Alter Friedhof Bonn Spaziergang über die stille Schönheit

BONN · Man könnte sagen, der Alte Friedhof gehöre zu meinem Leben dazu. Was stimmt: Ich gehe als Nordstadtbewohnerin täglich mindestens einmal an seiner Mauer an der Bornheimerstraße entlang.

 Bemooster Stein erzählt Geschichten: Musiker und Professoren, Handwerksmeister, Dichter und Liebespaare fanden hier ihre letzte Ruhe.

Bemooster Stein erzählt Geschichten: Musiker und Professoren, Handwerksmeister, Dichter und Liebespaare fanden hier ihre letzte Ruhe.

Foto: Volker Lannert

Ich finde sofort das Grab der Mutter Beethovens, das Grab von Robert und Clara Schumann und die Gedenkstätte für August Macke. Auf dem Weg zu Mildred Scheel verlaufe ich mich schon mal.

Man könnte sagen, ich kenne den Friedhof. Dann kommt jemand wie Sigrid Lange und belehrt mich eines Besseren: dass Vorbeigehen nicht Kennen heißt und Sehen nicht Wissen. Und dass der, der weiß, soviel mehr sieht, dass ihm die Augen übergehen an diesem Ort aus Stein und Baum und Tod.

Lange, Kunsthistorikerin und Führerin bei Stattreisen Bonn e.V. stoppt meinen schnellen Gang zur vermeintlich ersten Sehenswürdigkeit, dem Grab der Beethovenmutter, schon nach drei Schritten. "Hier", sagt sie, und ich gucke auf den Stein. Aber es ist nicht das Grab, das Sigrid Lange betrachtet wissen will. Es ist der Baum: Er umarmt mit seinem Stamm das Kreuz, sein Holz ist wie ein Mantel um das Eisen gelegt.

Es braucht Zeit, bis so etwas passiert. Fast dreihundert Jahre dürften reichen: So lange ist es her, dass der Friedhof gegründet wurde. "Neuer Friedhof" hieß er und wurde von den Bonnern des Jahres 1715 keineswegs erfreut angenommen. Bislang hatten sie ihre Toten "nah bei Gott" bestattet, unmittelbar an den Stadtkirchen.

Aber Pest und Cholera forderten viele Menschenleben. Auch die Sorge um die Hygiene veranlasste Kurfürst Joseph Clemens, das Stück Feld außerhalb der damaligen Stadtgrenze als neuen Friedhof anlegen zu lassen.

1787 wurden die innerstädtischen Friedhöfe endgültig geschlossen. Der "Neue", heute Alte Friedhof war nunmehr bis zur Anlage des Nordfriedhofs knapp 100 Jahre später der Einzige. "Im 19. Jahrhundert", erzählt Sigrid Lange, "mit Gründung der Universität, kamen die Professorengräber". Eine sehr private Aura hat das Grab von Geschichtsprofessor Barthold Georg Niebuhr und seiner Frau. Das feine Relief im Stein zeigt den Professor als Hälfte eines Paares: Beide reichen sich die Hände wie zum Abschied. "Seine Frau", sagt Lange, "starb neun Tage nach ihm." Es muss eine sehr innige Beziehung gewesen sein.

"Sie war mir eine so gute liebenswürdige Mutter, meine beste Freundin": 17 Jahre alt war Ludwig van Beethoven, als seine Mutter Maria Magdalena starb. "Ob der jetzige Platz wirklich ihre Grabstätte ist, das weiß man nicht sicher", sagt Lange. Der Friedhof wurde nämlich noch einmal größer, Reihengräber wurden tiefer gelegt, um darüber Platz für neue Gräber zu bekommen. "Als das Grab von Beethovens Mutter neu angelegt wurde, erinnerte sich jemand, dass an diese Stelle immer jemand kam - also kam der Stein dorthin", erzählt Sigrid Lange.

