Bonner Ordnungsamt im Dauereinsatz Stadt und Polizei erstatten 1030 Anzeigen wegen Corona-Verstößen

Bonn · Der Chef der Bürgerdienste und der Leiter des Stadtordnungsdienstes sprechen im GA-Interview über die Uneinsichtigkeit mancher Bürger in Corona-Zeiten.

 Bei steigenden Temperaturen genießen viele Bonner am Rheinufer die Sonne. Das Ordnungsamt führt dort immer wieder Kontrollen durch. 

Bei steigenden Temperaturen genießen viele Bonner am Rheinufer die Sonne. Das Ordnungsamt führt dort immer wieder Kontrollen durch. 

Foto: Benjamin Westhoff

Damit die Maßnahmen gegen die Verbreitung von Covid-19 eingehalten werden, kontrolliert das Ordnungsamt unter der Regie von Bürgerdienstleiter Günter Dick und Carsten Sperling, Abteilungsleiter des Stadtordnungsdienstes. Wie die Mitarbeiter die vergangenen Wochen erlebt haben, wie viele Einsätze sie stemmen müssen und ob sie für alles gewappnet sind, was noch kommt, darüber sprachen sie mit Lisa Inhoffen und Ayla Jacob.

Sieben Wochen im Lockdown und das Ordnungsamt muss alles unter Kontrolle halten. Wo sehen Sie sich und Ihr Team heute?

Günter Dick: Aus der Rückschau kann ich sagen: Das Amt war und ist gut aufgestellt, auch dank zusätzlicher Kräfte aus der Verwaltung, die den Stadtordnungsdienst unterstützen. Wir haben schon eine heftige Zeit hinter uns, und ich kann mich noch gut erinnern, als es losging. Das war am 29. Februar, als ich nachts um 3 Uhr darüber informiert wurde, dass der erste Coronafall in Bonn aufgetreten war.

Es handelte sich um den Mitarbeiter der OGS der Poppelsdorfer Clemens-August-Schule, nicht wahr?

Dick: Genau. Mir wurde dann gesagt, ich möge mich um 4 Uhr zur Krisenstabssitzung im Gesundheitsamt einfinden. An diesem Tag sind die ersten, richtigen Schritte in Gang gesetzt worden, wodurch vermutlich eine schlimme Entwicklung in Bonn verhindert werden konnte. Seitdem sind neun Wochen vergangen. Für uns wie im Fluge, weil wir ja vielfältig mit dieser Krise zu tun haben.

Ist die Strategie über all die Wochen gleich geblieben?

Dick: Nein, nach dem ersten Fall hat die Dynamik zugenommen, deshalb mussten wir schauen, was können wir leisten und was müssen wir noch tun. Wir mussten andere Strukturen schaffen, deshalb ist das Diagnostikzentrum in Bad Godesberg eingerichtet worden.

Hatten Sie in diesen Corona-Zeiten noch weitere schlaflose Nächte?

Dick: Ich kann nachts schlafen, aber ich nehme bestimmte Gedanken und Sorgen mit ins Bett. Zum Beispiel, als am 1. April auch noch die Meldung vom Bombenfund auf dem Gelände der Unikliniken kam. Das war ein worst case für mich. Rückblickend kann ich sagen: Es hat eine fruchtbare Zusammenarbeit mit allen gegeben, dazu zählen neben dem Stadtordnungsdienst auch Uniklinik, Feuerwehr, Hilfsdienste und Polizei.

Was waren denn die größten Hürden, die das Ordnungsamt seit dem Lockdown überwinden musste?

Carsten Sperling: Neben dem Bombenfund hat uns die Kirschblüte in der Altstadt beschäftigt und damit die Frage, ob wir die Altstadt sperren. Das haben wir uns nicht leicht gemacht, denn uns war bewusst, dass wir damit massiv in Bewegungsfreiheit und Grundrechte eingreifen. Aber die Besucherzahl hatte uns gezeigt, dass es notwendig war.

Gab es Dinge, die nicht funktioniert haben?

Dick (lacht): Soweit ich das beurteilen kann, funktioniert das Krisenmanagement der Stadt gut. Ich würde Ihnen ja zu dieser Frage gerne etwas bieten, aber es gelingt mir nicht.

Sperling. Ja, auch ich muss sagen, es ist wirklich alles gut gelaufen und läuft gut. Es gab natürlich auch Kritik an uns, schließlich stehen wir im Fokus der Öffentlichkeit. Warum lauft ihr selbst so nah nebeneinander her, war so eine Frage. Oder warum wir in größeren Gruppen unterwegs sind? Manchmal geht es nicht anders, wie zum Beispiel bei den Evakuierungen im Zusammenhang mit dem Bombenfund an der Uniklinik, manchmal kommt es aus dem Eifer der Mitarbeitenden heraus. Das arbeiten wir aber immer nach.

