Bonner OB Jürgen Nimptsch Zur Not ein Schläfchen im Alten Rathaus

Bonn · Dicke Aktenmappen, Amtsgeschäfte, Konferenzen und Empfänge: Der GA begleitet den scheidenden OB Jürgen Nimptsch einen Tag lang.

 Jürgen Nimptsch sitzt am Schreibtisch im Amtszimmer und geht Unterlagen durch.

Jürgen Nimptsch sitzt am Schreibtisch im Amtszimmer und geht Unterlagen durch.

Foto: Nicolas Ottersbach

Es sind fünf Minuten pure Ruhe, die Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch genießt, wenn er morgens um 8.30 Uhr die Fähre Rheinnixe nahe seiner Beueler Wohnung zum Alten Zoll nimmt. Oft ist er der einzige an Bord. "Das ist Luxus, das liebe ich am Rhein", sagt Nimptsch. Seine Arbeit beginnt früh, ist fordernd und endet spät. Um einen Eindruck zu bekommen, was den neuen Oberbürgermeister nach der Wahl im September tagtäglich erwartet, durfte der GA den scheidenden Amtsinhaber einen Tag lang begleiten.

Aufgestanden ist er vor rund zwei Stunden. Genug Zeit für das Frühstück mit seiner Frau und einen Blick auf sein Tablet-PC, um E-Mails abzurufen und sich über das Tagesgeschehen zu informieren. Das Frühaufstehen ist er noch von seinen Zeiten als Sport- und Deutschlehrer gewohnt. Bevor er die Beueler Gesamtschule leitete, unterrichtete er in seinem Geburtsort Wesseling, in Siegen, Düsseldorf und Troisdorf.

"Das passiert öfter"

Heute braucht er etwa 20 Minuten von der Haustür bis zum Haupteingang des Alten Rathauses. Für die Türen, hinter denen sich sein Amtszimmer verbirgt, hat er die kleine Variante des "Stadtschlüssels". Der klemmt an diesem Mittwochmorgen. "Das passiert öfter", wiegelt Nimptsch das Malheur ab. Bisher sei er noch jedes Mal in seiner sechsjährigen Amtszeit hineingekommen.

Die erste Amtshandlung ist die Morgenkonferenz im engsten Kreis. Dazu zählen der persönliche Referent Ralf Birkner, Presseamts-Chefin Monika Hörig und Co-Dezernent Jürgen Braun. 9 Uhr ist als regelmäßiger Termin vereinbart. "Es ist der erste gemeinsame Austausch über das, was ansteht", erklärt Hörig. Aktuell geht es vor allem um Flüchtlinge, den Haushalt, Beethoven 2020 und die Beethovenhalle. In Vorbereitung auf die Expo-Immobilienmesse ist Nimptsch derzeit im Gespräch mit einigen Unternehmen, die in Bonn sind und sich hier vergrößern oder die nach Bonn kommen wollen.

Vor drei Monaten war das dominierende Thema noch das World Conference Center. An jenem Tag im Mai steht es ganz oben auf dem kleinen gelben Klebezettel, den er sich neben die Kaffeetasse gepackt hat. Außenminister Frank Walter Steinmeier und UN-Präsident Ban Ki-Moon haben sich für die Eröffnungsfeier angekündigt. "Da muss alles sitzen", sagt Nimptsch. Die Fahnen vieler Nationen sollen von Kindern geschwenkt, ein Band durchschnitten werden. Man merkt, dass ihm der Termin besonders wichtig ist.

Später am Abend wird er erzählen, dass ihn das WCCB seine ganze Amtszeit über geprägt und sein Handeln verändert hat. In der halbstündigen Besprechung am Morgen geht es auch um kleine Dinge: Eine Bekannte, die ihn darum gebeten hat, auf einer Preisverleihung für Polizeisportler zu sprechen. Er würde gerne hingehen. Hörig wird das für ihn koordinieren. Um alles kann er sich nicht kümmern, zu voll ist der Kalender.

Vertrauen in die Dezernatsleiter

Trotzdem muss der OB stets den Überblick behalten. Bei seinen beiden Sekretärinnen holt er sich deshalb eine dicke Aktenmappe ab, voll mit Briefen, Stellungnahmen und Anfragen. "Ich bin die Spitze der Verwaltung, da muss ich wissen, was in meinen Ämtern passiert", sagt Nimptsch, während er sich im Amtszimmer an den Schreibtisch setzt. Dort stehen frische Blumen, ein Foto seiner Frau und ein etwas in die Jahre gekommener Laptop. Nimptsch vertraut seinen Dezernatsleitern, er hat keine andere Wahl. "Ich muss vieles abgegeben, aber letztlich meine Unterschrift daruntersetzen, ich trage die Verantwortung."

Schreiben, die an ihn persönlich gerichtet sind, liest er auch. Dabei ist er nie so ganz alleine, wenn er im Amtszimmer sitzt. Vier Porträts des Kurfürsten Clemens August schauen auf ihn herab. Das größte mit drei Metern Höhe hängt hinter Nimptschs Schreibtisch.

