Freizeitangebot für Kinder So steht es um die Jugendzentren in Bonn

Bonn · Jugendzentren erreichen in Bonn etwa ein Fünftel ihrer Zielgruppe. Der Trend zur Ganztagsschule macht Anpassungen nötig, trotzdem öffnen die wenigsten Einrichtungen am Wochenende. Die Stadt Bonn erweitert nun die Jugendzentren in Beuel und Auerberg.

 Anlaufstelle: Das Jugendzentrum „Haus im Park“ in Neu-Vilich betreut regelmäßig rund 35 Kinder und Jugendliche.

Anlaufstelle: Das Jugendzentrum „Haus im Park“ in Neu-Vilich betreut regelmäßig rund 35 Kinder und Jugendliche.

Foto: Benjamin Westhoff

Florian hat gerade ein neues Computerspiel für sich entdeckt – die Moorhuhnjagd. Noch lieber spielt der 13-Jährige allerdings draußen mit seinen Freunden Fußball oder drinnen das Strategiespiel „Risiko“. Die neunjährige Douag sitzt derweil auf der bequemen Couch im Nebenraum und schaut mit ihrer Freundin Youtube-Videos. Dominik (12) will nicht mit der Zeitung reden. Lieber malt er einer vorgezeichneten Eule mit Textmarker leuchtend blaue Augen. Der 17-jährige Dijar bespricht das letzte Video-Projekt vom Vortag. Zusammen mit einem Betreuer haben sie in einem Bonner Escape-Room gedreht.

Ein gewöhnlicher Nachmittag im Jugendzentrum HIP in Neu-Vilich. 35 Kinder und Jugendliche im Alter von sechs bis 21 Jahren kommen an solchen Tagen in dem roten Flachbau auf der großen Wiese in Neu-Vilich vorbei, sagt Katrin Birkhölzer, die das Zentrum für den Verein Kleiner Muck leitet. Zweimal in der Woche wird zusammen gekocht – mal Griesbrei, mal Karottenquiche oder Kokos-Curry mit Spinat und Tomaten. Immer mit einem gedeckten Tisch und kleinen Aufgaben für jeden. Ob die Kinder die Förderschule besuchen oder das Gymnasium, ob sie aus dem Kosovo kommen, aus Syrien oder aus Beuel spielt dabei für die Betreuer keine Rolle. „Hier sollen alle mit allen gut auskommen, auch wenn die aus einem anderen Milieu stammen“, sagt Birkhölzer.

Fast jeden Tag gibt es Angebote vom PC-Mittwoch über die Theater- und Hörspiel-Produktionen bis zu Zauberstunden, Bastel-Aktionen und Sport-Angeboten. Die Kinder kämen oft jeden Tag vorbei, um fern von Verpflichtungen in Schule, Vereinen oder Kursen einen Teil ihrer Freizeit zu verbringen, sagt Birkhölzer. Jugendliche ab 16 erreichen sie im HIP unter der eigenen Unter-Marke „Die Musikstation“ vor allem über Projekte - vom Band-Coaching über den DJ-Kurs bis zum Theater.

Persönliches Engagement und Begeisterung seien Einstellungsvoraussetzung im Team, sagt Birkhölzer. „Hier läuft alles über persönliche Bindungen. Für die Kids sind wir coole Ansprechpartner – oder sie kommen gar nicht.“ Deshalb dürfe das Personal nicht zu oft wechseln und deshalb sei die Wohnortnähe so wichtig. Zu Projekten anderer Träger können sie die Stammgäste im HIP eigentlich nur motivieren, wenn jemand vom Team dorthin mitkommt.

Zahlen nach Vorstellung von Sozialpolitikern

Ein Anbau soll das HIP bald noch attraktiver für Ältere machen. „Die wollen sich auch einmal zurückziehen und nicht unbedingt mit den Kleinen zusammensitzen“, glaubt Birkhölzer. Die Küche mit Theke werde da zur passenden Anlaufstelle, außerdem der geplante PC-Raum etwa für Hausaufgaben oder Bewerbungsschreiben.

Ortswechsel: Ein paar bunt bemalte Container neben dem Sportplatz, eine Tischtennisplatte davor und ein Basketballkorb. Das ist das Jugendzentrum Auerberg an der Stockholmer Straße. Gerade warten zwei kleine Mädchen darauf, dass sich die Türen um 14 Uhr endlich öffnen. Aber „der Werner“ – gemeint ist Zentrumsleiter Werner Hergarten – sei zu einer Besprechung gefahren und wohl erst um 17 Uhr zurück, erzählen sie. Einen schriftlichen Hinweis auf die geänderten Öffnungszeiten gibt es nicht. Im Jugendzentrum seien die Mitarbeiter trotzdem „ganz lieb“, berichten die Mädchen. Man spiele zusammen, koche auch schon mal nebenan und war im letzten Jahr zusammen im Movie-Park in Bottrop. Viele Kinder aus der Nachbarschaft nutzten das Angebot, „und manchmal kommen sogar Jugendliche hierher“.

Das HIP und das Jugendzentrum Auerberg sind zwei von insgesamt 46 kommunal geförderten Offenen Einrichtungen für Kinder und Jugendliche in Bonn inklusive der Spielmobile. 14 wie in Auerberg betreibt das Jugendamt, den Rest die Kirchen und freie Träger wie Kleiner Muck.