Wie viele Mitarbeiter sind seit Corona im Einsatz und wo kommen sie her?

Sperling: Normalerweise sind 50 bis 60 Beschäftigte im Einsatz, derzeit sind es wöchentlich unter der Regie des Stadtordnungsdienstes bis zu 80. Unterstützt werden wir aus dem Ausbildungsbereich, vom Städtischen Gebäudemanagement und aus Bereichen der Stadt, die geschlossen sind oder waren, wie die Stadtbibliothek. Die Mitarbeitenden bedienen auch neu eingerichtete Telefonhotlines, da uns viele Anfragen erreichen, zum Beispiel zum Gewerberecht oder zu Konzerten. An den Tagen, an denen wir die Altstadt abgesperrt haben, kamen noch einmal 45 Mitarbeitende hinzu. Derzeit haben wir noch bis zu zwölf mehr als normalerweise. Wenn weiter gelockert wird, werden wir sehen, ob wir die Zahl wieder aufstocken müssen.

Gab es bestätigte Corona-Fälle unter Mitarbeitern des Stadtordnungsdienstes?

Sperling: Nein, bisher glücklicherweise nicht. Es gab einen Quarantänefall in der Wache Gabi, der Mitarbeiter hatte Kontakt mit einem infizierten Notarzt, wurde aber später negativ getestet.

Wie viele Anzeigen haben die Ordnungskräfte bisher geschrieben, wie viel Bußgeld ist angefallen?

Sperling: Bisher gibt es circa 1030 Anzeigen von Stadtordnungsdienst und Polizei, es wurden an die 600 Bußgeldbescheide im Zusammenhang mit Corona erlassen. Ungefähr zehn der 1030 Fälle stehen in Zusammenhang mit Geschäftsöffnungen oder dass eine Prostituierte noch ihre Dienste angeboten hat. Mindestens 1000 sind klassische Verstöße gegen das Kontaktverbot. Nehmen wir alles zusammen, kommen wir auf ungefähr 215 000 Euro, die wir noch festsetzen werden (Stand 6. Mai).

Wie viel ist denn bereits festgesetzt worden?

Sperling: Dies ist die aufgrund der bisher eingegangenen 1030 Anzeigen zu erwartende Gesamtsumme. Durch die bislang erlassenen 600 Bußgeldbescheide wurden circa 120 000 Euro festgesetzt.

Was waren die krassesten Fälle, die Ihre Mitarbeiter bisher erlebt haben?

Sperling: Das war die Räumung des Frankenbadvorplatzes. Dort waren so viele Personen so eng beieinander, dass wir den Platz mit Hilfe der Polizei räumen lassen mussten. Da waren die Reaktionen nicht sehr erfreulich. Es war wenig Einsicht da, es ging so weit, dass uns vor die Füße uriniert wurde.

Hatten Sie auch andere Fälle von Uneinsichtigkeit?

Sperling: Wir hatten schon zum Teil längere Diskussionen mit Bürgerinnen und Bürgern, die die Sperrung der Altstadt bei der Kirschblüte nicht einsehen wollten. Da mussten wir auch einige Platzverweise erteilen. Und es gab jemanden, der die Quarantäneauflagen in der Flüchtlingsunterkunft an der Ermekeilstraße nicht einhalten wollte. Er war nicht infiziert und wollte das Gelände verlassen, obwohl er es nicht durfte. Ihn hat die Polizei für eine Nacht in Gewahrsam nehmen müssen. Das war übrigens in der ganzen Zeit die einzige Ingewahrsamnahme. Ansonsten, das können wir wirklich als Fazit bisher sagen, sind wir sehr froh, dass die Mehrheit der Bonnerinnen und Bonner die Regeln befolgt, so gut es geht.

Wo waren beziehungsweise sind die sogenannten Hotspots in Bonn, wo es besonders viele Einsätze gibt?

Dick:  Ein Hotspot ist nach wie vor der Frankenbadvorplatz. Aber auch das Rheinufer und viele städtische Parks und Sportanlagen. Es fällt uns immer wieder auf, dass sich dort vor allem junge Menschen treffen, die obendrein häufig sehr uneinsichtig sind. Das macht uns keinen Spaß, aber wenn sie sich hartnäckig weigern, sich an die Regeln zu halten, müssen Anzeigen erstattet werden. Es ist Unsinn, wenn behauptet wird, wir wollen damit nur vermehrt Einnahmen generieren. Die stehen übrigens in keinem Verhältnis dazu, was die Stadt in dieser Corona-Krise an Zusatzausgaben hat.

Wenn sie junge Menschen sagen, meinen sie junge Männer?

