WCCB - Das bizarre Zukunftsprojekt Vor vier Jahren erschien die erste "Millionenfalle"

BONN · Auf dem Gelände von Bonns größter Bauruine wuchert das Unkraut. Es ist viel passiert, seitdem Handwerker an einem Spätsommertag des Jahres 2009 einpackten - nur nicht auf der Baustelle.

 Das Bonner WCCB.

Das Bonner WCCB.

Foto: picture alliance / dpa

Das wichtigste Zukunftsprojekt der Stadt wurde bald zum kompliziertesten Insolvenzfall Deutschlands, der nach zähen Verhandlungen auch abgeschlossen wurde. Die Suche nach den Schuldigen für den größten Bauskandal in der Bonner Nachkriegsgeschichte entwickelt sich indes zum Gerichtsmarathon.

Am Donnerstag vor vier Jahren, am 22. August 2009, veröffentlichte der General-Anzeiger einen Artikel mit der Überschrift "Die Millionenfalle". Darin rissen GA-Journalisten dem World Conference Center Bonn (WCCB) seinen Vorhang weg.

Und machten den Blick frei für ein wirtschaftliches und juristisches Trümmerfeld. Die Zustände glichen einer Großbaustelle in einer Bananenrepublik. Es schien damals, als sei eine naive Verwaltungsspitze auf einen Felix Krull aus Fernost hereingefallen.

"Investor" Man-Ki Kim und Helfershelfer hatten sich überzeugend als Teil des Hyundai-Weltkonzerns ausgegeben, der 2006 auch die Fußball-Weltmeisterschaft mit vielen Millionen gesponsert hatte.

Besonders bizarr die WCCB-Eigentümerschaft: Sie lag - Folge des chronischen Kapitalmangels von Kim - eher auf Hawaii oder auf Zypern als in Bonn. Tage später entblätterte sich eine immer exotischere Geschichte, und aus dem Artikel wurde eine Serie: "Die Millionenfalle".

Nach 35 Folgen wird im April 2010 den Stadtratsmitgliedern der geheime 474-seitige WCCB-Report des Rechnungsprüfungsamtes (RPA) zugestellt. Jede Seite eines jedem Ratsmitglied ausgehändigten Exemplars trägt - grau unterlegt - den Namen des Empfängers.

So glaubt der neue OB Jürgen Nimptsch (SPD), einst für Transparenz und Aufklärung angetreten, verhindern zu können, dass die brisanten RPA-Ergebnisse nicht in die Medien gelangen. Die Öffentlichkeit soll weiter, wie schon in den Jahren 2005 bis 2009, wichtige Details nicht erfahren.

Doch der WCCB-Report bleibt nicht geheim. Sein Inhalt zeigt: Es ist noch schlimmer als in der "Millionenfalle" vermutet. Danach hat die Verwaltung sich bereits im Februar 2008 mit Worst-Case-Szenarien zwischen Insolvenz und Heimfall beschäftigt, und das Städtische Gebäudemanagement (SGB), das Bau und Zahlungen kontrollieren sollte, alles nur durchgewunken.

Selbst Tetris-Gewinnspiel-Rechnungen stempelte das SGB mit "sachlich und rechnerisch richtig" ab; sechsstellige Beträge wurden doppelt abgerechnet. Unvergessen die handschriftlichen Notizen eines SGB-Mitarbeiters bei einer Prüfung des Bauunternehmers: "Betrug oder was?" Oder: "Komm, wir machen halbe/halbe." So leerte eine Mischung aus laschem Controlling und Selbstbedienung die Baukasse im Schweinsgalopp.

Nach 41 Millionenfalle-Folgen bezeichnet der "Spiegel" Kim als "Märchenmann" und fragt im Mai 2010: "Wie dumm darf sich eine Stadtverwaltung anstellen, bevor es kriminell wird?" Weil sich die WCCB-Wirklichkeit - wieder einmal - düsterer als die Recherche erweist, geraten bald Stadt- und Rathaus in den journalistischen Fokus.

Das schmeckt Dieckmanns Nachfolger Nimptsch wenig. So lange das GA-Rechercheteam sich darauf beschränkte, die Luftnummern der Männer aus Fernost zu entschlüsseln und die Stadt in der Opferrolle erschien, lobte Dieckmanns Nachfolger: "Der General-Anzeiger hat mit seiner Serie “Millionenfalle„ stark begonnen und Aufklärung betrieben", so Nimptsch in der Stadtpostille "Bon(n)Jour" im Oktober 2010. Als der GA zunehmend auch die städtische Rolle im WCCB-Treiben beleuchtet, beklagt der OB nur noch "Verdachtsjournalismus".

