WCCB - Die Millionenfalle, Teil 73 Sparkasse sollte wohl auf Bonns Drängen "Wirtschaftsförderung" betreiben

BONN · Wenn alle Zeugen oder Angeklagten schweigen, sich nicht mehr erinnern oder Selbstschutz-Geschichten erzählen, werden am Ende, wenn es um Freispruch oder "schuldig im Sinne der Anklage" geht, nur die Dokumente zählen.

Warum endete das World Conference Center Bonn (WCCB) als Deutschlands größte öffentliche Bauruine? Handelten alle Beteiligten stets nach bestem Wissen und Gewissen und schwebte über allen nur der Fluch der guten Tat - die Verkettung unglücklicher Umstände?

Oder gab es da ganz früh eine Weiche, die - falsch - gestellt wurde, wodurch der WCCB-Zug zwangsläufig in einen Kopfbahnhof raste, wo ihn eine Mischung aus Heuschrecken-Zirkus und Ausplünderung empfing? Auch deshalb schürfen die Richter der Wirtschaftsstrafkammer zurzeit vor allem in der Vergangenheit, insbesondere im Jahr 2005.

Im Landgericht: Die Angeklagten Man-Ki Kim (Investor), Michael Thielbeer (Berater), Ha-S. C. (Kims Rechtanwalt) und Wolfditrich Thilo (Kims "Rechtshelfer") und alle im Gerichtssaal Versammelten hören zuweilen eine Art Vorlesung. Stundenlang verlesen die Richter dann abwechselnd Mails, Protokolle und Gesprächsvermerke aus 2005, die der Staatsanwaltschaft bei ihren Razzien in die Hände gefallen waren.

Dabei haben die Inhalte der verlesenen Texte die Eigenschaft konzentrischer Kreise: Sie betreffen nicht nur die hier und heute Angeklagten, sondern berühren auch andere WCCB-Bereiche, etwa den widersprüchlichen Entscheidungsprozess innerhalb der Sparkasse, der zum 104,3-Millionen-Kredit pro Kim führte.

Was also passierte in den entscheidenden Monaten vor jenem 14. Dezember 2005, als fast alle Volksvertreter im Stadtrat für SMI Hyundai Corporation als Investor stimmten? Am Anfang war Kim. Er vertrat ein Unternehmen, dessen Name die Fantasie beflügelte. Hätte da "SMI Corporation, gegründet am 15. Dezember 2004 im Steuerparadies Delaware, keine aussagekräftigen Bilanzen" gestanden, hätte es im Rathaus schnell "Der Nächste bitte" geheißen.

Doch SMI Hyundai Corporation klang in Bonn völlig anders - so wie etwa "SMI Mercedes Corporation" im Rathaus von Seoul klingen würde. "Hyundai" assoziierte, dass da die Tochter eines Mutterkonzerns in Bonn antrat, der rund 30 Milliarden Jahresumsatz machte, wogegen das geforderte WCCB-Eigenkapital (40 Millionen) tatsächlich wie Peanuts wirkte.

Die firmenspezifische und auch kulturell geprägte Regelung innerhalb des Hyundai-Konzerns, wer wie lange nach dem Ausscheiden aus dem Konzern das Kürzel "Hyundai" verwenden darf, hatte Kim trickreich über ein Beteiligungsgeflecht als Türöffner genutzt. Tatsächlich gab es jedoch nie eine Mutter, die für die Taten ihrer Kinder haftete, weshalb Kim auch nie eine verbindliche Patronatserklärung beschaffen konnte.

Als das WCCB-Kartenhaus im September 2009 einstürzte, gab es wenig Handfestes, nur viel Plausibles über die grobe Einsturzursache. Die in der "Millionenfalle" erarbeiteten Zusammenhänge wurden erstmals mit dem WCCB-Prüfbericht des Rechnungsprüfungsamtes (RPA) im April 2010 handfest unterlegt. Mit vertraulichen Stellungnahmen reagierten am 20. Mai 2010 die städtischen Projektmitarbeiter Eva-Maria Zwiebler und Arno Hübner. Darin beschreiben sie auch jene Weichenstellung, die offenbar die Richter heute für wesentlich halten: Warum erhielt ein "Investor ohne Geld" 100 Millionen von der Sparkasse?

Hübner dazu: "Aus meiner früheren Tätigkeit im Verwaltungsrat und im Kreditausschuss (aber noch der Sparkasse Bonn) weiß ich, wie gründlich Kredite und Kreditnehmer geprüft werden (...) Davon konnte ich auch im Falle der Kreditgewährung an die UNCC (Anm. d. Red.: Bauherrn-GmbH von Kim/SMI Hyundai) ausgehen." Hübner glaubt: "Der Investor hätte auch über jedes andere deutsche Kreditinstitut den Nachweis der Eigenmittel erbringen können."

Zwiebler schreibt: "Die Finanzierungsgespräche fanden unmittelbar zwischen SMI Hyundai und der Sparkasse statt, wobei die Stadt über Interna keine Informationen erhielt. (...) Ich bin davon ausgegangen, dass die Sparkasse im Rahmen ihrer Kreditprüfung und der dann erfolgten Finanzierungszusage die von SMI Hyundai vorgelegten Unterlagen geprüft und positiv bewertet hat."

