absolut lesenswerte Kurzgeschichten des Großmeisters der Short Story. Jede Geschichte ein faszinierender Kosmos, bizarr, spannend, abgründig und bitter-ironisch. Das Richtige für ein Wochenende auf der Couch. (Thomas Kliemann)
Lesen und Toben Sollte es in die Isolation gehen, ist eines klar: Yakari (für die Sechsjährige) und Leo Lausemaus (für die Zweijährige) müssen mit. Da aber die Folgen sowohl in Literatur als auch im iPad Gott sei Dank endlich sind, könnte der Garten auf Vordermann gebracht werden. Das Wetter soll ja wieder besser werden. Die Äste vom letzten Sturm wollen gehäckselt, die Beete für den irgendwann wieder möglichen Blumenkauf vorbereitet werden. Der Nachwuchs darf derweil Matschepampe zubereiten. Falls es am heimischen Außenbereich mangeln sollte, freuen sich (noch) arbeitende Nachbarn vielleicht über die Übernahme von Gassi-Gängen. Denn bislang gibt es laut Wissenschaft keine Hinweise darauf, dass sich Haustiere mit SARS-CoV-2 infizieren können. (Silke Elbern)
Betreuungsjazz Es werden jeden Tag mehr. Das gilt auch für die Pakete, die unsere liebe Nachbarin tagsüber für uns annimmt. Denn noch gehen wir (Stand Freitag) fast ganz normal arbeiten. Die Frage ist, wie lange das so bleibt. Wenn bald die Kitas schließen und die beiden Kinder zu Hause eher bespaßt werden müssen als wollen, dann beginnt eine ganz neue Form des Betreuungsjazz, lange Improvisationsphasen inklusive. Und wer – immer schön abwechselnd – arbeiten gehen darf, hat definitiv gewonnen. Der übriggebliebene Erziehungsberechtigte kann sich dann vielleicht außer ums Vorlesen, Wassermalfarben verteilen und Co (ach ja, Kochen ebenfalls) vielleicht auch noch um die eingangs erwähnten Pakete kümmern. Denn die enthalten schon vor der Corona-Krise bestelltes Baumaterial für den Garten, der eigentlich seit dem Umzug vor gut einem Jahr auf Vordermann gebracht werden sollte. Konkret handelt es sich dabei um Dinge, die mich spontan für mehr Arbeitstage im Büro für mich plädieren lassen: HT-Rohre, Auslaufhähne, Überlaufbögen, Rohrschellen, Gartenschläuche, Anschlussstücke sowie Blockstufen und Splitt für zwei Podeste. Darauf soll irgendwie ein Pärchen von je 800 Liter fassenden Regentonnen montiert werden, in schickem Granit-Grau. Wie schön. Aber die Behälter kommen wohl erst im Laufe der nächsten Woche. Ist nicht weiter schlimm, denn wenn Schulen und Kitas geschlossen werden, ist das bestimmt keine Sache von nur wenigen Tagen. (Margit Warken-Dieke)
Ablenkung Der Kurztrip fällt aus, weil die Freunde aus dem Ausland nicht kommen dürfen (die Regierung hat bei Rückkehr aus Deutschland zweiwöchige Quarantäne angeordnet), das gemeinsam zu besuchende Konzert ist vom Veranstalter seit Donnerstagabend abgesagt. Eine Woche Urlaub zu Hause in Zeiten von Corona? Der französische Philosoph Blaise Pascal hat in seinen „Penseés“ geschrieben, „dass alles Unglück der Menschen von einem Einzigen herkommt: dass sie es nämlich nicht verstehen, in Ruhe in einem Zimmer zu bleiben.“ Ich kehre das jetzt mal für mich um: In Ruhe in meinem Zimmer zu bleiben, ist mein Glück – klingt irgendwie gut. Denn: Als aktiver Mensch hat man viel zu schnell ein schlechtes Gewissen, wenn man einfach zu Hause bleibt, liest und Filme guckt.
Zwei dicke Bücher sind schon länger meine Lektüre, und sie harren darauf, dass ich sie endlich zu Ende lese: Shoshana Zuboffs „Überwachungskapitalismus und Demokratie“ und Michael Chabons „Die unglaublichen Abenteuer von Kavalier und Clay“. Das Sachbuch ist fast wie ein langer Essay, und die US-Ökonomin lässt hinter die Kulissen der kalifornischen Digitalkonzerne blicken, wie sie es geschafft haben, aus unseren gesammelten Daten Milliarden zu scheffeln. Chabons Roman erzählt die Geschichte der US-Comics anhand seiner beiden Protagonisten, einer ist nicht nur ein begnadeter Zeichner, sondern hat die Kunst der Entfesselung à la Houdini in seiner osteuropäischen Heimat gelernt. Als jüdischer Flüchtling in den USA in den 1940er Jahren rächt er sich mit seinen Comic-Geschichten an den Nazis. Wenn ich genug vom Lesen habe, schaue ich mir „Downton Abbey“ als DVD an. Als Video-on-Demand ist der Spielfilm seit Ende Januar abrufbar.
