Bonner Polizei Wenn Polizisten am Ende sind

BONN · Ein einziger Schuss hat ihn aus der Bahn geworfen. Jens Meyer (51, Name geändert) verletzte 1992 einen entflohenen Häftling, der mit einer Waffe auf einen Kollegen gefeuert hatte.

 Ursula Brohl-Sowa leitet die Behörde seit 2011.

Ursula Brohl-Sowa leitet die Behörde seit 2011.

Foto: Max Malsch/Archiv

Der Mann überlebte, aber das Ereignis traumatisierte den Polizisten derart, dass er viele Jahre später in Depressionen versank. Diese führten 2011 zur Krankschreibung; mehr als zwei Jahre lang fühlte sich der Beamte nicht in der Lage, seine Arbeit zu tun. Der Versuch einer Wiedereingliederung verlief im Sand. Dann leitete das Präsidium ein Polizeidienstunfähigkeitsverfahren (PDU) ein und versetzte Meyer gegen dessen Willen in den vorzeitigen Ruhestand.

Der Ex-Polizist wirft der Behörde vor, ihm keine Chance gegeben zu haben. "Ich hätte einfach etwas mehr Zeit und Hilfe gebraucht", sagt er. "Stattdessen hat man mich eiskalt entsorgt." Anderen Bonner Polizisten mit gesundheitlichen Schwierigkeiten gehe es ähnlich; sie würden unter Druck gesetzt.

Die Behörde geht zum Fall Meyer nicht ins Detail: Man müsse sich nichts vorwerfen, sagt Polizeipräsidentin Ursula Brohl-Sowa. Es habe ihm freigestanden, vor Gericht zu ziehen, was er aber wohl aus gutem Grund nicht getan habe. Klar ist: Brohl-Sowa will, dass dauerhaft erkrankte Beamte ihre Posten räumen, damit das Präsidium mit seinen 1200 Vollzugsbeamten seine Personalprobleme in den Griff bekommen kann.

Nach dem Hauptstadtumzug hatte es jahrelang keine jungen Beamten als Verstärkung erhalten, die Behörde weist deshalb einen relativ hohen Altersschnitt und einen hohen Krankenstand auf. Als die Polizeipräsidentin 2011 ihr Amt antrat, hatten 200 Beamte aus gesundheitlichen Gründen Verwendungseinschränkungen und konnten zum Beispiel keinen Schichtdienst machen. Dazu kamen 60 Dauerkranke, die bei vollen Bezügen jeweils mehr als zwei Jahre abwesend waren.

"Die Not war so groß, dass etwas geschehen musste", betont Brohl-Sowa. Sie leitete 40 PDU-Verfahren ein, von denen 16 noch laufen, und versetzte nach eigenen Angaben 13 langfristig erkrankte Beamte in den Ruhestand. Im Januar 2015 hatte das Präsidium noch 24 langfristig Erkrankte und etwa 100 Beamte mit dauerhafter Verwendungseinschränkung - letztere seien fast alle älter als 50 Jahre, so die Präsidentin. Obwohl für sie PDU-Verfahren vorgeschrieben seien (siehe "Polizeidienstunfähigkeit"), würden sie nach ihren Fähigkeiten im operativen Dienst eingesetzt - etwa im Bezirksdienst, wo sie keine Nachtschichten absolvieren müssen.

Anders bei Beamten unter 50 Jahren, die dauerhafte Verwendungseinschränkungen haben: Sie sollen zum Laufbahnwechsel in die Verwaltung ermuntert und notfalls gedrängt werden - in der Polizei oder anderen Behörden. Sie würden dann zwar erst mit 67 statt mit 62 Jahren pensioniert, büßten aber weder Einkommen noch Beförderungschancen ein, unterstreicht Brohl-Sowa.

Bei allem Verständnis für das besondere Berufsethos von Polizisten, die ein PDU-Verfahren oft als Stigma empfänden: "Der Laufbahnwechsel ist zumutbar und folgerichtig." Zwei Bonner Beamte hätten dagegen durch alle Instanzen geklagt, seien aber gescheitert. Am Kölner Verwaltungsgericht häufen sich gerade weitere Klagen von Polizisten, die gegen die Feststellung der Dienstunfähigkeit vorgehen. Darunter sind nach Auskunft des Gerichtes auch Bonner Fälle.

Das Vorgehen sei im Präsidium "umfassend kommuniziert", sagt Brohl-Sowa, die eine Arbeitsgruppe auf Landesebene zu diesem Thema geleitet hat. Offenbar plant das Innenministerium ein Konzept für ganz NRW, das sich am Bonner Modell orientiert. Es sei ein "dichtes Netz von Hilfsangeboten gespannt" worden, in das Polizeiarzt, Seelsorger, Personalchef und direkte Vorgesetzte eingebunden seien, so Brohl-Sowa.

In vielen Fällen gehe es um Menschen mit schweren Gesundheitsproblemen, manchmal aber auch um Leute, die das System ausnutzen. "Wir hatten etliche Spontangenesungen", berichtet die Polizeipräsidentin. "Heute machen diese Beamten wieder Wach- und Wechseldienst."

Der Personalrat des Präsidiums zieht mit. "Wir haben das intensiv und kontrovers diskutiert", versichert der Vorsitzende Peter Sebastian. Wegen der besonderen Probleme im Präsidium habe auch der Personalrat keine Alternative gesehen. Ziel müsse sein, Beamten mit Verwendungseinschränkung weiter polizeidienstnah einzusetzen. "Das geht aber nur, wenn das Land die Rahmenbedingungen schafft", sagt Sebastian. Verstärkung sei nötig, um Schichtdienste zu besetzen.

Ex-Polizist Jens Meyer wandte sich nach seiner Zwangspensionierung an den Petitionsausschuss des Landtages. Der hörte beide Seiten an und stellte im Oktober 2014 fest, dass der Beamte und die Bonner Behörde die Vorgänge wohl sehr unterschiedlich bewerten würden. Der Ausschuss riet aber auch, das betriebliche Eingliederungsmanagement "effektiver" zu nutzen. Der Fall zeige, wie wichtig es sei, "ein hohes Maß an Empathie walten zu lassen".

Polizeidienstunfähigkeit

Rechtsgrundlage ist Paragraf 116 des Landesbeamtengesetzes NRW. Demnach ist ein Polizist dienstunfähig, wenn er den besonderen gesundheitlichen Anforderungen für den Polizeivollzugsdienst nicht mehr genügt und keine volle Verwendungsfähigkeit binnen zwei Jahren zu erwarten ist.

Nach gängiger Rechtsprechung muss ein Polizist zu jeder Zeit, an jedem Ort und mit jeder polizeilichen Aufgabe einsetzbar sein. Es gibt vier Kernanforderungen: Die Beamten müssen in der Lage sein, Außendienst zu leisten (auch konfrontativ), Zwangsmittel gegen Verdächtige anzuwenden, Schusswaffen zu tragen und durchgehend Schichtdienst zu absolvieren. Trifft ein einziger der vier Punkte nicht zu, ist bereits ein Dienstunfähigkeitsverfahren vorgesehen.

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