Interview mit Michael Schormann Wie Suizidgefährdeten geholfen werden kann

BONN · Michael Schormann, Chefarzt der Allgemeinpsychiatrie bei der LVR-Klinik Bonn, zeigt auf, wer suizidgefährdet ist, und wie nicht nur Ärzte, sondern auch das Umfeld helfen können. Die Betroffenen darauf anzusprechen sei wichtig.

 Es gibt unterschiedliche Gründe, warum manchen Menschen das Leben auf einmal nicht mehr lebenswert erscheint. Für sie gibt es verschiedene Hilfsangebote.

Es gibt unterschiedliche Gründe, warum manchen Menschen das Leben auf einmal nicht mehr lebenswert erscheint. Für sie gibt es verschiedene Hilfsangebote.

Foto: picture alliance/dpa

Was bewegt einen Menschen dazu, nicht mehr leben zu wollen?

Michael Schormann: Es ist belegt, dass Suizidgedanken dort auftreten, wo sich Menschen in Schwellensituationen befinden. Wenn jemand zum Beispiel seinen Arbeitsplatz verloren hat oder eine Partnerschaft zu Ende gegangen ist. Wenn man also mit einer neuen Situation konfrontiert ist und keine positive Perspektive mehr sieht, kann dies zu Suizidgedanken führen. Meistens sind Suizide die Spitze einer Entwicklung, Auslöser sind häufig schwere Depressionen. Diese verändern das Denken der Menschen. Betroffene sind der Überzeugung, dass es keinen Ausweg mehr gibt – obwohl das vielleicht gar nicht der Wahrheit entspricht.

Handelt es sich um eine Entwicklung oder einen plötzlichen Impuls?

Schormann: Meistens bahnt es sich an. Wichtig ist, dass das Umfeld keine Hemmungen hat, die Betroffenen anzusprechen.

Woran kann das Umfeld (Freunde, Familie, Kollegen) erkennen, dass jemand suizidgefährdet ist?

Schormann: Symptome sind zum Beispiel, wenn sich jemand zurückzieht und Freundschaften schleifen lässt. Wenn er generell sein Verhalten ändert, auf einmal zum Beispiel viel Alkohol trinkt, um sich zu betäuben. Schwere Depressionen äußern sich häufig in Traurigkeit und Niedergeschlagenheit.

Gibt es auch Fälle, bei denen man gar nichts merkt?

Schormann: Die gibt es auch. Es kann zum Beispiel sein, dass es jemandem vermeintlich besser geht, weil er den Entschluss zur Selbsttötung gefasst hat. Dieser Entschluss gibt ihm Sicherheit und eine neue Perspektive.

Wie kann das Umfeld helfen?

Schormann: Ansprache ist wichtig. Man muss keine Angst haben, dass man so schlafende Hunde weckt. Das Gegenteil ist der Fall. Die Ansprache kann für den Betroffenen eine Brücke sein. Außerdem sollte man denjenigen bitten, zum Hausarzt zu gehen, der ihn dann an die Fachärzte verweist. Zusätzlich kann man den Betroffenen vorschlagen, sich an verschiedene Hilfsangebote zu wenden (siehe „Hilfe für Suizidgefährdete“).

Was können Ärzte tun?

Schormann: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Therapien sind immer individuell. Sie reichen von Psycho- über Körper- bis hin zu Co-Therapien wie Ergotherapie und Talentförderung im künstlerischen oder musikalischen Bereich. Auch medikamentöse Behandlung ist möglich. Eine wichtige Rolle spielen auch die Angehörigen. Sie sind wichtige Bezugspersonen, können von ihren Erfahrungen berichten. Außerdem zeigt sich, dass auch sie häufig Fragen haben, weil eine große Unsicherheit herrscht. Ärzte können auch als Mediatoren fungieren, wenn es in einer Familie zum Beispiel einen gravierenden Streit gegeben hat.

Nehmen sich viele Menschen das Leben?

Schormann: Es sterben mehr Menschen durch Suizid als im Straßenverkehr. Verkehrstote gibt es ungefähr 3000 pro Jahr, Suizide zwischen 10 000 und 15 000. Hinzu kommt die Dunkelziffer.

Sind es mehr geworden?

Schormann: Es ist wissenschaftlich nicht erwiesen, ob unser modernes Leben, das dichter und engmaschiger geworden ist, einen Einfluss hat. Vermutlich ist es aber schon so. Positiv ist zu bemerken, dass durch Prominente wie Robert Enke, die an schweren Depressionen leiden und sich das Leben nehmen, das Thema in den Mittelpunkt rückt. Die Bevölkerung achtet mehr darauf, Hausärzte sind sensibilisiert. Außerdem gibt es in verschiedenen Städten, so auch in Bonn, mittlerweile Bündnisse gegen Depressionen. Dort erfahren Betroffene, wo es Hilfe gibt.

Gibt es „den Selbstmörder“?

Schormann: Nein. Männer und Frauen sind gleichermaßen betroffen, es ist auch jedes Alter, jede Schicht betroffen. Suizidalität im Alter spielt allerdings eine besondere Rolle, da die Stressfaktoren zunehmen. Beispiele sind Einsamkeit und Gebrechlichkeit.

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