So mancher Diplomat und Prominente, der den Oberbürgermeister "in Bonns guter Stube" besucht, blickt Clemens August ehrfürchtig an. Diesmal wird es der frisch ernannte mongolische Botschafter Tsolmon Bolor mit seiner Delegation sein. Das Gespräch ist auf eine Stunde festgesetzt. Händeschütteln, in Bonn willkommen heißen und ein gemeinsames Foto sind Standards, die zu einem offiziellen Besuch gehören. Bolor hat Pläne mitgebracht, in denen es um den Neubau der klimafreundlichen mongolischen Stadt Maidar geht. Nimptsch gilt für ihn als ausgewiesener Experte. "Bonn ist ein weltweites Vorbild, was den Klimaschutz angeht", sagt Bolor.

Geschenke zum Abschluss

Ob die Bundesstadt für eine Kooperation zu gewinnen wäre? Nimptsch nickt, erläutert die Bonner Rolle als Sitz der Vereinten Nationen. Zum Abschluss verteilt man Geschenke. Bolor übergibt ein traditionelles Gemälde, Nimptsch ein Buch über Bonn. Das scheint den Mongolen nicht so wichtig gewesen zu sein, sie vergessen es. "Man bekommt nicht nur als OB viele Geschenke", sagt Nimptsch und schmunzelt. Die wichtigsten würden öffentlich ausgestellt, der Großteil verschwindet allerdings in Kartons.

Von der Repräsentantenrolle schlüpft der Oberbürgermeister binnen weniger Minuten in die des Verwaltungschefs. Der Mittag ist für Mitarbeitergespräche verplant. "Wenn es Probleme gibt, die keine andere Stelle intern lösen kann, muss ich ran", sagt er. So auch in diesem Fall, eine Kündigung steht im Raum.

Grundsätzlich könne jeder aus der Stadtverwaltung zu ihm kommen, wenn er etwas auf dem Herzen habe. Nimptsch behandelt diese Gespräche streng vertraulich. Manchmal beschäftigen sie ihn auch später noch. Heute muss er sie aber sofort ausblenden, es geht zur Absolventenfeier der König-Fahad-Akademie in Bad Godesberg, bei der er eine Rede halten soll.

Selber schreibt Nimptsch seine Reden selten. Um zu wissen, worum es geht, liest er sie deshalb auf dem Weg zu den Veranstaltungen. Im schwarzen Dienstwagen sind die Fondscheiben abgedunkelt, Nimptsch macht sich Notizen. Eine Passage streicht er komplett. "Ich gebe den Schreibern einige Fakten vor, wenn mir eine Formulierung nicht gefällt, stricke ich sie um", erzählt er.

Ein Schlafsessel im Rathaus

Angekommen, begrüßt er die saudi-arabischen Staatsvertreter und enthüllt mit ihnen eine Jubiläumstafel. Anderthalb Stunden dauert der Festakt. Da muss er sich schon einmal die Augen reiben, denn der vergangene Tag endete erst in der Nacht. Wenn Nimptsch sich überhaupt nicht mehr konzentrieren kann und selbst Kaffee nicht hilft, hat er im Alten Rathaus einen Schlafsessel stehen. "Eine Viertelstunde reicht aus, um Energie zu tanken", erzählt er. Bevor er wieder in die schwarze Karosse steigt, bitten ihn einige Absolventen um Fotos fürs Familienalbum. "Da kann ich nicht nein sagen, auch wenn ich eigentlich schnell weitermuss", sagt Nimptsch.

Mehr als eine Viertelstunde bleibt ihm diesmal nicht, gerade genug für einen Snack. Die ideale Lösung für die schnelle Mahlzeit ist ein Schälchen Milchreis auf dem Marktplatz. Warm, mit Früchten. "Nicht zu leicht und nicht zu schwer", erzählt Nimptsch. Eine deftige Mahlzeit wäre zu groß und würde zu viel Zeit kosten. Außerdem gibt es bei den Empfängen, die er den ganzen Tag über hat, fast immer etwas zu essen. Jetzt muss er aber erst wieder zu Verwaltungsgesprächen. Knapp drei Stunden dauern die.

Und wieder hetzt er in den Dienstwagen. Das Ziel: die Bundeskunsthalle. Dort gibt es einen Empfang samt Konzert für Freunde und Förderer des Jazzfests. Sozusagen als Dankeschön. Zwischendurch erzählt Nimptsch davon, was ein Oberbürgermeister alles können muss. "Mit Menschen umgehen", lautet seine zentrale Aussage. Er sei Ansprechpartner der Bürger, Verwaltungschef und als Ratsmitglied auch Politiker. Hat man das Amt inne, müsse man mit ihm wachsen und bereit sein, dazuzulernen. "Ich hatte zum Beispiel noch nie einen Insolvenzfall zu lösen und kriegte mit dem WCCB gleich einen der schwierigsten Deutschlands auf den Tisch", so Nimptsch.

Deshalb verändere einen das Amt, sowohl zum Positiven als auch zum Negativen. "Das führt dazu, dass man sich morgens im Spiegel fragt: Bist du noch der, der du sein wolltest?" Da gelte es ehrlich zu sich zu sein, sich nicht zu verraten und die Versprechen und Prinzipien, mit denen man angetreten sei, einzuhalten. Dazu gehört auch, selbst nach einem 14-Stunden-Tag noch salonfähiger Oberbürgermeister zu sein. An diesem Abend bedeutet das eine Ausstellung im Akademischen Kunstmuseum zu eröffnen. Bis um 22.30 Uhr der Dienstwagen vorrollt und das Zuhause ansteuert.

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