Bonner Perspektiven Visionen bleiben auf der Strecke

Bonn · Beim Öffentlichen Personennahverkehr hakt es immer wieder zwischen Bonn und dem Rhein-Sieg-Kreis. Das komplexe Geflecht aus Politik, Verwaltung und Verkehrsunternehmen erschwert Lösungen - kurzfristige ebenso wie zukunftsträchtige.

Zu Beginn eine kleine Zeitreise. Bonn, 1911: Die erste elektrische Bahn fährt über Beuel und das noch nicht vorhandene Sankt Augustin nach Siegburg. Es soll nicht die einzige Straßenbahn im Rechtsrheinischen bleiben. Zur selben Zeit gibt es Pläne - mehr noch: eine Genehmigung - für den Bau einer Trasse von Zündorf über Mondorf nach Beuel, mit Abzweig über Troisdorf nach Siegburg.

Doch diese Planung wird nur teilweise umgesetzt. Der fünfeinhalb Kilometer lange und eine Million Mark teure Strang von Mondorf nach Beuel wird nie gebaut. Eigeninteressen, politische Alleingänge und ein Streit um die Finanzierung machen das Projekt zunichte. Was folgt, sind gegenseitige Schuldzuweisungen zwischen dem Siegkreis und der Gemeinde Vilich.

Kleinstaaterei anno 2015 ist komplexer als vor 100 Jahren

Ursache war die Kleinstaaterei vergangener Tage, könnte man meinen. Irrtum: Heute läuft es beim Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) ähnlich, wenn nicht schlimmer. Und das, obwohl Bonn und der Rhein-Sieg-Kreis inzwischen an allen Ecken und Enden zusammengewachsen sind. Die Kleinstaaterei anno 2015 ist komplexer als vor 100 Jahren. Mittel- und langfristige Lösungen, gar Visionen, bleiben dabei auf der Strecke.

In diesem großen Spiel namens ÖPNV stehen viele Akteure auf dem Platz - zu viele, und die laufen zudem oft in verschiedene Richtungen. Wer mischt mit? Die Verwaltungen von Bonn und Kreis sowie Stadtrat und Kreistag als Planer und Auftraggeber. In zweiter Reihe stehen Bezirksvertretungen und Kreis-Kommunen, die mitunter ihre eigenen Interessen verfolgen.

Ganz wesentlich sind die Verkehrsunternehmen, die die Konzessionen für die Buslinien besitzen. Teils alleine, teils in Kooperation, teilweise aber auch untereinander in Auftragsverhältnissen. Ganz grob: Die Stadtwerke Bonn (SWB) sind in erster Linie für den innerstädtischen Verkehr (mit einzelnen Linien ins Kreisgebiet) zuständig. Die Rhein-Sieg-Verkehrsgesellschaft (RSVG) als Kreis-Tochter fährt im Rechtsrheinischen.

Die Regionalverkehr Köln (RVK), an der unter anderem der Kreis und die SWB beteiligt sind, ist im Linksrheinischen unterwegs. Viele Linien aus dem Kreis haben Bonn als Ziel. Die grenzüberschreitenden Fahrten von SWB und RSVG werden zwischen Bonn und dem Kreis durch den sogenannten Naturalausgleich verrechnet. "Währung" ist der gefahrene Kilometer.

Die Stadtwerke stehen unter Druck

Klingt kompliziert? Es geht noch weiter. In diesem Geflecht spielen noch andere Faktoren eine Rolle, von Sparzwängen bis zu persönlichen Animositäten, von politischen Interessen bis zu einem latenten Misstrauen zwischen Kreis und Bundesstadt. So sorgte zuletzt die Optimierung von Buslinien zwischen dem Bonner Bezirk Hardtberg und der Gemeinde Alfter für Zündstoff.

Nach Willen des Kreises soll die von Graurheindorf kommende SWB-Linie 605 nicht mehr bis Alfter fahren, sondern am Bahnhof Duisdorf enden. Den Linienweg bis Alfter soll stattdessen die RVK-Linie 843 übernehmen (von Meckenheim aus über Duisdorf). An sich ein überschaubarer und sinnvoller Eingriff. Doch die Stadtwerke pochten auf ihr altes Recht, Alfter zu bedienen.

