Niklas-Prozess in Bonn Verwirrspiel um mutmaßliche Tatjacke

BONN · Die mutmaßliche Tatjacke stand am Freitag im Niklas-Prozess im Blickpunkt. Die Vernehmung der damit in Verbindung gebrachten Zeugen brachte aber keine neuen Erkenntnisse. Der zehnte Prozesstag sorgte vielmehr für zusätzliche Verwirrung.

„Ich habe das Gefühl, dass Sie uns nicht alles sagen, was sie wissen.“ Rechtsanwalt Martin Kretschmer, Verteidiger des Hauptangeklagten Walid S. im Fall Niklas, sprach am zehnten Prozesstag in Richtung der beiden vernommenen Zeugen das aus, was wohl alle Anwesenden empfanden. Es ging um DNA-Gutachten zu verschiedenen Kleidungsstücken. Und dazu sollten unter anderem die mutmaßlichen Träger zweier umstrittener Jacken aussagen.

Auf der schwarzen Jacke, die bei Walid S. sichergestellt wurde, konnten an einem Ärmel Blutspuren von Niklas festgestellt werden. Walid S. bestreitet jedoch nach wie vor, dass es seine Jacke sei. Er will sie von einem Kumpel geliehen haben – nach der tödlichen Prügelei. Der Gutachter bestätigte die Blutspur. Zusätzlich trägt die Jacke Spuren weiterer Verdächtiger: Ein 21-Jähriger könnte die Jacke getragen haben, auch Spuren von Walid S. und einem weiteren 22-jährigen Tatverdächtigen wurden sichergestellt.

Auf einer anderen dunkelgrünen Jacke wurde zwar kein Blut sichergestellt, jedoch ebenfalls Spuren des 21-Jährigen. Der Gutachter betonte, dass vorhandene Spuren kein eindeutiger Beweis für das Tragen einer Jacke , fehlende Spuren auch kein Beweis für das Nichttragen einer Jacke seien. Zusätzlich könne das Blut auch nach der Tat an die Jacke gelangt sein, ohne, dass der Träger der Jacke an der Tat beteiligt gewesen sein muss.

Der 21-Jährige gab an, in der Tatnacht mit Bekannten im Kurpark gewesen zu sein. Unter den Kumpels soll auch Walid S. mit seiner damaligen Freundin gewesen sein. Ihnen habe er später auch seine dunkelgrüne Jacke geliehen, dann sei er mit dem 22-Jährigen zur Rigal'schen Wiese gegangen. Dort soll dieser ihm eine schwarze Jacke geliehen haben, die in seiner Beschreibung allerdings deutlich von der verdächtigen Lederimitatjacke abweicht. Später habe er dann mit Walid S. und dessen Freundin gemeinsam den Bus zurück nach Mehlem genommen, dort hätten sie ihre Jacken getauscht. Am Ende war das Verwirrspiel komplett: Niemand konnte mit Gewissheit sagen, wer, wann, welche Jacke getragen oder besessen hatte.

Der 22-Jährige und dessen Bruder machten von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Zuletzt trat die Freundin des 21-Jährigen vor die Kammer. Die 18-Jährige gab an, sich an so gut wie nichts mehr erinnern zu können. Sie sei in der Tatnacht zu Hause gewesen und wisse nicht, wann, wo und mit wem sich ihr Freund getroffen habe. Bei der Polizei soll sie ausgesagt haben: „In der Sache wird viel gelogen.“ Die Kammer zweifelte ihre Aussage ebenso offenkundig an wie die ihres Freundes.

Die Staatsanwaltschaft kündigte an, die Verfahren gegen die rund ein Dutzend anderen Beschuldigten einzustellen. Als Begründung greife hier der mangelnde Tatverdacht. Damit bleibt Walid S. als einziger Tatverdächtiger – so lange, bis sich möglicherweise neue Erkenntnisse im Prozess ergeben. (ga)

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