Dick: Ja. Das ist der weitaus überwiegende Teil von Personen, die sich nicht an die Regeln halten wollen. Vielen von ihnen fehlt das Verständnis. Ich denke, das Bedürfnis, sich in einer Gruppe zu treffen, ist bei dieser Altersgruppe besonders stark ausgeprägt. Das führt dann zu solchen Problemen.

Erhalten Sie im Zusammenhang mit Corona derzeit mehr Anrufe von Bürgern über andere, die sich angeblich falsch verhalten?

Sperling: Definitiv. Wir haben auch in der Leitstelle das Personal erhöht, mindestens eine Leitung zusätzlich. Es sind viele besorgte Bürgerinnen und Bürger unterwegs, die sich melden. Dem gehen wir dann nach.

Was ist deren Motiv?

Sperling: Die Sorge überwiegt, dass die Infektionszahlen steigen, wenn man sich nicht an die Regeln hält. Aber es mischt sich natürlich auch Ärger hinein, der dadurch entsteht, wenn man merkt, dass sich andere nicht darum scheren.

Was sagen Sie einer Person, die selbst durch einen Baumarkt läuft und sich dann beschwert, dass es zu voll ist?

Sperling: Ich hatte ein paar, denen ich gesagt habe, dass sie ja einer von den vielen gewesen sind. Aber trotzdem gehen wir dem nach.

Wie viele Einsätze im Zusammenhang mit Corona haben Sie täglich?

Sperling: 60 bis 70 am Tag.

Stimmt es, dass dagegen die Zahl der Anrufer wegen Parkverstößen zurückgegangen ist?

Sperling: Das ist richtig. Es gibt weniger Verkehr, die Parkverstöße gehen zurück. Aber komplett verschwunden sind die Falschparkerinnen und Falschparker nicht. Das ist für uns ein Spagat. Wir haben Verständnis dafür, dass viele Homeoffice machen und der Parkraum eng ist. Wir versuchen das mit Augenmaß zu regeln. Geblitzt wird aber nach wie vor im bisherigen Umfang. Wir haben festgestellt, dass zurzeit mehr Autofahrerinnen und Autofahrer zu schnell unterwegs sind. Das liegt sicher daran, dass weniger Verkehr herrscht. An einigen Stellen, wie auf der Reuterstraße, hat sich die Zahl der geblitzten Raser in den letzten Wochen von 4,5 auf gut 9 Prozent erhöht.

Gibt es Anrufer, die sich täglich bei Ihnen melden?

Sperling: Die haben wir vor der Corona-Krise gehabt, und die gibt es auch jetzt noch. Aber wir nehmen jeden ernst und gehen den Hinweisen nach.

Gab es Beschwerden, weil Ordnungsamtsmitarbeiter etwa zu martialisch aufgetreten sind?

Sperling: Da gibt es einen Einzelfall. Es wurde abends am Rheinufer kontrolliert und die Bürger meinten, wir seien zu forsch aufgetreten. Der Fall wird derzeit geprüft.

Haben Sie Ihre Mitarbeiter mit Blick auf die Corona-Kontrollen speziell geschult?

Dick: Mit allen Mitarbeitenden sind entsprechende Gespräche geführt worden, auch werden ihre Fragen regelmäßig beantwortet. Auch die Kräfte, die nicht zum Amt gehören, sind entsprechend geschult worden und über die jeweiligen neuen Rechtsvorschriften, die regelmäßig aktualisiert und geändert werden, informiert worden.

Gibt es eine generelle Verhaltensleitlinie für Ihre Mitarbeiter?

Dick: Deeskalation sollte immer eine Rolle beim Verhalten der Mitarbeiter spielen.

Sperling: Ziel war und ist es nie, ein Bußgeld zu verhängen. Wenn sich zum Beispiel eine Großmutter mit ihrem Enkel auf einem Spielplatz aufgehalten hat, was ja bis Donnerstag verboten war, haben wir schon erklärt, dass dies ein Verstoß ist. Wenn die Großmutter mit dem Enkel den Platz verlassen hat, was meistens auch geschehen ist, war für uns der Fall damit erledigt.

Wie läuft die Zusammenarbeit mit der Polizei?

Sperling: Die Zusammenarbeit mit der Polizei ist, wie sonst auch, in Bonn sehr gut.

Dick: Ich würde gerne noch etwas anbringen: Was mir persönlich sehr gut gefällt, wie kreativ und innovativ viele Menschen in diesen Zeiten unterwegs sind. Mir gefällt die Idee mit dem Autokino und den Autokonzerten besonders gut. Da haben wir in der Verwaltung uns alle Mühe gegeben, die Konzepte schnell zu prüfen, um in einem kurzen Zeitraum grünes Licht geben zu können.

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