Und sie wollten vom Kreis 160 000 Euro, quasi als Verdienstausfall. Die Stadtwerke stehen unter Druck: Fünf Millionen Euro sollen sie laut Beschluss der Bonner Politik sparen. Das sah der Kreis nicht ein. Folge war ein anderthalbjähriges Fingerhakeln. Dieses konnte erst jetzt beendet werden, nachdem Landrat Sebastian Schuster und OB Jürgen Nimptsch das Thema zur Chefsache gemacht hatten.

Wie nach diesem Gerangel weitere Änderungen im Busnetz - etwa zwischen Meckenheim, Wachtberg und Bad Godesberg - umgesetzt werden sollen, ist schleierhaft. Die Lösung? Manch ein Verkehrspolitiker sehnt eine starke Verkehrsgesellschaft herbei, in der Bonn und der Kreis auf Augenhöhe agieren. Eine zukunftsweisende Idee. Aber sie funktioniert nur, wenn die beteiligten Ebenen Macht abgeben.

Dünne Personaldecke als Hauptursache für den Ausfall von Bahnen

Für die Stadtbahn 66 wurde mit der SSB (Elektrische Bahnen der Stadt Bonn und des Rhein-Sieg-Kreises) schon 1909 solch eine gemeinsame Gesellschaft gegründet. Jedoch hat sich dort das Gewicht inzwischen nach Bonn verschoben. Die Stadtwerke halten einen Anteil von 50,1 Prozent und sind Betriebsführerin. Da sind Reibereien mit dem Kreis programmiert.

Ein Beispiel: die dünne Personaldecke. Sie ist die Hauptursache für den Ausfall von Bahnen auf der Linie 66, die Bonn immerhin mit dem ICE-Bahnhof in Siegburg verbindet. Und dann die Pünktlichkeit: Sie galt einst als Steckenpferd von Altlandrat Frith-jof Kühn, ist aber auch heute noch Gegenstand kritischer Betrachtungen im Kreistag. Der Kreis will eine Qualitätsvereinbarung mit den Stadtwerken, inklusive Bonus-Malus-System. Heißt: Bei schlechten Leistungen müssten die Bonner Strafe zahlen. Doch die wollen sich nicht darauf einlassen. Schon bei der Frage, ab wann eine Bahn unpünktlich ist, ist man sich uneins. Ab zwei Minuten und 59 Sekunden oder erst ab drei Minuten und 59 Sekunden?

Letztlich ist es wieder nur eine der Debatten, die aus Misstrauen resultieren und die den Blick auf Lösungen verstellen. Denn die Linie 66 fährt ihre Verspätungen meist auf jenem Abschnitt ein, auf dem sie ihr Gleisbett mit dem übrigen Verkehr teilt: auf der Sankt Augustiner Straße in Beuel. Soll die Bahn eine eigene Trasse bekommen, müsste die Fahrbahn erweitert werden. Dafür müssten Häuser und ein Teil des Friedhofs weichen. Städtebaulich wäre das kein großer Akt. Die damit verbundenen Hürden wären vielmehr emotionaler Art.

Die "66" ist am Limit

Gleichwohl steht fest: Die "66" ist am Limit. Soll sie attraktiv bleiben, muss das Angebot erweitert werden. Ein Takt von sechs bis sieben Minuten, Züge mit drei Einheiten - diese Gedankenspiele kursieren bereits. Dass dafür mehr Wagen, mehr Personal und eine Anpassung der Infrastruktur erforderlich sind, liegt auf der Hand. Aber es wäre ein Zukunftsprojekt, das angesichts des Bevölkerungswachstums unumgänglich erscheint. Bonn hat nach der jüngsten Prognose des Statistischen Landesamtes 2040 rund 348.000 Einwohner, der Kreis 615.000. Heute sind es rund 311.000 beziehungsweise 582.000 Bürger.

Vor diesem Hintergrund erlebt die Idee einer rechtsrheinischen Uferbahn eine Renaissance. Beim Kreis, aber auch in Bonn. Es wäre genau jene Verbindung von Beuel in Richtung Köln, die 1911 für Stunk sorgte. Ab Mondorf liegen noch Gleise; dort dümpeln heute vereinzelt Güterzüge. Ein neues Bahnprojekt? Woher soll das Geld kommen? Eine berechtigte Frage. Und doch brauchen Bonn und der Kreis solche gemeinsamen Visionen. Visionen, die in Planungen münden. Planungen, mit denen Geldgeber überzeugt werden.

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