Stark wie Emil und die Detektive

Immer mehr junge Menschen müssen in Obhut genommen werden - Zu Besuch im Erich-Kästner-Haus, dem ersten Kinderhaus der Jugendhilfe für Drei- bis Zwölfjährige

Stark wie Emil und die Detektive
Foto: Friese

Bad Godesberg. Eigentlich sieht es in diesem ersten Bonner Kinderhaus wie in jedem Familienhaushalt aus. Bob, 5, und Mike, 3, (Namen von der Redaktion geändert) turnen glucksend durchs Treppenhaus.

Blitzschnell klammert sich der Kleine an Hausleiterin Brigitte Schwarz, als die Reporter hereinkommen. Vorsichtig testet er sie aus, indem er ihnen seinen Plastikritter zeigt. "Der arme Kerl, wo ist denn sein Helm geblieben?", erkundigt sich Schwarz liebevoll. Nein, mittags bleibe der Fernseher aus, "das weißt du doch", lautet dann der Wink an den Größeren, der den fremden Fotografen ständig mustert. "Du bist bestimmt von der Polizei", wird er im Verlauf des Besuches noch mehrmals nachhaken.

Im kürzlich eröffneten Erich-Kästner-Haus der Evangelischen Jugendhilfe Godesheim, das sechs durch das Bonner Jugendamt in Obhut genommenen Drei- bis Zwölfjährigen ein neues Zuhause bietet, ist eine besondere Atmosphäre zu spüren. Ja klar, Bob, Mike und ihr größerer Bruder Daniel, der oben krank im Bett liegt, hätten sicher schon einiges Traumatisches hinter sich. "Sie bringen ein Potenzial mit", sagt "Hausmutter" Brigitte Schwarz lakonisch, während die kleineren Jungs ganz nah bei ihr weiterspielen.

Das Jugendamt habe die von der überforderten Mutter vernachlässigten Kinder "rausholen" müssen, damit sie in der Haus- und Lebensgemeinschaft mit ihr und drei weiteren Kindern endlich von einer familienähnlichen Lebensform mit konstanten Bezugspersonen profitieren können.

Denn die nach 24 Berufsjahren erfahrene Erzieherin hat sich entschlossen, nicht mehr nur nach Dienstplan zu arbeiten. Sie teilt mit den Kindern 24 Stunden lang den Alltag und formt so mit ihnen eine neue Gemeinschaft. "Ich will ihnen weitergeben, das Leben zu lieben. Ich will sie stark machen wie die Erich-Kästner-Figuren, wie Emil und die Detektive", sagt Schwarz und streicht immer mal wieder über einen Kinderkopf.

Auch die drei Mädchen Jasmin, Rachida und Mariam kommen ab und zu nachsehen, mit wem "Brigitte" da spricht, und suchen intuitiv den Körperkontakt. "Sie alle haben unheimliche Verlustangst", weiß Schwarz.

Das Haus sei ganz gezielt nicht wie andere als Durchgangsstation, sondern als bleibendes Zuhause für Kinder konzipiert, die aller Voraussicht nach nicht mehr in ihre Herkunftsfamilie zurück können, erläutert Koordinator Christian Steinberg vom Träger. "Bei uns können sie bleiben. Hier können sie groß werden." Die Hausleiterin sowie weitere Hilfen böten einen optimalen Rahmen für eine positive Entwicklung. "Setzt man mit 14- oder 15-Jährigen ein, dann sind die schon oft zu kaputt, um sich noch zu binden", weiß die erfahrene Erzieherin.

Derweil ist bei den drei Mädchen mit der leiblichen Mutter Besuch eingetroffen, den sie stürmisch begrüßen. "Das ist schon traurig, dass ich sie nicht mehr bei mir habe. Aber bei Frau Schwarz sind sie sehr gut untergekommen. Das ist auch für mich die beste Lösung", erklärt die Frau auf Nachfrage.

Und erzählt dann von den Querelen mit der bisherigen Pflegefamilie der Kinder. "Die haben mich richtig ausgeschlossen. Aber ich bleibe doch ihre Mutter." Eine, die sich etwa bei Elternsprechtagen weiter für das Wohl der Mädchen einsetzen möchte.

Sie wolle und könne den Kindern nicht die Mutter ersetzen, sie könne sie nur begleiten, betont Brigitte Schwarz. Mitunter gehe es im Erich-Kästner-Haus ziemlich stressig zu, erzählt sie dann lachend. "Wenn ich abends mal weggehe, dann ist echt Tanz in der Bude." Dann verabrede sie mit den Kindern, wer auf sie aufpasse und wann sie ganz, ganz sicher wiederkomme. Eben wie in jedem Familienhaushalt auch.

Leihgroßeltern werden fürs Erich-Kästner-Haus dringend gesucht. Kontakt: Rufnummer (02 28) 38 27 117 oder s.steinberg@godesheim.de.

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