Digitalisierung ersetzt Papierakten So soll die Bonner Justiz transparenter für Bürger werden

Bonn · Die ersten Zivilprozesse mit rein elektronischer Aktenführung laufen in Bonn. Das Landgericht ist Teil eines Pilotprojekt in NRW. Mit der Einführung soll die Justiz nicht zuletzt auch transparenter für den Bürger werden.

 Das Landgericht in Bonn.

Das Landgericht in Bonn.

Foto: dpa

„Die elektronische Akte wirkt rechtsbefriedend“, ist Stefan Weismann, Präsident des Bonner Landgerichts, überzeugt. Mit der Einführung werde die Justiz nicht zuletzt auch transparenter für den Bürger. Bis 2026 muss die elektronische Aktenführung – kurz E-Akte genannt – bei allen Gerichten bundesweit umgesetzt worden sein.

Seit Herbst 2018 wird in Bonn – das Landgericht ist eines der Pilotgerichte in NRW – intensiv an der Umstellung gearbeitet; zunächst bei Zivilverfahren, später sollen auch Strafprozesse hinzukommen. Bei Verstößen gegen das Gesetz über elektronische Handelsregister (EHUG), für die das Bonner Landgericht bundesweit zuständig ist, setzten die hiesigen Juristen bereits 2015 als erstes Gericht überhaupt die papierlose Technik ein.

Es sei schon etwas ungewohnt, so ganz ohne Papierakte und nur mit einem Laptop einen Verhandlungssaal zu betreten, sagt Weismann am Dienstag. Bei mehreren Zivilverfahren verzichten die Bonner Juristen dieser Tage erstmals auf Papier. „Das hier sind Akten aus schon abgeschlossenen Verfahren“, erläutert der Gerichtspräsident Anwälten und zeigt auf einen kleinen Papierstapel vor seinem Laptop auf dem Richterpult.

Im ersten Verfahren des Tages, ein Berufungsverfahren, geht es um die Schadenersatzforderung eines Radfahrers, der unverschuldet in einen Verkehrsunfall verwickelt worden war. Als Vorsitzender kann Weismann direkt die Stärken des Systems vorführen: Dank Google Street View bleiben keine Zweifel, wo genau der Unfall sich ereignet hat. Auf den in der Akte gespeicherten Fotos lassen sich zudem unschwer die Beschädigungen an Helm und Hose des Geschädigten erkennen. So manchem Kollegen werde der Verzicht auf die gute alte Papierakte dennoch nicht ganz leichtfallen, sagt Weismann. Schließlich fordere die Technik allen Beteiligten eine ganz neue Arbeitsweise ab.

Mehrere Nutzer können gleichzeitig eine Akte lesen

Wer glaubt, die E-Akte bestehe nur aus Bild- und Textdateien, wie sie per Beamer in vielen Prozessen bereits seit geraumer Zeit im Gerichtssaal an die Wand projiziert werden, der irrt. „Das sind nur Kopien von einzelnen Seiten einer klassischen Papierakte“, erläutert Gerichtssprecher Edgar Panizza, der in Personalunion auch IT-Dezernent des Hauses ist. „Bei der E-Akte reden wir aber davon, dass das Original selber nur noch in elektronischer Form erstellt wird.“ Das habe den Vorteil, dass mehrere Nutzer gleichzeitig in einer Akte lesen oder auch Änderungen einfügen könnten.

Von der Papierakte gibt es immer nur ein Exemplar, das aufwendig verschickt werden muss. „Das kostet natürlich Zeit“, sagte Panizza. Bei der E-Akte arbeite jeder Nutzer mit einer elektronischen Kopie. Wie in der Papierakte, werden auch in der elektronischen Version alle Änderungen irreversibel dokumentiert. „Und zwar in einer sogenannten Log-Datei“, erläutert Panizza. Das Blättern entfällt. Nur am Bildschirm zu lesen, bedeute für viele sicher eine Umstellung. Dafür könne man jetzt aber dank Stichwortsuche viel schneller auf gewünschte Stellen zugreifen. Gerichtsakten sind nämlich rein chronologisch geordnet; wer thematisch Zusammengehöriges finden wollte, musste bislang viel blättern.

Der Radler konnte seine Forderung allerdings trotz der Bilder nicht vollständig durchsetzen: Für eine hieb- und stichfeste Bewertung des Schadens hätte er genauere Angaben machen oder Rechnungen einreichen müssen.

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