Nicht über Eskapismus, aber über Zerstreuung hat Pascal übrigens auch etwas zu sagen: Den Hang zur Zerstreuung schrieb dieser Denker aus dem 17. Jahrhundert „unserer schwachen und sterblichen Verfassung zu, die so erbärmlich ist, dass nichts uns trösten kann, wenn wir näher daran denken“. Lenken wir uns also ab. (Ulla Thiede)
Erinnerungen Es scheint der Moment zu sein, auf den ich und die bislang leeren Fotoalben in meinem Wohnzimmerregal so lange gewartet haben. Das Coronavirus verbreitet sich immer schneller, draußen findet kaum noch etwas statt. Zeit für ein Wochenende in den schützenden vier Wänden. Das ist die Gelegenheit, um endlich all die Fotos der vergangenen Monate durchzuschauen, zu sortieren und in die Fotoalben zu kleben. So lange habe ich mir das schon vorgenommen. Bisher ist mir irgendwie immer etwas dazwischengekommen oder ich konnte mich einfach nicht motivieren, mich durch die ganze Masse an Fotos zu kämpfen. Da steckt schließlich Arbeit dahinter. Doch damit ist jetzt Schluss. Die Zeit ist gekommen. Und einmal angefangen, hat es mich gepackt. Das Schöne dabei: Es kommen so viele Erinnerungen an tolle Erlebnisse hoch. Da vergehen die Stunden fast schon zu schnell. Und irgendwie hat man auch gar nicht das Gefühl, alleine zu sein, wenn Freunde und Familie einen von den Fotos aus anlachen. Eine schöne Beschäftigung für ein Wochenende daheim. Und das Ergebnis kann sich am Ende auch sehen lassen. (Linda Thielen)
Neues Hobby Mehl dürfte in zahlreichen Haushalten ausreichend vorhanden sein. Darauf deuten zumindest die Lücken in den Supermarktregalen hin. Die neue Häuslichkeit, zu der das Virus zwingt, bietet also die einzigartige Chance für ein neues Hobby: das Brotbacken. So viel vorweg: „Schnell mal eben“ geht dabei gar nichts. Wer zum Beispiel das „kalt geführte Sauerteigbaguette“ genießen möchte, muss mindestens 20 Stunden, bevor es auf den Tisch kommt, mit der Arbeit beginnen. Keine Sorge, man darf in dieser Zeit ruhen, der Teig tut es auch – sogar mehrfach. Anrühren, ruhen lassen, kneten, ruhen lassen, falten, ruhen lassen: bis das Brot in den Ofen darf, ist eine geradezu meditative Abfolge von Tätigkeiten notwendig, die dem Tag auch ohne Schulgong oder Bürokantine eine angenehme Struktur geben. Und aufgepasst: Die Pflege eines Sauerteigs ist ungefähr so diffizil wie die Handaufzucht einer frühgeborenen australischen Bartagame. Quarantäne bedeutet ja nicht die Abwesenheit von Herausforderungen. Aber es geht auch einfacher: Für das Topfbrot mit Dinkel reicht es, das sogenannte Brühstück morgens zu verrühren, um Abends den knusprigen Laib aus dem Ofen zu holen. Mit etwas französischer Salzbutter schmeckt der besonders gut. Danach sollte allerdings auch der Heimtrainer zum Einsatz gebracht werden. Die Rezepte sind im Buch „Brot, Brot, Brot“ von Martin Johansson zu finden. (Delphine Sachsenröder)
Neue deutsche Musik Ende der 1960er Jahre rebellierte ein großer Teil der jungen Generation gegen die bürgerliche Gesellschaft, gegen deren Konventionen und Institutionen. Und auch gegen die Politik und die Führungsrolle der USA. Auf dem Gebiet der Musik nabelten sich in Deutschland immer mehr Bands vom amerikanischen und britischen Blues- und Rockschema ab und entwickelten neue Songstrukturen. Die Stücke sprengten die übliche Drei-Minuten-Dauer, die Musiker experimentierten mit neuen Instrumenten, holten sich Inspirationen aus Asien und Nordafrika. Bands wie Amon Düül, Ash Ra Tempel, Agitation Free, Guru Guru, Tangerine Dream, Kraan, Embryo, Can, Grobschnitt und Kraftwerk standen und stehen für eine neue deutsche Musik, die man bald in der Schublade „Krautrock“ unterbrachte. Anarchische Klangwände, wirre Elektronik und „kosmische Musik“, zuweilen unter Drogeneinfluss eingespielt, bereiteten den Boden für Techno oder Industrial. Henning Dedekind, 1968 geboren, hat dem „Krautrock“ unter diesem Titel ein sehr kenntnis- und detailreiches Buch gewidmet, mit dem man sich gut ein Wochenende beschäftigen kann. Er lässt Musiker wie Irmin Schmidt von Can zu Wort kommen, beschreibt die ersten Festivals und ruft die Landkommunen in Erinnerung, in denen viele Bands damals zusammenlebten. Im zweiten Teil des Buches porträtiert der Autor die wichtigsten Bands. Es spricht nichts dagegen, die Lektüre mit Werken der oben genannten Gruppen akustisch zu ergänzen. (Hans-Peter Fuß)