Als Hübner und Zwiebler das schrieben, befanden sie sich bereits in der Rechtfertigungsphase. Die im Gerichtssaal verlesenen Sparkassen-Dokumente (siehe Info-Kasten unten links) verraten, dass SMI Hyundai als Kreditnehmer früh durch den Rost gefallen war; sie berichten nicht, dass die städtischen Projektbeauftragten das wussten. Aber sie müssen einiges gewusst haben.

Denn Zwiebler mailt Hübner am 14. September 2005 im Hinblick auf die Finanzierung: "SMI wird es alleine auch nicht schaffen. Deshalb müssen wir jetzt das Dreieckpaket SMI-Sparkasse-Stadt schnüren. Das müssen wir mit OB und Sander (Anm. d. Red.: Stadtkämmerer) besprechen. Sonst müssen wir das Projekt beerdigen. Oder sehen Sie das anders?"

Hübner antwortet: "Beerdigen heißt aufgeben? Ist das unsere Mentalität? Sicher nicht. Was wir wollen, ist der Erfolg. Was können uns OB und Sander schon helfen?" Die OB meine dann nur, man müsse einen anderen Investor suchen, und dann "geht das Spiel von vorne los. Alles das bringt uns nicht weiter. Es geht jetzt darum, dem Investor unter die Arme zu greifen." Dafür habe man die Sparkasse. "Und dafür müssen wir ein gewisses Restrisiko eingehen."

Hübner wird auch im RPA-Bericht zitiert. In seinem Worstcase-Papier vom 6. Februar 2008 erinnert er daran, "dass die Sparkasse sich dankenswerter Weise im Sinne der Unternehmensphilosophie, auch Wirtschaftsförderung zu betreiben, für Bonn beim WCCB engagiert hat". Deutlicher wird das Unsichtbare, das den "Sinneswandel" der Sparkasse beeinflusst hatte, in einem verlesenen Vermerk Zwieblers vom 27. Oktober 2005. Ein Sparkassen-Mitarbeiter habe ihr gesagt: "Wenn dies kein Projekt der Stadt wäre, hätten wir die Akte SMI längst zugeschlagen." Das Eigenkapital sei "nicht sehr vertrauenswürdig".

Der 27. Oktober 2005 ist auch der Tag, an dem der Wind bei der Sparkasse dreht - zugunsten von Kim/SMI. Die Finanzierungszusage steht im Grundsatz. Zwiebler hat das Drehen des Windes gespürt. Am 5. November 2005 mailt sie Hübner: "Die Sparkasse lehnt sich zurück. Es sind jetzt einige Dinge nicht mehr wichtig, die früher Mal wichtig waren." Einige der Beteiligten wollten "auch nur Geld machen. Ich halte mich für total überfordert, mir wird angst und bange." Das kann bedeuten oder soll suggerieren, dass Zwiebler ahnte, dass hinter ihrem Rücken etwas passiert war, wovon sie nichts wusste.

Was hat den Wind drehen lassen? Einige Besonderheiten des Jahres 2005: Im Januar hatte die arme Sparkasse Köln die reiche Sparkasse Bonn geheiratet. Michael Kranz, einst Chef der Bonner Sparkasse und Bruder Zwieblers, war Vorstandsmitglied der fusionierten Sparkasse geworden - und verließ stets den Raum, wenn es ums WCCB ging. Aus Befangenheit. 2005 war auch noch nicht das Jahr, als die EU argusäugig Sparkassen beobachtete: Verhielten sie sich wie ein normales Kreditinstitut?

Oder mehr wie eine städtische Wirtschaftsförderungsbank, die auf Geheiß ihrer Besitzer, der Städte Köln und Bonn, manch zweifelhaften Kredit spendierten, weil Rathaus-Obere das so wollten? Gerade deshalb war die Sparkasse Köln so in die Miesen geraten. Hier ein Golfclub, dort der Politiker-Ehrgeiz, Köln zur Medien-Hauptstadt auszubauen.

Nach GA-Informationen ist Bonns ehemaliger Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann (SPD) der Kragen geplatzt, als sie hörte, dass Kims Business-Plan, seine Firma und vieles andere nicht kreditwürdig seien; es war das Stopp-Signal der Sparkasse für den einzig verbliebenen Investor Bonns für das WCCB, das hier Prestige-, dort Zukunftsprojekt genannt wurde. Dieckmanns Reaktion: Verständlich nach Kölns Sparkassen-Missbrauchs-Vorgeschichte, nach Bonns Millionen-Input in die Fusion - und quasi normal im traditionellen Umgang der Rathäuser mit ihren Sparkassen.

Als sie nach GA-Informationen Gustav Adolf Schröder (SPD), den damaligen Chef der Sparkasse KölnBonn, besuchte und wieder verließ, war ihr der Windwechsel offenbar gelungen. Aber nur aus Sicht Bonns. Denn die Sparkasse riskierte keinen Euro für Meister Kim "mit Konzernhintergrund". Sie ließ Bonn bürgen und haften. Für jeden Cent. Nach interner Rathaus-Lesart muss das "Wirtschaftsförderung" gewesen sein.

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