Als der erste von drei WCCB-Prozessen Ende September 2011 gegen Man-Ki Kim & Co. beginnt, zeichnet sich bald ab, dass der vermeintlich Betrogene, die Stadt, so ahnungslos nicht war. Nach 120 Prozesstagen mit Video-Schaltkonferenzen in alle Welt und der Vernehmung von rund 100 Zeugen steht fest: Das bisher an die Öffentlichkeit Gelangte ist wieder nur die halbe Wahrheit, und wieder übertrifft die bizarre WCCB-Realität alles Recherchierte.

Tatsächlich müssen Teile der Verwaltungsspitze und auch der ehemalige Vorstand der Sparkasse KölnBonn die "Wahrheit" um Kim gewusst haben. Vor Gericht verlesene Vorstandsprotokolle lassen keinen anderen Schluss zu. Das Bankhaus hatte herausgefunden: keine Verbindungen von Kims Firma SMI Hyundai zum Weltkonzern, keine aussagekräftigen Bilanzen und damit kein Bonitätsnachweis.

Deshalb entscheiden die Kreditprüfer: kein Euro für Kim. Dass er dann doch 74,3 Millionen erhält, dafür sorgen - am Stadtrat vorbei - einige Handlungsbevollmächtigte aus der Bonner Verwaltungsspitze. Der Steuerzahler bürgt jetzt für den kompletten Kim-Kredit, der sich 2009 auf 104,3 Millionen erhöht.

Nur: Wer genau hat von Seiten der Stadt grünes Licht für einen mittellosen Investor gegeben und dem Rat, oberstes Organ der Stadt, alles verschwiegen? Die Zeugenaussagen dazu sind reif für einen rheinischen Komödienstadl. "Audi, vide, tace, si tu vis vivere pace." Zu deutsch: Höre, sieh und schweige, wenn du in Frieden leben willst. Wie die legendären drei Affen: nichts sehen, nichts hören und nichts sagen. Der häufigste Satz aus Zeugenmund im ersten WCCB-Prozess lautet: "Ich erinnere mich nicht." Und der ehemalige Sparkassenchef Gustav Adolf Schröder erschien erst gar nicht vor Gericht, um der Gefahr einer Selbstbelastung zu entgehen.

Trotzdem reicht die Munition der Staatsanwaltschaft, um fünf städtische Mitarbeiter, ehemalige und aktuelle, anzuklagen. Der nächste Prozess wird erst 2014 stattfinden. So bleibt wieder mehr Zeit, um das Gras wachsen zu lassen. Über die Sache an sich und auch über - "Ich erinnere mich nicht" - das eigene Gedächtnis.

Immerhin bleibt, wenn alle schweigen, die Aktenlage. Danach, so die Ermittler, scheint es, dass Ex-OB Dieckmann "über Sachverhalte, die für eine Strafbarkeit entscheidend gewesen wären, nicht oder erst zu einer Zeit unterrichtet wurde, als die maßgeblichen Handlungen bereits beendet waren".

Zunehmend zeigt sich auch, wie sehr das Projekt politisch gewollt war. Der Bund, das Land, die Stadt: Alle wollten das WCCB. Das führt zu der skurrilen Situation, dass sich das Land NRW mit seinem 35,79-Millionen-Zuschuss gar nicht von der Stadt betrogen fühlt, obwohl die Ermittler genau das für bewiesen halten.

Ernüchternd sind die WCCB-Folgen für den Bonner Haushalt. Aus dem Null-Euro-Projekt für Stadt und Bürger ist ein 200-Millionenprojekt geworden. Nach dem zweiten RPA-Bericht zum WCCB erscheint im März 2011 "Millionenfalle 58": "Baustillstand und WCCB-Beratung kosten pro Tag so viel wie alle Bäder, 324 Spielplätze und 140 geförderte Kulturprojekte zusammen. Und das seit mehr als 17 Monaten." Der RPA fördert auch zutage: Einige 1000 Euro Steuerzahlergeld hatte Nimptsch auch in die presserechtliche Beratung "investiert"- gegen die "Millionenfalle".

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