Bonner Experte im Interview Urlauber müssen auf billige Flugtickets verzichten

Bonn · Der Bonner Luftfahrtexperte Linus Benjamin Bauer geht davon aus, dass man wegen der Coronavirus-Krise auf längere Zeit auf sehr billige Flugtickets wie die von Ryanair verzichten muss. Im Interview spricht er darüber, warum es Jahre dauern wird, bis sich die Branche erholt.

 In langer Reihe stehen auf einer Landebahn des Flughafens Frankfurt Maschinen der Lufthansa, die wegen der weltweiten Corona-Pandemie derzeit außer Dienst gestellt sind.

In langer Reihe stehen auf einer Landebahn des Flughafens Frankfurt Maschinen der Lufthansa, die wegen der weltweiten Corona-Pandemie derzeit außer Dienst gestellt sind.

Foto: dpa/Boris Roessler

Kapstadt, London, Düsseldorf, London, Tel Aviv, London, Düsseldorf. Der Wochenplan von Linus Benjamin Bauer könnte auch der eines Piloten sein. Der Bonner sitzt aber nicht selbst im Cockpit, sondern ist als Unternehmensberater der Luftfahrtbranche und Gastdozent in der ganzen Welt unterwegs. Mit Nicolas Ottersbach sprach er darüber, wie die Corona-Krise die Luftfahrt verändern wird, was das für Urlauber bedeutet und wann sich die Branche wieder erholen wird.

Herr Bauer, fehlt Ihnen das Fliegen?

Linus Bauer: Es fehlt mir durchaus, da das Fliegen sowohl beruflich als auch privat schon sehr lange ein Bestandteil meines Lebens ist. Über den Wolken ist die Freiheit schließlich grenzenlos und man kann sich auf jedem Flug etwas zurücklehnen.

Lufthansa-Chef Carsten Spohr hat an die Anfänge des Konzerns erinnert, als man von drei- auf vierstellige Flugnummern umstellte, um jeder Verbindung noch eine Zahl zuordnen zu können. Jetzt käme man wieder mit zweistelligen Nummern aus. Trifft diese Dramatik nur die Lufthansa?

Bauer: Es ist leider Realität, dass um die 700 Flugzeuge der gesamten Lufthansa-Gruppe zurzeit am Boden bleiben und der Flugplan aufgrund des enormen Nachfrageeinbruchs weltweit drastisch heruntergefahren wurde.  Der Gesamtbetrieb der Lufthansa liegt zurzeit bei nur fünf Prozent. Viele Fluggesellschaften weltweit haben entweder für einen bestimmten Zeitraum den gesamten Betrieb eingestellt, zum Beispiel Austrian Airlines, oder operieren nur noch wie Lufthansa mit einem minimalen Flugplan im gleichen Umfang wie 1955. Im Gegensatz zu vielen anderen Fluggesellschaften steuert Qatar Airways immerhin noch 60 der 177 Ziele weltweit an, unter anderem auch Frankfurt.

Wie lange können die Unternehmen das überstehen?

Bauer: Von Fluggesellschaft zu Fluggesellschaft ist das unterschiedlich. Ein Full-Service Network Carrier wie Lufthansa benötigt aufgrund des Geschäftsmodells deutlich mehr Liquidität als ein Low-Cost Carrier mit Fokus auf Point-to-Point-Verkehr wie Ryanair oder Wizz Air. Laut Schätzungen von Finanzhäusern sieht sich Lufthansa bei einer Liquidität von rund 3,8 Milliarden Euro mit wöchentlichen Kosten in Höhe von 220 Millionen Euro konfrontiert. Die Billigfluggesellschaft Wizz Air verfügt im Vergleich zur Lufthansa zwar nur über eine Liquidität in Höhe von rund 1,8 Milliarden Euro, jedoch liegen die wöchentlichen Kosten dank niedrigerer Kostenbasis lediglich bei zwölf Millionen Euro.

Stehen die Billigflieger damit besser da?

