Begegnungen im Morgengrauen Was Bonner Zeitungszusteller in ihrem Job erleben

Bonn · Wenn andere schlafen, bringen sie die Zeitungen. Dabei stehen auch mal Männer in Unterwäsche vor ihnen. Was die GA-Zusteller noch erleben, erzählen sie hier.

 Hennig Derpa hat früher selbst eine Zeitung  herausgegeben.

Hennig Derpa hat früher selbst eine Zeitung herausgegeben.

Foto: Benjamin Westhoff

Früher hat Hennig Derpa eine Zeitung herausgegeben, heute trägt er eine aus. Tausend Abonnenten hatte das Magazin, das sich mit Japan befasste. In dern 90ern musste er es schließlich aufgeben. Japan hatte ihn schon als Jugendlichen interessiert. 1964 machte er sich dann auf den Weg zu den Olympischen Spielen: Über die Türkei trampte er den ganzen Weg nach Tokio, wo der Wettbewerb in dem Jahr stattfand. „Als ich dort ankam, hat es sich ein bisschen wie Heimat angefühlt“, sagt der 79-Jährige. „Das Land hat mich sehr fasziniert.“

Vor sechs Jahren sah er eine Anzeige, mit der nach Zustellern gesucht wurde. Seitdem trägt er die Zeitung aus. Für gewöhnlich bricht er zwischen 3 und 4 Uhr zu seiner Runde durch Ippendorf auf. Er bessert sich damit die Rente auf. „Aber ich habe auch das Gefühl, dass es gut für mich ist“, sagt Derpa. „Ich würde sonst durch den Tag driften. Das Rentnerdasein wäre ein Alptraum für mich.“ Morgens ist er gerne unterwegs – vor allem im Sommer. Der Gesang der Vögel sei dann manchmal wie Musik.

Ab und zu treffe er auf seinen Runden auch angetrunkene Jugendliche. „Die finden es dann unheimlich krass, dass jemand um die Zeit die Zeitung austrägt“, sagt er. Angst, dass er nachts mal angegriffen wird, hat er nicht. Seit 50 Jahren macht er Aikido, auch heute trainiert er die japanische Kampfkunst noch zweimal pro Woche.  Hennig Derpa trägt den schwarzen Gürtel.

Bei der Arbeit stand einmal ein Mann in Unterhose vor Sabine Schumacher. Der wollte morgens seinen Hund rauslassen und hatte nicht mit der Zustellerin gerechnet. Bevor Schumacher 2013 anfing, Zeitungen auszutragen, hatte sie in einem Supermarkt gearbeitet. „Das Beste am Zusteller-Job ist, dass es keine nervigen Kollegen gibt“, sagt die 54-Jährige. Dafür leisten ihr viele Tiere Gesellschaft. „Ich habe schon Rehe, Dachse, Marder, Füchse und Eichhörnchen gesehen“, sagt sie.

 Sabine Schumacher genießt, dass sie beim Austragen ihre Ruhe hat.

Sabine Schumacher genießt, dass sie beim Austragen ihre Ruhe hat.

Foto: Benjamin Westhoff

Nachts sei sie die Alleinherrscherin auf der Straße, wenn sie in Gielsdorf die Zeitungen in die Briefkästen steckt. Und noch eine gute Sache habe der Job. „Ich bin früh fertig und habe den ganzen Tag Zeit für meine Hobbys.“ Etwa das Pferd, um das sie sich mit ihrer Tochter kümmert. Früh aufzustehen, daran habe sie sich gewöhnt. Nur nach dem Urlaub sei es schwer, sich wieder darauf einzustellen. Sie arbeitet gerne im Winter, dann sei es besonders ruhig. Sie mag den Schnee. Dann trägt sie auch mal Skihose – Hauptsache: nicht frieren. Überhaupt ist sie immer gut auf das Wetter vorbereitet, hat stets zwei Regenjacken dabei. Insgesamt besitzt sie vier.

Wolfgang Medved trägt aus Solidarität zu seinem Partner Zeitung aus. „Ich kann ihn ja nicht alleine lassen und mich vergnügen“, sagt der 71-Jährige. Deswegen hat er vor neun Jahren als Zusteller angefangen. Ungefähr zur selben Zeit wie sein damaliger Lebensgefährte, mit dem er seit mittlerweile zwei Jahren verheiratet ist. „Ich mache das, damit ich morgens nicht dumm zu Hause rumsitze“, sagt Medved.

 Wolfgang Medved trägt Zeitungen aus, um nicht zu Hause rumzusitzen.

Wolfgang Medved trägt Zeitungen aus, um nicht zu Hause rumzusitzen.

Foto: Benjamin Westhoff

Dabei gibt es durchaus andere schöne Orte, an denen er sich aufhalten könnte, um das Leben zu genießen. Etwa sein Boot, das in Monnickendam ankert. Das kleine Städtchen nördlich von Amsterdam liegt am Markermeer. Von hier aus erkundet Medved das Ijsselmeer und die Inseln der Nordsee. Das Segeln hat er als Junge für sich entdeckt. Später hat er auch an Welt- und Europameisterschaften teilgenommen – und ist ein paar Mal bei der Kieler Woche an den Start gegangen.

Bis zur Rente hatte er einen Betrieb mit Niederlassungen in Bonn und Hamburg. Er und seine zehn Mitarbeiter waren darauf spezialisiert, denkmalgeschützte Fassaden zu reinigen und zu sanieren. Sie haben an den Hamburger Landungsbrücken und am alten Elbtunnel gearbeitet. „Heute trage ich keine Verantwortung mehr für andere“, sagt Medved. „Heute trage ich sie nur noch für mich.“

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