Interview mit Wilhelm Bleek Vorträge sollen an Bonner Nazi-Opfer erinnern

Bonn · Wilhelm Bleek hält zwei Vorträge über “Die außergewöhnliche Bonner Familie Kahle“, mit der er entfernt verwandt ist. Sie wurde zum Opfer der Nazis, weil sie anderen helfen wollte.

Wilhelm Bleek ist Nachfahre von Marie Kahle und hält zwei Vorträge zur Familiengeschichte.

Wilhelm Bleek ist Nachfahre von Marie Kahle und hält zwei Vorträge zur Familiengeschichte.

Foto: Horst Müller

Herr Bleek, in wiefern sind Sie mit Marie Kahle verwandt?

Wilhelm Bleek: Sehr entfernt. Die Urgroßmutter meiner Mutter war eine geborene Kahle.

Wie kam es, dass Sie sich mit der Familiengeschichte auseinandersetzten?

Bleek: Ich bin als Godesberger Päda-Schüler von meinen Eltern, weil ich mich im Englischen schwertat, nach England geschickt worden zum Onkel Paul Kahle. Dort habe ich diese Familie mit ihrem Schicksal erlebt und wurde immer neugieriger. Ich möchte meiner Geburts- und Heimatstadt das Schicksal dieser Familie näherbringen.

Wie ging man in Bonn mit der Geschichte der Kahles um?

Bleek: Das ist, zumal in der Universität, verdrängt oder unterdrückt worden. Meistens wollten die von nichts wissen, zumal einige auch in die Vertreibung der Familie involviert waren. Da ist viel Vergessen und Verdrängung gewesen. Wir haben uns lange bemüht, eine Straße nach Marie Kahle zu benennen. Das war sehr schwierig, ist auch zum Teil blockiert worden. Unsere Vorschläge kamen nicht durch. Aber schließlich hat man den Kompromiss gefunden, hinter der Bundeskunsthalle die frühere Trajektstraße nach ihr zu benennen.

Warum war das so schwer? Heute ist es in Bonn wichtig, das Gedenken an solche Schicksale aufrecht zu erhalten.

Bleek: Das ist die Sicht Ihrer Generation. Meiner Generation war das peinlich. Manche waren auch dabei, die Schuld auf sich geladen hatten. Das ist inzwischen alles biologisch seinen Weg gegangen. In den 60er Jahren hieß es noch: Muss das denn sein, wollen wir diese alten Geschichten wieder auftischen? Dass das Geschichten sind, auf die Bonn auch stolz sein kann, ist erst eine spätere Erkenntnis. Heute gibt es im Bonner Walk of Fame ein Bild der Marie Kahle, die Gesamtschule ist nach ihr benannt, und das Diakonische Werk hat jetzt gerade den Marie-Kahle-Preis für Initiativen für Flüchtlingsintegration ausgeschrieben. Aber das ist alles eine Entwicklung der letzten 20 Jahre.

Würden Sie sich noch weitere Erinnerungen wünschen?

Bleek: Es braucht nicht noch mehr öffentliche Erinnerungsorte, da ist sie schon fast überrepräsentiert. Das Andenken der Familie Kahle ist in Bonn voll akzeptiert worden, und jetzt wünsche ich mir natürlich, dass es über Generationen bewahrt wird.

Um was geht es in Ihrem Vortrag über die Familie Kahle?

Bleek: Der Inhalt meines Vortrags werden die Persönlichkeiten sein, und ich werde auch deutlich machen, wie dieses Lebensschicksal sie alle auf eine Weise aus ihren Lebensbahnen herausgeworfen hat. Die wären eine normale Bonner Professorenfamilie gewesen.

Mit Blick auf das Ergebnis der Bundestagswahl: Was hätte Marie Kahle zum Rechtsruck gesagt?

Bleek: Für jemanden wie Marie Kahle wäre das keine Überraschung gewesen. Denn das Lager der Nationalistisch-Rechtskonservativen war ja in der Weimarer Republik – und ich denke gar nicht an die Nazis – viel ausgeprägter. Am Sonntag ist ja viel gesprochen worden von Tendenzwende. Für mich war das schon ein Schock. Aber trotzdem ist das eine Normalisierung. Das ist eben ein Teil des Wählerpotenzials, der in allen Bevölkerungsschichten da ist, und der, glaube ich, mehr aus Protest als aus Überzeugung so gewählt hat.

Wilhelm Bleek hält seinen Vortrag am Mittwoch, 27. September, ab 19 Uhr in der Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus, Franziskanerstraße 9, und Donnerstag, 28. September, ab 16.30 Uhr im evangelischen Gemeindeforum Auerberg, Helsinkistraße 4. Der Eintritt ist jeweils frei.

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