Bauer: Die Lufthansa Group hätte zum Beispiel ohne Neubeschaffung von Mitteln nur noch Geldreserven für die nächsten 17 Wochen. Mit einer ausreichenden Liquidität für 31 Wochen steht die International Airlines Group, Mutterkonzern von British Airways und Iberia, unter den großen europäischen Full-Service Network Carriern am besten da. Die meisten Billigfluggesellschaften halten länger durch. Ryanair hätte Reserven für 106 Wochen, Wizz Air sogar für 144 Wochen.

Das klingt so, als würden bald die großen Fluggesellschaften Pleite gehen.

Bauer: Wir werden im Laufe der kommenden Monate schätzungsweise bis ins Jahr 2021 hinein die eine oder andere Insolvenz einer Fluggesellschaft haben. Einige kleine regionale, neu gegründete und bereits finanziell angeschlagene Fluggesellschaften sind bereits jetzt in ihrer Existenz bedroht.

Wären Fusionen ein Lösung?

Bauer: Bereits in den vergangenen Jahren ist die Luftfahrtbranche durch einen Konsolidierungstrend gekennzeichnet und die Karten werden nach der Coronavirus-Krise in der Luftfahrt neu gemischt. Die International Airlines Group wurde ja im Jahr 2011 nach der globalen Finanzkrise gegründet und ist bis dato erfolgreich als Erfolgsmuster in der Luftfahrtindustrie unterwegs. Auch an europäischen Flughäfen könnte man sich Konsolidierungen vorstellen, denn viele Drehkreuze wie Amsterdam, Brüssel, Düsseldorf und Frankfurt liegen so nahe beieinander.

Gab es schon einmal etwas Vergleichbares?

Bauer: Nein. Vielmehr kann man von einer historischen Krise in der Luftfahrtbranche sprechen. Obwohl kaum eine andere Branche so krisenerfahren ist wie die Luftfahrt – zum Beispiel durch 9/11, SARS/MERS-Virusoutbreaks, Golfkriege, globale Wirtschaftskrise, Ölpreiskrise – geht es jetzt nicht mehr allein darum, diese Krise zu überstehen, sondern darum, sie überhaupt zu überleben.

Gäbe es eine Alternative für staatliche Hilfen?

Bauer: Je länger die Krise andauert, desto wahrscheinlicher wird es, dass die Zukunft der Luftfahrtbranche generell ohne staatliche Hilfe düster aussieht. In Italien läuft alles auf die Verstaatlichung der dauerkriselnden Fluggesellschaft Alitalia hinaus. Im Nachbarland Frankreich hat das Finanzministerium bereits angekündigt, Unternehmen wie Air France notfalls ganz zu verstaatlichen. American Airlines aus den Vereinigten Staaten erhält mit Staatsgarantien Zugriff auf bis zu zwölf Milliarden US-Dollar.

In Deutschland gibt es so etwas noch nicht.

Bauer: Anders als in vielen Ländern, in denen staatliche Beteiligungen an der Luftfahrt-, Automobil- oder Energiebranche Normalität sind, hadern Politiker und Ökonomen in Deutschland normalerweise mit einem solch drastischen Eingriff in die Privatwirtschaft. Eine vernünftigere Alternative gäbe es laut diverser Ökonomen in diesem Fall: Eine Wiederauflage des Stabilisierungsfonds mit Sonderkrediten. Aus meiner Sicht wäre diese Option der bessere Weg für eine Fluggesellschaft wie Lufthansa.

Wie wirkt sich die Krise auf das Frachtgeschäft aus?

Bauer: Das Aufrechterhalten der globalen Warenversorgung ist in dieser Zeit existenziell. Aufgrund der hohen Nachfrage nach diversen Gütern profitiert das Frachtgeschäft weltweit, jedoch kann dieses die massiven Rückgänge im Passagierflugbereich, dem Kerngeschäft vieler Fluggesellschaften wie Lufthansa, nicht annähernd kompensieren. Aktuell sind die drei großen Frachtfluggesellschaften UPS, FedEx und DHL wegen des Einbruchs im Passagierflugverkehr sehr aktiv. Denn es werden momentan kaum Waren und Güter in den Frachträumen von Passagiermaschinen transportiert. Die sogenannte Belly-Fracht macht sonst etwa die Hälfte des weltweiten Frachtumschlages aus. Durch Einreisebeschränkungen verlagert sich ein großer Teil der Warenlieferungen von der Straße in die Luft.

