Als Streckenläufer für die Stadtwerke unterwegs Woche für Woche von Schwelle zu Schwelle

BONN · Der Beruf des Streckenläufers, der die Gleise der Stadtbahnen begutachtet, ist längst nicht ausgestorben. Waldemar Sobala ist einer von ihnen, der nachts durch die Tunnel läuft.

 Streckenläufer Waldemar Sobala

Streckenläufer Waldemar Sobala

Foto: Sascha Stienen

Bei den Recherchen für die monatliche Chronik-Seite stieß die Redaktion kürzlich auf einen Artikel über einen ungewöhnlichen Beruf: den Streckenläufer im Bonner U-Bahntunnel. „Nacht für Nacht per pedes über zehntausend Schwellen“ lautete die Überschrift im General-Anzeiger am 11. September 1978. Porträtiert wird in dem Text der 60 Jahre alte Friedrich Häusler, der damals zwischen 24 und 5 Uhr von der Ollenhauerstraße bis zum Hauptbahnhof durch den Tunnel wanderte. 3500 Meter hin und 3500 Meter zurück. Jede Nacht.

„Ich habe Friedrich Häusler noch kennengelernt“, berichtet Waldemar Sobala 40 Jahre später dem GA beim Gespräch im SWB-Betriebshof Beuel. „Er war einer meiner Vorgänger.“ Sobala ist ebenfalls Streckenläufer, sein Berufsstand also noch lange nicht ausgestorben. Denn bei den Stadtwerken leisten zwei Streckenläufer immer noch unentbehrliche Dienste. Im wöchentlichen Tag- und Nacht-Schichtwechsel mit seinem Kollegen wandert der 60-jährige Sobala durch den Tunnel. Der Wechsel fällt ihm nicht leicht. „Man fängt immer wieder bei Null an. Tagesdienst ist angenehmer und gesünder. Aber einer muss ja den Nachtdienst machen“, sagt Sobala und lacht dabei. Fünf Nächte von der Ollenhauerstraße bis zum Stadthaus oder zum Bahnhof Bonn-West und zurück. In der sechsten Nacht läuft er durch den Bad Godesberger Tunnel vom Hochkreuz bis zur Stadthalle und zurück.

Stets wachsam auf der acht Kilometer langen Strecke

Sobala ist seit rund 30 Jahren Streckenläufer bei den Stadtwerken. Der Beruf ist grundsätzlich kein anderer als früher, aber die Rahmenbedingungen haben sich durch die Technisierung verändert. Zum Guten, wie Sobala berichtet. „Wir arbeiten nach dem Qualitätsmanagementsystem“, be-schreibt der Streckenläufer die gestiegenen Anforderungen an seine Arbeit. So kontrolliert er auf seinem Weg durch den Tunnel alle Abschnitte akribisch, zum Beispiel ob die Weichen in Ordnung sind oder ob die Schienen sich in einwandfreiem Zustand befinden. Manches kann er direkt vor Ort beheben, zum Beispiel eine Notlasche an einer angerissenen Schiene anbringen. Größere Reparaturen erfordern aber auch eine Sperrung des Gleises und die Aktivierung der Rufbereitschaft, um schnell Unterstützung zu bekommen.

Sobala beginnt seinen Nachtdienst gegen 23 Uhr, wenn also noch Bahnen fahren. Trotzdem ist er niemals in Gefahr: „Die Kollegen in der Leitstelle wissen immer, wo ich mich als Streckenläufer gerade befinde.“ Sobala kennt den Fahrplan, wird aber über Sonder- und Dienstfahrten im Vorhinein informiert – und auch nachts, falls sich ein Zug seiner Position nähern sollte. „Man ist immer auf der sicheren Seite.“ Den Kontakt zur Leitstelle hält der Streckenläufer mit einem modernen Funkgerät. Da hatte es der frühere Kollege Häusler in den 1970er Jahren schwerer, sagt Sobala: „Früher gab es Funklöcher.“ Dennoch bleibt er stets wachsam auf der acht Kilometer langen Strecke, die er Nacht für Nacht zurücklegt. Nachts allein im Tunnel, wird einem dabei nicht mulmig? „Nein, Angst habe ich nicht“, sagt Sobala.

Ärger mit Stadtstreichern und Ratten

Häusler berichtete 1978 dem GA: „Früher hatte ich öfter Ärger mit den Stadtstreichern. Erst als ich ihnen einen paarmal mit der Polizei und besonders mit den Polizeihunden gedroht habe, kamen sie nicht mehr wieder.“ Sobala trifft im Jahr 2018 selten Menschen auf seinem Weg an, im Winter manchmal Obdachlose an den Haltepunkten. In den Tunneln dagegen „hat keiner was zu suchen“, sagt er ernst. Denn anders als der Streckenläufer sind Fremde nicht mit der Leitstelle verbunden und folglich immer in Lebensgefahr. „Alle U-Bahn-Haltestellen sind videoüberwacht“, erklärt Stadtwerke-Sprecherin Veronika John. „Bei Verstößen gegen Verbote scheuen wir uns nicht, Strafanzeige zu erstatten.“

Tiere kümmern sich darum natürlich wenig, weshalb Waldemar Sobala manchmal auf Ratten trifft – selten auf Eulen, Rotkehlchen und Tauben. Auch Eichhörnchen und einen Dachs hat er schon gesehen. Seltene Begegnungen auf einem sonst relativ einsamen Weg.

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