Von Beethovens Mutter zu Schillers Ehefrau und Sohn sind es nur wenige Schritte. Viel beachtet wird auch das Grab von Robert und Clara Schumann - im Moment ist es unsichtbar: Eine Schutzhülle soll helfen, den empfindlichen Marmor zumindest fünf Monate im Jahr, von November bis März, gegen Wetter und Abgase zu schützen.

Wenn Eva Hüttenhain auf ihrem Balkon steht, sieht sie Schumanns Grab nicht. Dafür blickt sie genau auf die steinernen Schwingen des Engels, der das Kriegerdenkmal bewacht. Frau Hüttenhain wohnt am Friedhof - und ist die Vorsitzende der Gesellschaft der Freunde und Förderer des Friedhofs.

Was war zuerst da, die Wohnung oder das Amt? "Die Wohnung", sagt sie. Eine besondere Wohnung ist das: Teil der "Wahlverwandschaften", eines in Privatregie verwirklichten Wohnkomplexes für zwei Mehrgenerationen-Häuser in der Heerstraße. Besonders ist aber auch die Aussicht. "Es gibt Menschen", sagt sie, "die das eher negativ empfinden - einen Friedhof, Gräber und damit sozusagen den Tod immer vor Augen zu haben. Ich empfinde es positiv: Der Friedhof ist auch eine ganz besondere Grünanlage, in der man direkt aus der City und vom lärmenden City-Ringverkehr plötzlich zur Ruhe finden kann."

Die Gesellschaft der Freunde und Förderer ist derzeit 84 Mitglieder stark. Gegründet wurde sie 1975, als Folge des engagierten Protestes von Bonnern gegen den Plan der Stadtverwaltung, über den Friedhof eine Verkehrsbrücke zu bauen. Da wäre es mit der Ruhe vorbei gewesen, das lärmige Jetzt hätte eine stille Reise ins Gestern für immer gestört.

Mit Gründung der Gesellschaft erhielt der Alte Friedhof ein nachhaltig organisiertes Bürgerengagement. Gerade hat die Gesellschaft mit der Planung der Festlichkeiten zum 300. Jahrestag der Friedhofsgründung 2015 begonnen.

Und weiterhin versuchen die Vorsitzende Hüttenhain und ihre Mitstreiter, die Bonner für die Übernahme einer Patenschaft für eine Grabstätte zu gewinnen.

Beerdigt wird hier nur noch, wenn es sich um Ehrenbürger der Stadt handelt oder Menschen, deren Angehörige ein Familiengrab auf dem Friedhof haben. Dritte Möglichkeit: die Patenschaft. "Die Paten", sagt Frau Hüttenhain, "übernehmen zu Lebzeiten die Pflege eines Grabes und erhalten dafür das Recht, ebendort bestattet zu werden".

Das Problem: Leben will mit Tod nichts zu tun haben. "Viele haben eine Abwehr, sich durch eine Patenschaft in gewisser Weise mit dem eigenen Sterben zu beschäftigen." Aber es geht ja auch um die Schönheit des Alten Friedhofs. "Ein sehr an Literatur interessierter Herr", erzählt Hüttenhain, "hat sich derart für das Aussehen des Schiller-Grabes geschämt, dass er dessen Pate wurde - einfach, damit die Grabstätte gepflegt ist."

Bei aller Abwehr gegen den Tod, den Alten Friedhof wissen die Bonner sehr zu schätzen. "Ganz viele Einwohner", sagen sowohl Hüttenhain als auch Sigrid Lange von Stattreisen, " nehmen an Führungen über den Friedhof teil, um mehr zu erfahren". Und auch für Friedhofsgärtner Joachim Koch ist der Friedhof "ein Ort mit sehr viel Atmosphäre". Er wohnt übrigens auch direkt am Friedhof - dem Nordfriedhof von Bonn.

Mehr im Internet unter www.alter-friedhof-bonn.de

Alter Friedhof Bonn, Eingang Bornheimerstraße, geöffnet täglich von 8 bis 17 Uhr.

Lesetipp: Erika Zander / Jörg Bätz: "Der Alte Friedhof in Bonn: Kunst und Geschichte(n)", Bouvier Verlag, 9,90 Euro

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