Wird sich unser Verhalten, wie wir Flugzeuge nutzen, langfristig ändern?

Bauer: Die Technologie, zum Beispiel Videokonferenzen, wird langfristig eine Reduzierung von Geschäftsreisen weltweit zur Folge haben. Jedoch sind nicht alle Meetings und Konferenzen ersetzbar, vielmehr wird es künftig eine andere Mischung beider Varianten geben. Direktflüge gewinnen an Bedeutung. Denn die Coronavirus-Krise, die wie bei der SARS damals den Ursprung in Asien hatte, hat seit Januar viele Kunden in Europa und Australien zum Umdenken bei der Reiseplanung bewegt. Die Option des Umfliegens der Konfliktregionen  und der Gebiete mit großem Anteil an globalem Umsteigeverkehr wird zurzeit vermehrt in Anspruch genommen, um die potenzielle Ansteckungsgefahr zu minimieren. Das treibt Nachfrage und Preise nach oben.

Auch die Tourismusbranche ist eingebrochen. Wird sie sich überhaupt, und wenn ja, wann, davon erholen?

Bauer: Nach jeder Krise kommt eine Erholungsphase. Nach dem Terrorattentat in New York dauerte es drei Jahre, nach der globalen Wirtschaftskrise fünf bis sechs Jahre. Die Erholungsphase jetzt wird schmerzhafter verlaufen. Die Nachfrage wird sich sicherlich vorerst stabilisieren müssen und das Flugangebot wird reduziert und die Ticketpreise werden nach oben geschraubt. Gelingt es, die Ausbreitung des Virus innerhalb von zwei bis drei Monaten einzudämmen und sind die Maßnahmen zum Schutz der Unternehmen einigermaßen erfolgreich, dann könnte eine Rückkehr zur Normalität in der globalen Tourismusbranche ab dem ersten Quartal 2021 langsam spürbar sein. Ich erwarte keine Aufhebung von Restriktionen für internationale Flugreisen vor Juli oder sogar August.

Fahren wir dann nur noch mit dem Auto an die Nordsee?

Bauer: Viele Leuten werden bei einer Reise innerhalb Europas eventuell auf Auto oder Bahn umsteigen. In den vergangenen drei Jahren konnte man einen starken Trend im Tourismus beobachten: Urlaub im Heimat- oder Nachbarland. Laut einer Studie verbringt etwa ein Drittel der Deutschen den Urlaub im eigenen Land. Nachbarländer wie Frankreich, Österreich und die Schweiz sind ebenfalls sehr begehrt. Dieser Trend wird während und nach der aktuellen Krise nicht anhalten. Blickt man nach Fernost, wo zurzeit der Alltag ganz langsam wieder einkehrt, rechnen Tourismusexperten in der Zukunft mit einem starken Anstieg an Urlaubsreisen im Heimatland, zum Beispiel China.

Das klingt nach einem Boom für den Urlaub im eigenen Land.

Bauer: Die Erholungsphase des Tourismus im Inland wird im Gegensatz zum globalen Tourismus durchaus kürzer sein, ich rechne mit etwa sechs Monaten. Die Tourismusbranche wird nicht von heute auf morgen alles wieder hochfahren können. In Bezug auf Reisemöglichkeiten wird man definitiv erst einmal mit der einen oder anderen Einschränkung leben müssen. Auch auf die sehr billigen Flugtickets mit Low-Cost Carriers wie Ryanair müsste man eine Zeit lang verzichten. Wenn das „Social Distancing“ sogar auch in Flugzeugen zur Regel werden könnte, wo möglicherweise dadurch nicht mehr alle Sitze verkauft werden dürfen, wird es ebenfalls die Preise pro Sitzplatz nach oben treiben. Es könnte der Fall sein, dass man in naher Zukunft auf Urlaubsreisen nach Italien oder Spanien verzichten müsste. Andererseits könnten sich Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate oder Griechenland für den Tourismus wieder öffnen.

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