Wirtschaftsmagazin Chancen für den Einzelhandel

BONN · Entscheidet allein der Preis, gewinnt das Internet. Es sei denn, die Händler vor Ort greifen gezielt in die Trickkiste modernen Marketings

 Wenn EInkaufen zum Erlebnis wird, hat der Einzelhandel klare Vorteile gegenüber dem Online-Shopping. FOTO: JUPITERIMAGES/THINKSTOCK

Wenn EInkaufen zum Erlebnis wird, hat der Einzelhandel klare Vorteile gegenüber dem Online-Shopping. FOTO: JUPITERIMAGES/THINKSTOCK

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Glaubt man der einen oder anderen Schlagzeile in den vergangenen Jahren, dann sorgt zunehmendes Online-Shopping bald für vernagelte Schaufenster in ausgestorbenen Innenstädten. Eine aktuelle Studie widerlegt zwar die Mär vom Einzelhandelssterben. Die Untersuchung „Online-Handel – Mögliche räumliche Auswirkungen auf Innenstädte, Stadtteil- und Ortszentren“, herausgegeben vom Bundesbauministerium (BMUB), vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) sowie vom Handelsverband Deutschland (HDE), zeigt eher, dass Online- und stationärer Handel aufeinander einwirken. Von einem breiten Händlersterben in den Fußgängerzonen kann demnach nicht durchweg die Rede sein.

Doch es gibt zweifellos Verlierer in den Innenstädten: 50 Prozent der Umsätze im Online-Handel verteilen sich allein auf die Bereiche Kleidung und Elektroartikel. Und so sind es vor allem unabhängige Fachhändler für Kleidung und Elektroartikel, die unter dem Vormarsch des Online-Handels leiden. Die Autoren gehen davon aus, dass diese beiden Gruppen in den kommenden Jahren im Durchschnitt ein Drittel ihrer Umsätze einbüßen werden.

Angebot und Kosten: die Achillesfersen der Einzelhändler

Was dem stationären Handel zudem Probleme bereitet, sind die steigenden Mieten für Verkaufsflächen. „International aufgestellte Unternehmen mit Filial-ketten können sich die A-Lagen in den Zentren noch leisten. Für die kleineren Händler wird es schwer. Sie kämpfen wegen der steigenden Mieten auf der einen Seite mit schrumpfenden Margen. Und auf der anderen Seite können sie sich mit ihren vergleichsweise kleinen Lagerflächen auch beim Angebot an Produkten kaum gegen die schier endlose Auswahl der Online-Händler behaupten“, erklärt Martin Mattes von der Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partners in Bonn. „Und für Händler, die eigene Immobilien besitzen, lohnt es sich oft eher, ihr Geschäft aufzugeben und die Flächen an große Ketten zu vermieten“, so Mattes. Doch es gibt auch Strategien, mit denen sich Einzelhändler in den Städten behaupten können.

Sonderangebote als Lockruf

Das macht zum Beispiel Thalia vor: Die Buchhandelskette hat trotz Preisbindung mit rückläufigen Umsätzen bei Büchern zu kämpfen. Das hat vor allem mit dem Online-Konkurrenten Amazon zu tun. Doch Thalia hält dagegen. Zum Beispiel mit einem eigenen E-Book-Reader und einer eigenen Online-Plattform, auf der man Bücher hochladen kann. Aber auch die veränderten Verkaufsflächen tragen dazu bei, die Umsätze und Gewinne zu stabilisieren. In der Innenstadtfiliale in Bonn lässt sich das Konzept besichtigen: Im Erdgeschoss des einstigen Kinocenters am Marktplatz bietet Thalia den Kunden auf dem Weg zur Kasse sogenannte schnell drehende Produkte an. Tassen, Postkarten, Hausdekoration, Schokolade – Thalia schafft so ein Einkaufserlebnis rund ums Buch. Dazu passen auch das Café im ersten Stock und die Lesesessel im alten Kino-Look – beide tragen dazu bei, die Verweildauer zu erhöhen.

„Shoppingerlebnis, Beratung, auch mal Events – das ist eine Erfolgsformel, mit der Einzelhändler Kundschaft in ihre Verkaufsflächen locken können. Auch unabhängige Händler können hier von Thalia lernen“, sagt Martin Mattes.

Auch an der Preisschraube können stationäre Händler geschickt drehen. „Einzelhändler können bestimmte Standard-Artikel, für die Kunden ein gutes Preisgefühl haben, günstig anbieten und mit teureren Ergänzungsartikeln den nötigen Ertrag erwirtschaften“, so Mattes. So ließe sich etwa ein Handy preiswert anbieten. Dafür könnten Ladekabel, Schutzhüllen, Selfie-Stangen und andere Produkte mit höherer Marge verkauft werden. „In der Wahrnehmung des Kunden bleibt der Händler so eher preiswert“, so Mattes. Immerhin einen Vorteil hätten unabhängige Händler gegenüber Filialketten: Sie können auf Nachfrage selbstständig entscheiden, gegebenenfalls den Preis reduzieren oder spontan passende Bundles schnüren – nach dem Motto: darf es ein bisschen mehr sein?

Von Ikea lernen

Von Ikea lernen heißt Verkaufen lernen. Die Schweden machen vor, wie sich Umsätze gewinnbringend steigern lassen. So lockt Ikea mit einer Abteilung mit Krimskrams vom Teelicht bis zur Zimmerpflanze. „Dass dieses Boutique-Geschäft kurz vor dem Ende jedes Ikea-Rundgangs liegt, ist kein Zufall“, erklärt Martin Mattes. „Diese Abteilung ist für viele Käufer der eigentliche Anlass, um ein Ikea-Gebäude zu betreten. „Nicht selten kommen Besucher, die eigentlich ein preiswertes Tassenservice suchen und mit einem neuen Esstisch nach Hause fahren“, so Mattes. Was können Einzelhändler in den Innenstädten von hier lernen? „Manchmal sind es gar nicht die eigentlichen Kernprodukte eines Geschäfts, mit denen man die Käufer anlockt. Gerade wenn man höherwertige Produkte anbietet, kann es sich lohnen, preiswerte Gimmicks ins Schaufenster oder vor die Tür zu stellen“, so Mattes. Und so könnte es Kunden in den Innenstädten bald so gehen wie im Internet: Man findet eine Menge Angebote – auch wenn man ursprünglich nach etwas ganz anderem gesucht hat.

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