Wer nicht sieht, muss fühlen Tagung für Blinde und Sehende in Bonn

Bonn · Im LVR-Landesmuseum decken Blinde und Sehende Schwachstellen in der Ausstellung auf. Die Museumsleitung will mit der Aktion neue Ideen für das eigene Haus sammeln.

Daniel ist blind, Ronja Kertels eigentlich nicht. Um die Ausstellung für Blinde und Sehbehinderte besser erfassen zu können, erhielt sie eine Schlafbrille.

Daniel ist blind, Ronja Kertels eigentlich nicht. Um die Ausstellung für Blinde und Sehbehinderte besser erfassen zu können, erhielt sie eine Schlafbrille.

Foto: Susanne Wächter

Wer nicht sehen kann, hat es mitunter schwer, sich in Ausstellungen zurecht zu finden. Das LVR-Landesmuseum machte sich deshalb auf den Weg, um zu verstehen, wie bestehende Barrieren für behinderte Besucher in den Ausstellungsräumen abgebaut oder gar verhindert werden können.

Einen ganzen Tag lang saßen etwa 60 Teilnehmer im Landesmuseum des Landschaftsverbandes Rheinland unter dem Motto „Finden-Sehen-Verstehen“ zusammen. Zum Teil sind es Betroffene, zum Teil Mitarbeiter aus Verbänden und Institutionen, die sich Inklusion zum Thema erhoben haben. Denn der LVR möchte wissen, welche Bedürfnisse gehandicapte Menschen an ihre Ausstellungsräume haben. Da reicht es nicht, Türen barrierefrei zu gestalten und Rampen statt Treppen zu bauen. Hörgeschädigte oder Blinde haben ganz andere Wünsche an das Museum, das sie eigentlich nie ohne Begleitperson besuchen können.

„Ich darf ja normalerweise nichts anfassen, auch sind die Texte neben den Ausstellungsstücken nicht in Blindenschrift übersetzt“, sagt Domingo Olivera. Er ist einer von etwa zehn Teilnehmern, die sich am Mittag auf den Weg durch die Ausstellung machen, um Schwachstellen zu entdecken. Dazu händigt Museumsmitarbeiterin Dorothea Parack ihnen zuvor einen Fragebogen aus. Diesen gilt es abzuarbeiten.

In Zweier- und Dreierteams schwärmen die Teilnehmer aus. Einer in der Gruppe muss sehen können. Damit der eine oder andere Teilnehmer nachempfinden kann, wie Blinde die Ausstellung wahrnehmen können, erhalten sie von Parack eine Schlafmaske. Dann geht es auch schon los. Vorsichtig hält sich Claudia Klug am Pullover ihres Vordermanns fest.

Begleitperson notwendig

Zaghaft setzt sie einen Fuß vor den anderen. Wie soll sie nur die Ausstellungsstücke betrachten?, fragt sie sich. Ihre Teamkollegen Anna Herber und Axel Peiß geben sich alle Mühe. „Die Bücher hier, die sind so dick wie mein Oberarm“, sagt Peiß, „und so lang wie mein Unterarm“, fügt er hinzu. Dann setzt sich Klug auf einen Hocker. Vor ihr das Modell eines Zisterzienserklosters. Herber nimmt Kluges Hand und führt sie zu den Miniaturgebäuden. Zaghaft streicht sie über die Dächer, die Fassaden und nimmt Steine, die das Material symbolisieren sollen, in die Hand.

Am Ende sind sich alle Teilnehmer einig. Zumindest für Blinde und Sehbehinderte ist die Ausstellung ohne sehende Begleitperson nicht geeignet. „Es fehlen visualisierte Beschreibungen, die noch dazu in Blindenschrift gehalten sind“, sagt Regina Preuß von der Louis Braille Schule in Düren. Auch ihre Sehkraft ist stark vermindert. „Ich sehe nur mit einem Auge noch zehn Prozent“, sagt sie. Für sie sei außerdem die Beleuchtung sehr wichtig. Die Oberlichter seien zu grell, die Exponate wiederum zu schwach ausgeleuchtet. „Für uns Sehbehinderte ist es wichtig, starke Kontraste vorzufinden.“

Die Führung war eingebettet in die Tagung, die anlässlich des 200-jährigen Bestehens im Jahr 2020 vom LVR-Landesmuseum organisiert wurde. Bis 2020 will sich das Haus sowohl baulich wie inhaltlich umfassend neu aufstellen. „Dazu möchte das Museum mit inklusiven Gruppen und Interessierten über die bereits bestehenden Ideen zur Veränderung diskutieren, neue Gedanken und Anregungen einholen und in einen intensiven Dialog treten“, erklärt Pressesprecherin Stephanie Müller den Hintergrund der Veranstaltung.

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