Maßnahmen zur Personalfindung Fachkräftemangel: Elektrobranche unter Strom

Rhein-Sieg-Kreis · Vom beschönigenden Begriff „Bedarf“ spricht Martin Böhm im Zusammenhang mit der Suche nach Fachkräften schon lange nicht mehr. „Es ist ein echter Mangel“, sagt der Troisdorfer Unternehmer und Obermeister der Elektroinnung Bonn/Rhein-Sieg: „Viele Betriebe berichten uns, dass sie mehr Aufträge annehmen könnten, wenn sie ausreichend Personal hätten.“

 Martin Böhm ist Obermeister der Elektroinnung. FOTO: HEINEMANN

Martin Böhm ist Obermeister der Elektroinnung. FOTO: HEINEMANN

Foto: Heinemann

Eine Entwicklung, die auch der VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik und Informationstechnik auf Bundes- und Bezirksebene auf Nachfrage bestätigt. Genaue Statistiken zu offenen Stellen und deren Auswirkungen auf die Wirtschafts- und Innovationskraft der Branche liegen dem Verband zwar nicht vor. Aber gut vernetzt seien die Elektroniker und Elektrotechniker auf Innungsebene am Werk, um das Problem in die Hand zu nehmen, sagt Martin Böhm, Inhaber des Betriebs Böhm Elektrobau in dritter Generation: „Das kostet viel Zeit und auch Geld, aber es lohnt sich.“

Mit Unterrichtsmaterialien für Lehrer ab der Grundschule, Informationsvideos, Unterrichtsbesuchen und Schulpartnerschaften will die Innung für das Thema „Elektro“ begeistern und setzt dafür auch ihre „E-Zubis“ ein – also Azubis, die nach einer Fortbildung als Multiplikatoren Gleichaltrige für die Elektrobranche gewinnen sollen. Ein schmaler Grat, gibt Martin Böhm zu, denn „früher war der direkte Draht zwischen Schule und Wirtschaft verpönt. Heute sehen beide Seiten die Vorteile.“

Bis zu 30 Prozent mehr Azubis habe das in den letzten Jahren gebracht, rechnet Martin Böhm für die Innung vor Ort nach. Dafür habe auch ein neues Abiturprojekt des Zentralverbands des Deutschen Handwerks gesorgt: Als einer von sechs Bezirken in Deutschland bietet Bonn/Rhein-Sieg das „Berufsabitur“ an, also eine vollwertige Ausbildung mit uneingeschränkter Hochschulreife nach insgesamt vier Lehrjahren. Wichtig sei es aber, junge Leute nach der Ausbildung für die Arbeit in einem Betrieb zu begeistern, so der Obermeister. „Die Pflege der Außendarstellung ist da ein gutes Mittel. Wir selbst geben mehr Zeit und Geld für die Suche nach Fachkräften aus als für die Auftragsakquise.“

Die Jobsicherheit sowie die Attraktivität des Aufgabenspektrums etwa im Bereich der neuen Energien, in denen der Elektrobau und die Elektrotechnik eine entscheidende Rolle spielen, müssten ebenso nach außen transportiert werden wie die Botschaft, Teil eines engagierten, motivierten Teams zu sein.

Auch der Obermeister habe das lernen müssen, gibt Böhm zu: „Der Firmenwagen zieht heute nicht mehr, auch das Gehalt steht nicht an erster Stelle. Freizeit und Work-Life-Balance, die Ausstattung des Betriebs, geregelte Arbeitszeiten und ein gutes Zusammengehörigkeitsgefühl stehen beim Fachkräftenachwuchs an erster Stelle. Das gilt für nahezu alle Branchen, auch wenn das viele Unternehmen noch nicht erkannt haben. Aber sie müssen und werden das erkennen, wenn sie überleben wollen.“

Im eigenen Betrieb in Troisdorf wurden unliebsame Aufgaben im wie Bereitschafts-, Wochenend- oder Nachtschichten für Industriekunden fair und im Team verteilt. Niemand komme darum herum, niemand werde benachteiligt, so Böhm. „All das ist nicht einfach, daran muss man kontinuierlich arbeiten, nicht nur auf der Chefetage, sondern auf allen Ebenen im Betrieb.“ Denn Mitarbeiter könnten sich ihren Betrieb heute frei aussuchen. „Jeder Betrieb nimmt heute fast jede Fachkraft mit Kusshand. Also muss man kreativ sein. Der Kampf um die Besten hat längst begonnen und man muss alle Möglichkeiten nutzen.“ (hth)

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