Zeit des Abnehmens und Nachdenkens Viele Bonner beteiligen sich an Fastenaktionen

BONN · Fasten ist in. Süßes, Alkohol, Fleisch, Handy, Tatort, Facebook, Auto - die Liste der Dinge, auf die Menschen in der Fastenzeit verzichten wollen, ist lang.

Diesen Trend beobachten in den letzten Jahren Vertreter der großen christlichen Kirchen in Bonn. Viele Menschen machen bei der Fastenaktion "Sieben Woche ohne" der evangelischen Kirche mit. Und die Katholiken bieten eine Vielzahl von Angeboten - angefangen mit der 40-Tage-Kur "Vitalis+" im Bonner Münster bis hin zum deutschlandweiten Bibelspruch-Dienst per SMS.

Aber auch nichtgläubige Menschen nutzen die Zeit bis Ostern, um "Verzicht zu üben". Diese Redewendung trifft für Münstersprecher Reinhard Sentis den Kern der religiösen Fastenzeit ziemlich gut. "Fasten ist eine Übung", beschreibt er, unnötigen Ballast loszuwerden und Freiräume zu schaffen, Zeit zu finden, über sich selbst und sein Leben nachzudenken.

Wie diese Übung gestaltet werde, sei jedem selbst überlassen und auch nicht so wichtig, wenn es "aus dem Herzen" komme. Wer während der Fastenzeit darin "aufräume", schaffe Platz für Gott und seine Mitmenschen. In diese Richtung weist auch das diesjährige Motto der traditionellen Fastenaktion der evangelischen Kirche: Sie fordert mit "Sieben Wochen ohne falsche Gewissheiten" zum Selberdenken auf.

"Wir neigen sehr schnell zu endgültigen Urteilen", sagt Pressepfarrer Joachim Gerhardt. Das ziehe sich vom Familienkreis bis in die große Politik und führe zu Diskussionen mit gegenseitigen Verunglimpfungen, "auch hier in Bonn". Die Aktion solle zu mehr Vorsicht gegenüber den Mitmenschen und Skepsis gegenüber eigenen Gewissheiten anregen, erläutert Gerhardt. Er ist sich sicher: "Wenn man das sechs oder sieben Wochen bewusst einübt, wird man die Welt und seine Mitmenschen mit anderen Augen sehen."

"Ich merke, dass die Menschen die Fastenzeit wieder bewusster begehen", sagt Stadtdechant Wilfried Schumacher am Aschermittwoch. Und auch Joachim Gerhardt beobachtet in der Passionszeit vollere Gottesdienste und sieht unter den evangelischen Christen einen zunehmenden Trend, die Passionszeit ganz bewusst für Fragen der Sinnsuche zu nutzen.

Ob Menschen dabei die Fastenzeit nutzen, um abzunehmen oder über ihr bisheriges Leben nachzudenken, spielt dabei aus seiner Sicht nur eine untergeordnete Rolle. Am Ende laufe alles auf eine neue Sehnsucht nach Religion hinaus. Denn die Gesellschaft lasse den Einzelnen mit vielen Fragen allein. Die Passionszeit sei im Gedenken an die Leiden Jesu schließlich auch Zeit, daran zu erinnern, dass das Leben nicht nur aus Erfolg bestehe.

Hier schließt sich der Kreis zu einer katholischen Tradition in der Fastenzeit. Der eigene Verzicht bedeutet hier nämlich nicht nur geistige und körperliche Freiräume, sondern auch frei werdende Ressourcen. So sammeln katholische Christen in der Fastenzeit über ihr Hilfswerk Misereor für arme Menschen.

Angefangen bei lokalen Programminformationen bis zum Test "Selber denken - was sind Sie für ein Typ?" haben sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche für die Fasten- und Passionszeit ein umfangreiches Internetangebot zusammengestellt. Katholische Christen werden auf www.bonner-muenster.de/fastenzeit2014 fündig, Protestanten können auf 7wochenohne.evangelisch.de Anregungen bekommen.

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