Krieg des IS Die Front in Europa

Brüssel · Noch sind es nur deutliche Worte, ausgesprochen kurz nach den Anschlägen und im Schock des Unfassbaren: "Das war ein Kriegsakt einer feindlichen Armee, des Islamischen Staates", erklärte Frankreichs Staatspräsident François Hollande.

 Gespräch im Elysée-Palast: François Hollande (rechts) und sein Vorgänger Nicolas Sarkozy.

Gespräch im Elysée-Palast: François Hollande (rechts) und sein Vorgänger Nicolas Sarkozy.

Foto: dpa

"Wir befinden uns im Krieg", unterstrich auch der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte. "Dieser Anschlag trifft uns alle", betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und auch Bundespräsident Joachim Gauck sprach gestern von einer "neuen Art von Krieg".

Es ist nicht nur die Wut über den feigen Massenmord an Unschuldigen, der die Wortwahl martialisch werden lässt. Die europäischen Staatenlenker reagieren auch auf die unverhohlene Kriegserklärung des IS, der nicht mehr geschulte Amateure, sondern ausgebildete Elitekämpfer ausschwärmen ließ, weil Frankreich die "Moslems im Kalifat mit seinen Flugzeugen angegriffen" habe. Seit Freitag wird der Krieg des IS auch auf europäischem Boden geführt.

Die Folgen könnten weitreichend sein, weil die Sprache der Politiker den Griff zum Beistandsversprechen nach Artikel fünf des Nato-Vertrages fast schon enthält. Während im Artikel vier, der im Juli von der Türkei nach heftigen Gefechten an der syrisch-türkischen Grenze ausgerufen worden war, nur gegenseitige Konsultationen vorsieht, fordert der nachfolgende Absatz den versprochenen Beistand ein: "Die Mitglieder stimmen überein, dass ein bewaffneter Angriff gegen einen oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als Angriff gegen jeden von ihnen gewertet wird." Daraus folgt, dass jeder dem Angegriffenen zur Seite stehen muss, "wie jede Partei es für notwendig erachtet, die Einsetzung von bewaffneten Truppen inbegriffen".

Am Wochenende sagte der frühere deutsche Nato-General Egon Ramms: "Eine ähnliche Situation hat im Jahr 2001 zum Bündnisfall geführt. Der Nato-Rat müsste auf Antrag von Frankreich entscheiden, ob das nach den Anschlägen von Paris jetzt auch der Fall ist." In der Nacht zum Sonntag bestätigte Jens Stoltenberg, der Generalsekretär der Allianz, zwar, dass das Bündnis im Kampf gegen die Gotteskrieger an der Seite Frankreichs stehe: "Terrorismus wird nie die Demokratie besiegen." Ein offizieller Antrag aus Paris, Artikel fünf zu aktivieren, lag aber bis gestern noch nicht vor. Er würde Europa nicht verändern, weil sich Europa längst verändert hat.

Die Anschläge auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo", kurz darauf die Festnahme eines Terror-Kommandos im belgischen Verviers, die vereitelte Attacke auf einen Thalys von Amsterdam über Brüssel nach Paris im August - vielerorts scheint Sicherheit schon jetzt nur noch mit militärischen Mitteln möglich. Nicht nur die EU-Institutionen in Brüssel werden seit Monaten von schwer bewaffneten Soldaten bewacht.

Doch die EU-Führungen wissen auch, dass Bewachung und Prävention jetzt nicht mehr reichen. Hollandes klare Ansage, man werde "gnadenlos reagieren", was die Kanzlerin mit der Formulierung "mit allen Mitteln" unterstützte, weisen offenbar die Richtung: Das Häuflein alliierter Flugzeuge, die im Irak und in Syrien gegen den IS mehr oder minder wirkungslos operiert, reicht nicht mehr.

Harald Kujat, 2000 bis 2002 Generalsinspekteur der Bundeswehr, erklärte: "Die Frage nach dem Bündnisfall ist jedoch an die Frage gekoppelt, wozu man im Kampf gegen den IS bereit ist. Meines Erachtens wären in dem Fall Bodentruppen die einzige Alternative." Wenn die bisherige US-geführte Allianz in Syrien aber zum Nato-Einsatz wird, verschieben sich die Fronten. Dann herrscht Krieg. Und die Front verläuft, so darf man wohl nach dieser Freitagnacht sagen, nicht mehr nur im Nahen Osten, sondern auch in Europa.

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