In Auerberg sind die Zahlen ganz nach den Vorstellungen von Sozialpolitikern: Nach dem letzten Freizeitstättenbedarfsplan von 2015 kommen rund 100 Kinder und Jugendliche regelmäßig hierher, 80 von ihnen mit Migrationshintergrund, das Gros Hauptschüler.

Container sollen abtransportiert werden

Weil die Politik den Bedarf für ein entsprechendes Angebot anerkennt, erfüllt sie den Kindern und Jugendlichen im Viertel nach Jahren der Debatten demnächst einen großen Wunsch. Mit Fördergeldern des Landes in Höhe von 790.000 Euro und einem Eigenanteil der Stadt von rund 1,3 Millionen Euro sollen die alten Container abtransportiert werden. Auf der anderen Seite der Skateanlage soll dann bis Ende des Jahres ein Jugend- und Quartierszentrum in Holzrahmenbauweise entstehen. Neben mehreren Räumen für die Offene Jugendarbeit sind außerdem ein Quartiersbüro und ein Quartierscafé vorgesehen. In einer Kinderkonferenz vor Ort haben die Anwohner-Kinder schon Vorschläge gemacht, wie sie sich das Freigelände wünschen.

Insgesamt gerät die offene Jugendarbeit in der Stadt hingegen immer wieder unter Rechtfertigungsdruck. Einerseits kosten die Angebote viel Geld. Rund 5,8 Millionen Euro lässt die Kommune für 17 Einrichtungen im Stadtbezirk Bonn, acht in Bad Godesberg, zehn in Beuel, acht auf dem Hardtberg und drei Spiel- und Jugendmobile jährlich springen. 70 Fachkräfte werden damit hauptamtlich finanziert. Nur 600.000 Euro davon erstattet das Land. Andererseits erreichen die Angebote – alle Zahlen zu Nutzern stammen aus Befragungen der Einrichtungen selbst – rund 7200 Kinder und Jugendliche. Das sind etwa 20 Prozent der 36.507 Sechs- bis 18-Jährigen und der 12.000 18- bis 21-Jährigen Bonner. Mit zunehmendem Ausbau der Ganztagsangebote an den Grund- und Gesamtschulen schwindet die Zeit, die Kindern außerhalb der Schule zum Spielen und für Sport und Freizeit bleibt.

Die Sportvereine können ein Lied davon singen. Wenn man bedenkt, dass die Hälfte der 7200 Stammbesucher jüngere Kinder unter zwölf Jahren sind, dann schwindet das Potenzial der Zentren mit dem Ausbau der Ganztagsangebote weiter. „Die Angebote der Offenen Ganztagsschule haben zur Folge, dass viele Kinder und Jugendliche tagsüber weniger Zeiten zur Freizeitgestaltung zur Verfügung haben. Freizeit findet meist nur am späten Nachmittag, Abend und am Wochenende statt“, schriebt auch das Presseamt der Stadt auf eine Anfrage des GA. Für Katrin Birkhölzer machen Angebote vor 16 Uhr deshalb keinen Sinn. Lieber lässt sie das HIP abends bis 21 Uhr geöffnet. Am Wochenende werde das Zentrum dann meist für die Projekte mit Jugendlichen genutzt.

Kaum Anpassung

Vor allem die städtischen Angebote haben sich den veränderten Verhältnissen dagegen kaum angepasst. So bemängelte der im Auftrag der Stadt erstellte Freizeitstättenbedarfsplan 2015, dass nur ein Drittel der Öffnungszeiten in den Abendstunden ab 18 Uhr liegen, wenn ältere Jugendliche nach Hausaufgaben oder Ausbildung freie Zeit haben – und nur ganze vier Prozent am Wochenende.

Nur die Kernzeit von 16 bis 19 Uhr gelte an Wochentagen verpflichtend, berichtet das Presseamt. Auch das Jugendzentrum Auerberg, das mit 2,5 Planstellen personell relativ gut ausgestattet ist, öffnet lediglich zwei Tage in der Woche bis 20 Uhr, drei Tage bis 19 Uhr – wenn keine Besprechung ist. Am Wochenende bleibt es geschlossen. Ein Umdenken zu mehr Konzentration und veränderten Angeboten hält die Stadtverwaltung offenbar nicht für geboten. Der jährliche Wirksamkeitsdialog mit den freien Anbietern habe bislang keine Notwendigkeit dafür ergeben, heißt es. In der Januar-Sitzung hat der Stadtrat allerdings der evangelischen Kreuzkirchen-Gemeinde die weitere Förderung für das Kinder- und Jugendzentrum AdeK 6 vorerst verweigert. Schon 2015 hatte der Freizeitstättenplan bemängelt, das Angebot wende sich überwiegend an Kinder. Das Jugendamt hatte Angebote für Jugendliche eingefordert, da der CVJM in der Nähe seinen offenen Bereich geschlossen hatte. Mehrere Jahre blieb das Anliegen der professionellen Jugendpfleger indessen ohne Resonanz, der bis dato nur montags und freitags angebotene offene Bereich de facto kaum frequentiert.

In der jüngsten Sitzung stimmte der Jugendhilfeausschuss dennoch einer weiteren Förderung für das AdeK 6 zu. Die Verwaltung hat sich mit dem Träger auf ein neues Konzept verständigt. Dieses wolle man nun aber auch einmal selbst sehen, forderten die Ausschussmitglieder.

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